Film

Ist Crowdfunding konterrevolutionär? Ein Gespräch mit Skandalfilmer Bruce LaBruce

27. Apr. 2016
Bruce LaBruce © Ricardo Gomes

Nach seinem letzten Film, der in Berlin spielenden Schönberg-Adaption „Pierrot Lunaire“ (2014), ist es um den kanadischen Regisseur Bruce LaBruce keineswegs ruhig gewesen. Im letzten Jahr widmete das Museum of Modern Art (MoMA) dem queeren Provokateur eine eigene Retrospektive und er brachte eine Schmuckkollektion heraus, samt Parfüm („Obscenity“). Zur Zeit entsteht sein neuer Film „The Misandrists“, dessen Dreharbeiten noch bis zum 29.04. in Berlin und Brandenburg stattfinden. Die Story dreht sich um 13 radikale Lesben, die in einer Art Internat zusammen leben und die lesbische-feministische Revolution planen. Wie schon in seiner berühmten Filmsatire „The Raspberry Reich“, in der eine linke Terrorgruppe die Arbeit der RAF fortsetzen will, setzt sich Bruce LaBruce mit linksextremen Denkmustern auseinander. Mitspielen werden u. a. Susanne Sachsse, Kembra Pfahler (The Voluptuous Horror of Karen Black), Susanna Oberbeck (a.k.a. No Bra), Narcissister und Viva Ruiz. Allerdings fehlen dem Film-Team noch 23.000 Euro, um „The Misandrists“ fertigzustellen! Deswegen wurde jetzt eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. SIEGESSÄULE-Redakteur Joey Hansom im Gespräch mit Bruce LaBruce

Bruce, warum hast du dich dafür entschieden, deinen Film „The Misandrists“ sehr viel unabhängiger, unter anderem über Crowdfunding zu finanzieren? Ich arbeite gerade an einer ganzen Reihe von Projekten, die sich in der Entwicklungsphase befinden. Zwei davon sind höher budgetierte Filme, die staatlich gefördert werden. Allerdings ist diese Form der Finanzierung sehr bürokratisch und kann Ewigkeiten dauern. Ich will die Zeit aber nicht nutzlos verstreichen lassen, sondern arbeiten. Es ist wichtig, dass meine Projekte vorankommen, egal wie sie finanziert werden.

In dem Film hast du die Hauptrolle erneut mit Susanne Sachsse besetzt. Geht es dir dabei um die Entwicklung einer erfolgreichen künstlerischen Zusammenarbeit oder ist es so schlicht bequemer für dich? Susanne und ich haben eine sehr interessante Beziehung, sowohl kreativ als auch persönlich. „The Misandrists“ ist eine Art Gegenstück zu meinem Film „The Raspberry Reich“ - nicht stilistisch, aber in Bezug auf das Thema. Auch in meinem neuen Film steht die Kritik an der radikalen Linken im Zentrum. Ein Thema, das mich und Susanne sehr interessiert. Wie kommt es, dass selbst Menschen, die eigentlich die besten Absichten verfolgen, ihre tiefsten Überzeugungen infragestellen und sich ideologisch in eine Sackgasse hinein manövrieren? Susanne wiederholt fast ihre Rolle aus „The Raspberry Reich“, allerdings in einem vollkommen anderen Kontext. Ich habe mittlerweile vier Produktionen mit ihr gemacht. Regisseure arbeiten häufig mit denselben Leuten zusammen. Das hat gar nichts mit Bequemlichkeit zu tun. Es geht um gemeinsame Gefühlslagen, Interessen und eine gemeinsame Geschichte.

In „The Raspberry Reich“ werden auf satirische Weise viele Dinge als konterrevolutionär deklariert wie Madonna, Masturbation, Cornflakes oder auch Fleischkonsum, weil es im Gegenzug progressiv und revolutionär ist, ein Vegetarier zu sein ... Diese Idee beruhte, wie gesagt, auf einer Kritik an der radikalen Linken. Wenn aus diesen Dingen Dogmen werden, sind sie bedeutungslos geworden. Alles wird als verboten deklariert aufgrund einer allzu starren Ideologie. Ich glaube nicht, dass Masturbation wirklich konterrevolutionär ist. Madonna, vielleicht!

Ihr letztes Album heißt „Rebel Heart“, doch das einzige was daran auf Rebellion verweist, ist der Begriff „Rebel“ im Titel. Was ist anno 2016 konterrevolutionär? Die Kardashians sind schon jenseits jeder Form von Gegenrevolution. Man könnte argumentieren, dass dieses goldene Zeitalter der TV-Unterhaltung konterrevolutionär ist, denn auch wenn es einige der großartigsten Programme in der Geschichte der Medien hervorgebracht hat, dient es doch lediglich der Zerstreuung, als eine Art Betäubungsmittel.

Wie exzessiv nutzt du eigentlich Netflix? Oh mein Gott, ich bin total süchtig. Es wirkt sich bereits auf meine persönlichen Beziehungen und meine Kreativität aus.

Ist Crowdfunding konterrevolutionär? Auf eine Art revolutionär, auf eine andere konterrevolutionär. Theoretisch ist diese Ökonomie des Teilens eine Methode, die individuellen Kosten gering zu halten. Aber zum Beispiel eine moderne Taxi-App wie Uber ist jetzt nicht gerade gewerkschaftsfreundlich. Gewerkschaften sind traditionell linke Gebilde, die Arbeiter schützen. Da ist also ein Widerspruch zwischen neuen und alten Ökonomien. Nichts ist mehr klar und einfach. Der Sinn von Crowdsourcing ist, dass es demokratischer funktioniert. Leute, die nicht soviel Geld haben, können dadurch kreative Wege finden, an Geld zu kommen, was früher eben nicht möglich gewesen wäre. Es ist eine Wertegemeinschaft, aber auch ein Unternehmen. Da gibt es viel mehr Bewegungsfreiheit.

Würdest du sagen, dass es kapitalistische Strukturen unterläuft oder trainiert es nur den Otto Normalverbraucher darauf, diesen Strukturen zu folgen? Es ist viel mehr als das für mich. Man kann direkt Menschen ansprechen, die diese Art von Filmen sehen möchten. Und dabei handelt es sich um Filme, die auf traditionelle Weise sonst nicht finanziert werden könnten. Allerdings bitten wir die Leute nicht gleich darum, in eine Bank einzubrechen. Was ich an Crowdsourcing nicht mag, ist, dass es sich dabei um einen Fulltime-Job handelt. Es mag vielleicht nach einem einfachen Weg klingen, Geld aufzutreiben, aber da steckt viel Arbeit und strategisches Geschick drin. Das funktioniert nicht von allein. 

Interview: Joey Hansom / Übersetzung: Andreas Scholz

Infos zur Crowdfunding-Kampagne findet ihr unter
themisandrists.com

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