Nachruf

Er kämpfte für das Recht auf Liebe: Xulhaz Mannan (1976-2016)

28. Apr. 2016
Xulhuz Mannan © Thomas Müller

Homophobe Islamisten haben in Bangladesch den Gründer der einzigen LGTB-Zeitschrift des Landes umgebracht. Pink-Apple-Mitbegründer Thomas Müller erinnert sich an einen Mitstreiter und Freund

Nach der Sitzung ein Blick aufs Handy. Sechs Mails von Tanveer innerhalb einer guten Stunde: „Ruf sofort an!! Bitte... Xulhaz ist tot... Sie haben ihn umgebracht.“ Das war am späteren Montagnachmittag des 25. April 2016, drei Tage vor dem Start des Pink Apple, dem alljährlich stattfindenden schwullesbischen Filmfestival in der Schweiz.

Männer Hand in Hand

Ich hatte Xulhaz Mannan 2007 kennengelernt, als ich einige Zeit in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, arbeitete. Über viele Umwege hatte ich erfahren, dass da jemand klandestin schwule Filme zeige, sozusagen eine Art Mini-Pink-Apple. Mit „Celluloid Closet“ und ein paar anderen mitgebrachten DVDs traf ich ihn nach mehreren Mails und Telefonaten schließlich zu einem Tee. Es wurden zwei, nein drei und eine angeregte Unterhaltung daraus. Er erklärte mir, wie man Heteros und Schwule auseinanderhält: „Wenn du auf der Straße zwei Männer Hand in Hand siehst, sind es garantiert Heten, Schwule würden nie so rumlaufen.“ Wir sahen uns öfter während meiner drei Monate im Land, freundeten uns an, diskutierten über gesellschaftliche Ansichten, homopolitische Aktivitäten oder machten mal einen kleinen Ausflug in die verwunschene Stadt Sonargaon. Nach meiner Abreise wollten wir in Kontakt bleiben, und tatsächlich trafen wir uns 2009 in Südindien wieder, bereisten zweieinhalb Wochen das Land. 2012, während drei Wochen Ferien in Bangladesch, traf ich Xulhaz natürlich auch. Seine Wohnung war inzwischen zu einer Basis schwuler Aktivisten geworden. 2013 machte er auf dem Rückweg von einem Besuch bei seiner Schwester in den USA hier in Zürich halt, und kommenden Dezember hätten wir uns wiedersehen wollen.

Und jetzt diese schreckliche Nachricht, die sich nach und nach zu einer traurigen Gewissheit verdichtet: Fünf oder sechs unbekannte Männer überfielen Xulhaz in seiner Wohnung in der Hauptstadt Dhaka. Als Mitarbeiter eines Kurierdienstes verkleidet, gelangten die Täter ins Haus. Mit Macheten hieben sie auf seinen Kopf ein, bis er tot war. Er starb mit 39 Jahren in einer Blutlache. Tanay Majumder, ein Freund, der zugegen war, ebenfalls ein Queer-Aktivist, wurde genauso brutal getötet. Die hochbetagte Mutter von Xulhaz verschonten die Täter. Sie entkamen unerkannt.

Bekennerschreiben von Ansar Al Islam

Eine fundamentalistische islamische Gruppe namens Ansar Al Islam bekannte sich am Dienstag zu der Tat. Ihre Begründung: Xulhaz Mannan und Tanay Majumder seien hingerichtet worden, weil sie Homosexualität praktiziert und gefördert hätten. Angst vor Homophobie habe er keine, sagte Xulhaz vor gut drei Jahren bei seinem Besuch in Zürich. Von Angst wolle er sich nicht leiten lassen. Dennoch war er stets vorsichtig. Er trete einzig „für das Menschenrecht auf Liebe“ ein, beschied er jeweils jene, die ihm Förderung von Homosexualität vorwarfen. Auf einem Spaziergang vom Uetliberg zur Felsenegg skizzierte der Soziologe mit einem Abschluss in Friedens- und Konfliktforschung seine Pläne – unterbrochen von Ausrufen der Begeisterung über die sattgrünen Hügelzüge oder der Verblüffung angesichts des Selbstbedienungskühlschranks mit Kässeli auf dem Bauernhof am Weg. Behutsam und eingebettet in die gesellschaftlichen Realitäten wollte er gegen die Ächtung von schwulen, lesbischen, transgender und anderen queeren Leuten in seiner muslimischen Heimat angehen. Ohne Gay Prides im westlichen Stil, ohne Geld aus dem Ausland machte er sich daran, eine Bewegung zu schaffen, die breit getragen wird.

