Film

Der Traum vom wilden, queeren Berlin: „Desire Will Set You Free" im Kino

5. Mai 2016
Yony Leyser (li.) und Tim Fabian Hoffman in „Desire Will Set You Free“

Am 05.05. kommt der heftig umstrittene Berliner Szene-Film „Desire Will Set You Free“ in die Kinos. Ein Gespräch mit Regisseur Yony Leyser

„Desire Will Set You Free“ ist der erste Film, der die internationale queere Szene von Berlin porträtiert, aus dem Blickwinkel eines Filmemachers, der Teil dieser Community ist. US-Regisseur Yony Leyser lebt seit einigen Jahren in der Hauptstadt, bei seinem Spielfilmdebut führte er nicht nur Regie, sondern war auch Drehbuchautor und hat die Hauptrolle übernommen. In Teilen der Community und der Presse wurde der Film sehr kritisch aufgenommen. SIEGESSÄULE-Chef-Redakteur Jan Noll hat mit Yony Leyser über seinen Film und einige der Kritikpunkte gesprochen

Der Film „Desire will set you free“ hat für mich zwei Handlungsebenen, die während des Films miteinander in Konkurrenz treten: Auf der einen Seite das Porträt der queeren Berliner Expat-Szene, auf der anderen Seite die eigentlich Handlung, die eine problematische Beziehung zwischen einem Berliner Hipster und einem aus Russland geflohenen Stricher – der im Laufe des Films sein Trans*-Coming-out hat – beschreibt. Als du die Idee zu diesem Film hattest, welche Geschichte wolltest du in erster Linie erzählen? Ich wollte die Geschichte auf eine queere Art und Weise erzählen und nicht der klassischen Dramaturgie folgen, nach der normalerweise Filme gedreht werden. Das Drehbuch hatte lediglich 25 Seiten. Ich wollte mit diesem Film quasi eine Art Postkarte aus Berlin an mich selbst in 50 Jahren schreiben. Der Plot beruht auf einer Geschichte, die mir so oder so ähnlich passiert ist. Ich traf jemanden auf einer Dating-Website, der dann 2012 nach Berlin kam und nach zwei Wochen ein Trans*-Coming-out hatte. Sie wollte danach ein Buch schreiben über den ganzen Wahnsinn, den sie erlebt hatte. Das hat mich sehr inspiriert, ich wollte das irgendwie dokumentieren. Die Person kam aus Russland. In meinem Film gibt es beinahe gar keine Fiktion. Die Geschichte ist real, die Charaktere sind real, all die Dialoge haben wirklich stattgefunden oder wurden von realen Personen am Set improvisiert.

Eine Sache, über die wahrscheinlich alle mit dir sprechen, ist der massive Einsatz von Cameo-Auftritten. Zum einen hast du klassische Berliner Ikonen wie Nina Hagen, Blixa Bargeld, Rosa oder Wolfgang Müller im Film, zum anderen auch etliche bekannte Personen aus der queeren Berliner Subkultur. Wie aufwändig war das, all diese Leute in den Film zu kriegen? Ich bin jetzt nicht losgezogen, und habe versucht, irgendwelche bekannten Leute zusammenzukriegen. Ich wollte einfach wichtige Personen der queeren und der Underground-Szene dokumentieren. All diese Leute haben, genauso wie ich seit ein paar Jahren, viel mit der Szene zu tun, sind mittendrin. Deshalb war es jetzt auch nicht so schwer für mich, sie in den Film zu kriegen.

Dein Film ist vor allem deshalb wichtig, weil es der erste Spielfilm ist, der versucht, die Berliner Queer-Szene zu porträtieren aus dem Blickwinkel einer Person, die Teil dieser Szene ist. Es muss dir ja klar gewesen sein, dass die Leute aus Berlin deshalb besonders kritisch sein würden. Hat dich das bei der Arbeit unter Druck gesetzt? Nein. Ich bin daran gewöhnt, kritisiert und gehasst zu werden. Man muss sowas ignorieren. Es gibt ja schließlich auch Leute, die mein Film inspiriert und die ihn genießen. Ich finde einfach, dass der Film ein schönes Zeitdokument ist. Und unabhängig davon, ob er jetzt ein ein Erfolg wird, habe ich ihn nach bestem Wissen und Gewissen gemacht.

