Gesundheit

Risiko Poppers

23. Apr. 2016
© Ivan Kuleshov

„Seit einiger Zeit hatte ich plötzlich Probleme beim längeren Lesen“, erzählt Sven* der SIEGESSÄULE. „Besonders bei kleineren Schriften verschwammen die Buchstaben.“ Anders als viele andere, die diese ersten Anzeichen einer Sehschwäche ignorieren, ging er direkt zum Augenarzt. Diagnose: Makulapathie. Ausgerechnet an der sogenannten Stelle des schärfsten Sehens in der Mitte der Netzhaut, der Makula, sind die Photorezeptoren beschädigt. Die Folge: Gerade das, was man fokussiert, verschwimmt. Normalerweise allerdings tritt diese Art Sehschwäche kaum bei jüngeren Personen auf – Sven ist erst Mitte 30. „Mein Arzt fragte mich dann nach Popperskonsum. Und tatsächlich hatte ich vor einem Jahr begonnen, Poppers regelmäßig zu konsumieren. Von einer Poppers-Makulapathie aber hatte ich noch nie gehört. Dabei bin ich selber Arzt.“

Der schleichende Verlauf ist vielleicht die größte Gefahr: Zunächst stört es nur ein bisschen, man kommt im Alltagsleben zurecht. „Aber Poppers-Konsumenten, die Probleme mit dem Sehen bekommen, sollten sich unbedingt untersuchen lassen“, erzählt Dr. Kaulen, Svens behandelnder Arzt. In seiner Gemeinschaftspraxis, dem Augenzentrum Lichterfelde-West, sind bereits dreißig Patienten betroffen. Drei von ihnen sind inzwischen arbeitsunfähig, weil sie schlichtweg nicht mehr lesen können. Abhilfe schafft vermutlich nur die strikte Poppers-Abstinenz. „Bei der Hälfte der Patienten verbessert sich die Sehschärfe dann wieder. Das kann bis zu zwei Jahren dauern“, erzählt Dr. Kaulen. Eine echte Therapie gibt es nicht – auch weil es für das Thema mangels Sponsoren keine Forschung gibt. „Es gibt gelegentlich eine Publikation, aber die Untersuchungen stützen sich jeweils immer nur auf zwei, drei Patienten.“

Umso wichtiger sind Dr. Kaulens langjährige berufliche Erfahrungen und seine Beobachtungen aus der Praxis: „Es ist ein relativ junges Phänomen, aufgetaucht ist es erstmals vor etwa sieben Jahren. Genau seitdem neue, noch stärkere Poppers-Präparate auf dem Markt sind.“ Woraus genau sich die Rezepturen zusammensetzen, weiß niemand wirklich. Aber offensichtlich gilt: Je stärker das Poppers ist, desto gefährlicher. Besonders jene Sorten, die nach dem Konsum blaue Lippen und Finger hinterlassen und die Augen empfindlich gegen Sonnenlicht machen. „Möglicherweise gibt es für das Auftreten der Makulapathie aber noch einen Kofaktor“, so Dr. Kaulen. „27 meiner 30 betroffenen Patienten sind positiv und nehmen antiretrovirale Medikamente.“ Sämtliche Zusammenhänge und Wirkweisen beruhen bisher auf – wenn auch berechtigten – Vermutungen. Hierin liegt wohl auch der Grund dafür, dass die Öffentlichkeit nur unzureichend informiert ist. Die Gefahr für die Augen jedenfalls ist real: „Ich bin kein Moralapostel“, meint Dr. Kaulen. „Aber wer betroffen ist, sollte besser die Finger von Poppers lassen.“

Carsten Bauhaus

*Name von der Redaktion geändert

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