2014: Erste Ausgabe von Roopbaan

Im folgenden Sommer erschien zum ersten Mal sein LGBT-Magazin Roopbaan. Das Heft erschien in der Landessprache Bangla und erreichte so viel breitere Schichten als es eine englischsprachige Publikation vermocht hätte. Unterschwellig war die erste Ausgabe ziemlich schwul, verbal aber relativ dezent. Die Autorinnen und Autoren schrieben unter Pseudonym, produziert wurde das Heft im Geheimen. Für seine Zurückhaltung musste sich Xulhaz aus den eigenen Reihen auch Kritik gefallen lassen. Manch einer hätte sich deutlichere Worte und einen provokativeren Auftritt gewünscht, um die Gesellschaft aufzurütteln. Doch die Schar seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter wurde größer. Das ist seinem Charme und seiner manchmal an Sturheit grenzenden Zielstrebigkeit wohl ebenso zu verdanken wie seinem großen Herz für all jene, die mit den vorgezeichneten Geschlechterrollen nicht allzu viel anfangen können. Und vielleicht auch der Tatsache, dass er viele der aufregendsten Partys der Stadt auf die Beine stellte, sei es bei ihm daheim oder mit Freunden in jeweils bis zuletzt geheim gehaltenen Lokalitäten. Das waren geschützte Räume in einer feindseligen Umgebung.

Anonymer Brief an US-Botschafter

Er selbst sei noch nie in seinem Leben mit homophoben Reaktionen konfrontiert gewesen, schrieb Xulhaz noch im Sommer 2015 in einem längeren Artikel über queeres Leben in Bangladesch im indischen LGBT-Magazin Pink Pages. Das scheint mir doch recht verharmlosend. Er hatte von einer Begebenheit aus seiner Zeit als Mitarbeiter des US-Botschafters in Bangladesch erzählt, die typisch ist für die ständigen Pöbeleien, denen er ausgesetzt war. Als Protocol Officer war Xulhaz unter anderem für die Post des Botschafters zuständig. Eines Tages ging ein anonymer Brief ein, der einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter der US-Botschaft denunzierte, der sich angeblich als Schwulenaktivist betätige. Xulhaz liess den Brief nicht verschwinden, wie es manch ein anderer getan hätte, sondern übergab ihn dem Botschafter mit der Bemerkung: „Ach ja, dieser Mitarbeiter, das bin übrigens ich.“ Der Botschafter stellte sich uneingeschränkt hinter ihn. Eigentlich sah Xulhaz solche Vorkommnisse wohl tatsächlich nicht als Homophobie, eher als Unverständnis von Menschen, denen einfach noch niemand nachvollziehbar erklärt hat, worum es wirklich geht: um das Menschenrecht und die Freiheit zu lieben.

Aufruf zur Rainbow Rally

Mit der Zeit wagten die Leute von Roopbaan mehr und mehr. 2015 mischten sie sich farbenfroh unter den traditionellen Umzug zum bengalischen „Neujahr 1422“, um (verbal immer noch dezent) gegen Diskriminierung anzutreten. Dieses Jahr aber riefen sie im Klartext zu einer „Rainbow Rally“ für den „Neujahrsumzug 1423“ am 14. April 2016 auf. Nun nannten sie die Sache beim Namen: Ausdrücke wie transgender, schwul, lesbisch, Diversität oder Toleranz standen in ihrer Pressemitteilung. Nach einem Verbot durch die Polizei sagte Roopbaan die Rally ab. Trotzdem wurden vier Aktivisten verhaftet. Xulhaz setzte sich auf dem Polizeiposten den ganzen Tag für sie ein. Später übergab die Polizei die vier der Gewahrsam ihrer Eltern, nicht ohne diese offiziell über die sexuelle Orientierung der Verhafteten zu informieren – nicht alle waren daheim geoutet.

Wie die englische Zeitung The Telegraph berichtet, erhielten Xulhaz und einige seiner Freunde in jüngster Zeit Todesdrohungen. Und über eine Facebook-Gruppe verbreiteten islamistische Fundamentalisten Drohungen gegen die Roopbaan-Aktivisten. An die Polizei wollten sich Xulhaz und seine Freunde nach den schlechten Erfahrungen in den Tagen zuvor nicht wenden. Seit der Verhaftung und dem anschließenden Zwangsouting befürchteten sie dort nur noch Schlimmeres. Schließlich ist Homosexualität in Bangladesch offiziell immer noch strafbar. „Eines Tages schlitzen sie mir noch die Kehle auf“, soll Xulhaz gewitzelt haben. Er hat sich getäuscht. Sie haben ihm den Kopf eingeschlagen.

Thomas Müller,
Mitbegründer des Filmfestivals Pink Apple

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