SIEGESSÄULE präsentiert

Endspurt zur Premiere: Die Geschwister Pfister über die Spoliansky-Revue in der Komischen Oper

28. März 2016
© Jan Windszus Photography

„Es wird eine Mischung aus ,Dreigroschenoper’ und ,Clivia’ sagen die Geschwister Pfister über ihr zweites Engagement an der Komischen Oper. Diesmal widmen sie sich dem jüdischen Komponisten Mischa Spoliansky. Er prägte die Kabarettlandschaft der Weimarer Republik entschieden mit und schuf – noch unter Pseudonym – mit dem „Lila Lied“ eine Hymne für Homosexuelle. SIEGESSÄULE-Chefredakteurin Christina Reinthal sprach vorab mit den Pfisters über „Heute Nacht oder nie“

Die Premiere von Clivia ist etwas zwei Jahre her. Habt ihr da schon gewusst, dass ihr an der Komischen Oper weitermacht?

Tobias Bonn: Kurz danach. Der Intendant Barry Kosky hat uns zum Essen eingeladen und gesagt, dass es toll war. Er hatte gleich drei oder vier neue Ideen in der Tasche, darunter die Spoliansky-Revue.

Das heißt es war Koskys Idee ...

Christoph Marti: Ja, das ist ein Auftrag für uns und Stefan Huber, unseren Regisseur. TB: Auch das Format war seine Idee: Als Revue und mit Orchester auf der Bühne.

Wie wird sie aussehen?

Andreja Schneider: Eine klassische Nummernrevue. 90 Minuten ohne Pause. CM: … mit sieben Solistinnen und Solisten und vier Tänzerinnen. Obwohl wir keine Handlung haben, hat Stefan Huber, unser Regisseur, für uns Figuren entwickelt. Die haben keine Namen und sind als Prototypen gedacht. Andreja ist die Hure, Tobi ist der Bonze … TB: … mit einem ganz dicken Bauch! CM: Und ich bin die Lesbe! (lacht)

Ach ...

CM: Ja, ich hab es auch nicht kommen sehen! (lacht) Es hat ein bisschen mit der Musik zu tun. Ich hatte einfach Lust auf bestimmte Lieder. Auf die Lesbe sind wir dann quasi von selber gekommen – es ist so eine Mischung aus Anita Berber und Margo Lion.

„Heute Nacht oder nie“ war ja der Song, mit dem Spoliansky sehr berühmt geworden ist. Wird das Programm eine Art Best of?

CM: Ja, das ist überhaupt das Bekannteste wegen dem Film „Das Lied der Nacht“, für den er es geschrieben hat. Das Lied ist wie so eine Fanfare. TB: „Es liegt in der Luft“ kennen die Leute auch, glaube ich. Das Lied und die Operette von Spoliansky und Marcellus Schiffer. AS: Genau und „Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin“ aus der gleichen Operette, das damals Marlene Dietrich gesungen hat. TB: Und manchmal kennt man ja auch nur so ein paar Zeilen aus dem Lied und denkt: „Ach, das ist doch ...“ AS: Genau, und man denkt: „Ach, Mensch ja, Holländer, ach nee doch nicht Holländer.“ Die sind sich in vielen Punkten ähnlich, aber die waren natürlich auch Kameraden. CM: Ja, das stimmt. Aber Spoliansky ist für uns natürlich viel reizvoller, weil Holländer in unseren Augen so flächendeckend eigentlich ... AS: ... abgearbeitet wurde. CM: Es kommt natürlich ein bisschen drauf an, wo man guckt. Aber auf Schauspielschulen zum Beispiel, geht's ohne Holländer gar nicht und das war bei uns auch so. Da bin ich ein bisschen satt. Und Spoliansky mag ich im Moment auch lieber, weil ich finde, es ist einfach schräger. Manchmal erinnert es mich auch an Randy Newman, dass man meint, man hätte es begriffen und dann kommt plötzlich so ein Satz und man denkt: „Hat der das grad gesagt?“ Und das gibt es bei Spoliansky eben auch oft, dass man einfach aneckt und irritiert.

Spoliansky hat ja lange vor seinem ganz großen Erfolg viel gemacht und war auch ein sehr politischer Mensch. Wird das Programm im Vergleich zu Clivia politischer?

CM: Ich glaube, es ergibt sich ganz einfach daraus, weil „Clivia“ ja von sich aus etwas hat, das sehr Pfisterich ist und das ist die Übertreibung, es ist einfach alles übertrieben. Die Geschichte ist übertrieben, die Musik, die Gestik. Und dann haben wir noch das Bühnenbild draufgesetzt und eben uns. TB: Bei „Clivia“ ist natürlich alles opulenter und da ist mehr Show drin. Bei Spoliansky ist es näher am einfachen Leben, mehr aufs Volk geguckt. AS: Ich glaube nicht, dass es jetzt vom Konzept her darauf ausgelegt ist, historische Stationen abzugehen, sondern darauf, wie kann so eine Revue sehr gut musikalisch funktionieren und was sind tolle Tableaus für die Menschen, die daran teilhaben. Dass das Politische nicht ganz außer Acht gelassen werden kann, ist völlig klar, aber es ist nicht vordergründig so gedacht, nicht in dem Maße, wie es jetzt bei einem Brecht-Stück wäre. TB: Es steht eigentlich irgendwo zwischen der „Dreigroschenoper“ und „Clivia“.

Es wird also nicht so opulent wie Clivia ...

CM: Das ist traurig, nicht wahr? (lacht) Dürfen wir mal sagen, dass das traurig ist? Es sollte zuerst gar keine ...

... Showtreppe geben?