Deine Darstellung des queeren Berliner Nachtlebens und des Szenelebens ist meiner Ansicht nach sehr überzeichnet. Leute, die hier im Moment leben, kennen all die Orte, haben vergleichbare Situationen bereits erlebt. Und sie wissen auch, dass all diese Orte und Leute in der Realität entweder weit weniger glamourös oder weit weniger abgefuckt sind. Gleichzeitig liefert der Film für ein Publikum außerhalb der queeren Blase dieser Stadt genau das Bild ab, das sie haben wollen, wenn sie an das „wilde Berlin“ denken. Für welches Publikum hast du diesen Film gemacht? Zuallererst muss ich sagen, dass ich Camp liebe. Ich liebe überspitztes Verhalten. Aber ich denke nicht, dass ich jemanden in meinem Film überzeichnet habe. Ich glaube, dass all die Leute in meinem Film genauso groß sind, wie ich sie gemacht habe.

Aber du produzierst doch eine Art Essenz der Stadt, ein Substrat. Alles ist zwar so ähnlich, aber eben in Realität weit weniger konzentriert. Wenn man zum Beispiel ins Monster Ronson's geht, sitzen dort nicht 20 Dragqueens an der Bar und starren einen an. Klar, diese Dinge existieren in Berlin, aber du legst nochmal das Vergrößerungsglas drauf. Viele junge Menschen projizieren derzeit ihre Phantasien von einem wilden queeren Leben auf die Stadt. Wolltest du ihnen genau das geben, was sie sich vorstellen? Nein. In dem Film geht es um meine Phantasien und meine Träume. Ohnehin, diese Szene im Ronson's, die du beschreibst, ist eh eine Traumsequenz. Deshalb haben wir sie in Zeitlupe gedreht. Träume halten uns am Leben. Ein Film ohne Träume wäre einfach nur eine Dokumentation. Es gibt einige Traumsequenzen und man weiß einfach meist nicht, was Traum und was Realität ist. Aber genau so fühle ich mich in meinem alltäglichen Leben. I'm a spaced out person. Ich habe nicht versucht, jemandem die Story Berlins zu erzählen, sondern meine persönliche Phantasie, mein Unterbewusstes.

Die Berliner Vergangenheit spielt, wie du ja bereits gesagt hast, auch eine große Rolle in deinem Film. Weimar, die Nazis, Isherwood. Ich hab gelesen, dass du der Enkel von deutschen Juden aus Pankow bist. Wie präsent ist diese dunkle Seite der Berliner Geschichte in deinem Leben hier in der Stadt? Die war schon ziemlich präsent, als ich hierher kam. Meine Vorfahren väterlicherseits wurden hier beinahe komplett ausgelöscht, und es war eine wirklich große Familie. Alle wurden umgebracht, bis auf meine Großeltern. Die Fetischisierung von Nazi-Ästhetik, wie in manchen Leder-, Biker- und anderen Fetisch-Outfits, oder Leute, die es einfach trendy finden, mit einer solchen Ästhetik zu spielen, stoßen mich wirklich ab. Meine Stiefmutter wurde im Ghetto geboren und als sie mit meinem Vater zu Besuch kam, konnten sie erstmal für einen Tag das Hotel nicht verlassen, weil sie solche Angst hatten. Die Vorstellung, dass die Großeltern der Leute, die mich hier umgeben, dafür verantwortlich sind, dass meine ganze Familie ausgelöscht wurde, ist schon krass. Aber jetzt ist die Stadt so weltoffen, frei, vielfältig, antifaschistisch und geprägt von Akzeptanz. Sie ist das Gegenteil von dem, was sie mal war. Die Leute haben aus ihren Fehlern gelernt. Und das ist auch der Grund, warum ich diese Stadt liebe.

Interview: Jan Noll

„Desire Will Set You Free“, ab 05.05. im Kino

In diesen Kinos wird der Film gezeigt

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