Musik

Phil Collins empfiehlt Cate Le Bon: Jeder Tag ein Krabbentag!

29. Mai 2016

Der Name der Waliser Musikerin Cate Le Bon steht seit 2009 für lyrische Folk-Psychedelia, die nicht nur unter KollegInnen in ihrer Wahlheimat Kalifornien hohe Wertschätzung genießt, sondern sich auch international wachsender Beliebtheit erfreut. Bei ihrer derzeitigen Europa-Tournee stehen zwei Deutschland-Konzerte auf dem Plan.

Phil Collins' erster abendfüllender Film „Tomorrow is always too long“ kam diesen Frühling auch in deutsche Programmkinos, nachdem er vergangenes Jahr im HAU (wo seine Arbeiten regelmäßig präsentiert werden) Berlin-Premiere hatte. Jene Glasgow-Hommage, die in ihrer Vielschichtigkeit als moderne „Symphonie einer Großstadt“ gefeiert wurde, lebt nicht zuletzt von den fantastischen Songs, die alle von Cate Le Bon komponiert, hier aber von sieben ProtagonistInnen (Altersspanne: 10 bis 83!) eingesungen wurden.

Zwar bot sich hierzulande schon manche Gelegenheit, Cates Qualitäten – etwa als Support von Perfume Genius, mit dem 2013 das wunderbare Duett „I Think I Knew“ entstand – zu entdecken. Doch die Tiefe ihrer Texte erschloss sich einigen erst über die deutschen Untertitel in Phils Film, wo gleich ein halbes Dutzend Songs der dritten Cate-Le-Bon-LP „Mug Museum“ erklingt. Nun ist mit „Crab Day“ Cates Vierte erschienen. Zu diesem Anlass drehte Phil einen elfeinhalbminütigen Trailer (in dem Ortskundige neben dem einstigen Rundfunkgebäude an der Rummelsburger Bucht auch das Corbusier-Haus im Westend erkennen dürften) und auch den Clip zur jüngsten Single „Love Is Not Love“.

Hier nun Phil Collins persönliche Empfehlung, sich Cate Le Bons zwei Konzerttermine in Berlin und Köln nicht entgehen zu lassen:

Cate lernte ich kennen, nachdem ich sie auf zwei Londoner Konzerten erlebte. Mit einem Rascheln ihres schwarz-silbernen Designer-Capes und einem Timbre in der Stimme, das gelegentlich noch tiefer klingt als meines, wurde mein Herz aus seiner Verschalung gerissen und durchgeknetet. Danach war ich nicht mehr derselbe. Das Exemplar ihres Debüts „Me Oh My“, das ich mir im Anschluss sicherte, trage ich seither immer bei mir. Schon etwas unheimlich, aber ist es nicht das, wonach es uns verlangt? Locken wir nicht selbst die Geister hervor? Cates Melodien führen durch verschlungene Folk-Pfade zurück zu den ursprünglichen Formen, der Sehnsucht Ausdruck zu verleihen, während ihr Gitarrenspiel gleichermaßen The Fall, Pavement und Kevin Ayers zusammenbringt.

Gute Popsongs können eine transformative Kraft entwickeln. Sie haben dann die Gabe, selbst banalste Situationen in den Bereich des Außergewöhnlichen und Herzzerreißenden zu heben. Cates Musik fühlte sich instinktiv richtig an für die Palette an Gefühlen und Erfahrungen, mit denen ich mich in meiner Arbeit beschäftigen wollte. Wer sonst kreiert solche Klangskulpturen? Von Hand gemacht, ungekünstelt, mit Kanten, die so scharf sind wie Briefbögen und Melodien, die einem auf fünfzig verschiedene Arten das Herz brechen können?

Ich drehte einen Film in Glasgow mit einer kunterbunten Besetzung, die ich unter anderem in Schulen, Gefängnissen und Begegnungsstätten für SeniorInnen castete. Cate machte uns das Geschenk, in „Tomorrow is always too long“ sechs ihrer Lieder verwenden zu dürfen, die dann von einigen der Glasgower ProtagonistInnen gesungen wurden. Die Songs, die ich für den Film aussuchte und fürs Royal Scottish National Orchestra arrangieren ließ, entstammen alle Cates drittem Album „Mug Museum“. Meines Erachtens ein moderner Klassiker. Eine Platte, die allen jungen Menschen als Handbuch in die Schultüte gepackt werden sollte, als „guide to the melancholy of modern living“.

Ihre poetische Art, wie sie über Tod, Verlust und Scheitern schreibt, ließe sich zwischen Anne Sexton und Emily Dickinson verorten: wie fühlt es sich an, abends bei einem herrlichem Sonnenuntergang an einer Bushaltestelle festzukleben, pochende Kopfschmerzen zu haben und weit und breit kein Bus, geschweige denn eine Apotheke in Sicht?

Und dann wird in diesem Jahr der ahnungslosen Welt auf einmal der „Crab Day“ verkündet! Was gäbe es da für mich anderes zu tun als eine Kamera in die Hand zu nehmen, einige verwilderte Ecken Berlins aufzusuchen und mit dem Drehen zu beginnen? Constanza Macras bringt ihre unwiderstehliche Dorky-Park-Truppe mit, Tina Pfurr bricht ihren Schwur, das Ballhaus Ost nie bei Tageslicht zu verlassen und Max Factory, die Helden der 1990er Live-Art, lassen zusammen mit Cate ihre T.W.A.T.S. -Performance wieder aufleben – und schon entsteht ein Kurzfilm, der in den sagenhaften Fluren des einstigen DDR-Rundfunkgebäudes in der Nalepastrasse, dem Corbusierhaus gegenüber dem Olympiastadion und an Nicos Grabstätte im tiefen Grunewald gedreht wird (
das Resultat könnt ihr hier sehen; A.d.R.)

Krabben sollen sich ja seitwärts bewegen, aber machen das nicht die meisten von uns? Man sagt den Krabben auch nach, dass sie wegen ihrer schwach ausgeprägten Sehkraft über Klänge kommunizieren. Dass sie sich in Untiefen verstecken und von Muschel zu Muschel ziehen. Klingt das nicht alles schrecklich vertraut? Wenn Ihr eine besondere Sache in diesem Jahr machen wollt – und die meisten von uns raffen sich ja nur einmal im Jahr auf –, dann zelebriert den neu geschaffenen Feiertag zu Ehren aller Underdogs und allem, was unaussprechlich bleibt, dann feiert den „Krabbentag“!


Phil Collins/Übersetzung und Einleitung: Markus von Schwerin

Cate Le Bon live,
30.5. Berlin, Privatclub,
31.5., Köln, King Georg

Phil Collins' Installation „my heart’s in my hand, and my hand is pierced, and my hand’s in the bag, and the bag is shut, and my heart is caught“ ist noch bis zum 4.6. im HAU 2 zu sehen.

Cate Le Bon „Crab Day“ ist auf Turnstile/Caroline/Universal erschienen

catelebon.com

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