AS: ... das auch nicht! CM: Ja, es gibt jetzt aber eine Art Treppe, aber nur weil das Orchester auf der Bühne sitzt. Und da die Musikerinnen und Musiker erhöht sitzen, und wir uns zwischen denen bewegen. AS: Aber es sollte zuerst auch gar keine Kostüme geben ... CM: Das wollte ich sagen! Es wird schlichter: Das Orchester sitzt auf der Bühne und es gibt auch keine Kulissen. Zunächst war auch kein Etat für eine Kostümbildnerin vorgesehen. Da haben wir protestiert und gesagt, wenn wir Figuren spielen sollen, was wir als Pfisters immer tun, dann brauchen wir auch Kostüme. Wir gehen nie auf eine Bühne und sagen: „Hören Sie jetzt Andreja Schneider mit dem Chanson ...“, das kommt überhaupt nicht infrage für uns. Das haben alle schnell verstanden, und wir haben unsere Wunschkostümbildnerin Heike Seidler, die auch beim letzten Mal mit uns gearbeitet hat.

Ganz nebenbei spielt ihr immer noch eure Programme in der Bar jeder Vernunft. Ich mag es, euch genau dort zu sehen – bis auf den letzten Zentimeter ausverkauft, wissend ihr könntet ein fünfmal so großes Haus füllen.

AS: Ja, das macht Spaß! CM: Mir auch. Wenn wir uns was Neues ausdenken, dann sehen wir es immer als Erstes in der Bar. Sie ist künstlerisch unser Wohnzimmer. Du musst nicht so ganz groß spielen ... AS: ... und kannst die Menschen noch so richtig persönlich erreichen.

Wenn die Bar euer künstlerisches Wohnzimmer ist, was ist dann die Komische Oper jetzt für euch?

CM: Das ist die Scala di Milano. (lacht) AS: Für mich ist es der pure Luxus. In der Bar jeder Vernunft sind wir Meister darin, auf diesem kleinen Nudelbrett zu stehen und zu behaupten, wir sind die große Welt. In der Komischen Oper sind wir dann die große Welt. CM: Für mich ist es mit Abstand das glamouröseste Opernhaus. TB: Und es ist einfach ein Haus, das toll geführt ist und wo im Ensemble und auch im Chor Menschen sind, bei denen du merkst, die freuen sich, dass sie genau hier diesen Job haben. CM: Das hat viel mit Barry Kosky zu tun. Wir bekommen ja oft Anfragen von Intendanten, die mit uns arbeiten wollen, und natürlich haben wir immer Lust, aber dann stellt sich heraus: Das geht nicht, und das geht nicht, weil das Risiko zu groß ist. Das sind einfach ganz viele – Entschuldigung, dass ich das so sage – Hosenscheißer! Hier in Berlin gibt es drei Opernhäuser, und es ist doch toll, dass einer der Intendanten richtig einen Knall hat und ein echt geiler Typ ist und sagt: „Ich will bigger, faster, louder!“ TB: Der Luxus, den man beim Engagement an Opernhäusern hat, dass man Garderobieren hat und Maskenbildner und nicht noch selber abends das Kostüm im Waschbecken wäscht in Paderborn, weil man am nächsten Tag in Gütersloh spielt. Sondern dass für alles gesorgt ist und du dich um nichts kümmern musst als um deinen Text sozusagen. Da freust du dich einfach, wenn du sonst so selbstständig arbeitest wie wir normalerweise. Aber wir wollen ja trotzdem nicht nur das machen. CM: Dadurch, dass wir in der selbstständigen Arbeit so weit vorangekommen sind und das ja auch weiterhin machen, schätzen wir das andere auch viel mehr. Aber irgendwann kommen wir im Engagement auch an den Punkt, dass wir denken: Jetzt freuen wir uns aber, wenn wir als nächstes wieder alles selber machen müssen. (lacht) Das pendelt dann wieder zurück ... Das ist wie ein einer Fünf-Sterne-Hotel-Suite und man denkt: Ach, ja das ist ja richtig schön. Aber es geht auch ohne und ich freu mich dann auf zu Hause.

Was viele eurer Stücke gemeinsam haben, ist etwas, das euch sehr eigen ist: Eine Persiflage, die so liebevoll gemacht ist, dass es schon wieder ein Hommage ist.

TB: Das ist immer beides ja. CM: Das sind einfach wir. AS: Ja, das ist das Pfister-Prinzip. TB: Wir überlassen es eigentlich den Zuschauern, wie sie es werten. Das kannst du auch immer im Publikum beobachten: du hast die Fraktion, die selig ist, weil Peter Alexander wieder auferstanden ist und die anderen biegen sich vor Lachen.

Wie wird das bei „Heute Nacht oder nie“, das ist ja ein ganz anderes Material.

AS: Das Prinzip ist aber ähnlich: Unsere Figuren sind nah an der Karikatur, aber es geht auch um die Menschen der damaligen Zeit mit ihren Nöten – und das müssen wir austarieren ... CM: Wir haben ja den Bonus, dass die Leute uns kennen und lieben. Ich denke, auch wenn es insgesamt ernster wird, ist es einfach toll, Toni Pfister als Bonzen zu sehen mit einem riesigen Wohlstandsbauch und dabei zu wissen: dass ist der, der sonst eine von den Kessler-Zwillingen spielt. (lacht) Unser Publikum ist immer mitgegangen mit uns, wenn wir behauptet haben, wir sind jetzt so und alles ist anders. Und nun Spoliansky – wieder etwas Anderes, aber am Ende eben die Geschwister Pfister.

Interview: Christina Reinthal


SIEGESSÄULE präsentiert: „Heute Nacht oder nie – Die Spoliansky-Revue, 01.04. (Premiere) und 09.04. 19:30, Komische Oper

Premierenbericht ab dem 02.04. auf SIEGESSÄULE.DE

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