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Lesbische Geschichte: Audre Lorde in Berlin

12. Juni 2016

Audre Lorde war Inspiration und Herz der antirassistischen Frauenlesbenbewegung. Bereits in den 60er-Jahren war die US-amerikanische Schriftstellerin in der Bügerrechts-, Antikriegs- und Frauenbewegung aktiv. Die Soziologin und Verlegerin Dagmar Schultz war es, die Lorde 1984 nach Berlin holte, ihre Bücher herausgab und eine Gastprofessur an der Freien Universität veranlasste. Nach ihrem Film „Audre Lorde – the Berlin Years 1984–1992“ hat sie nun eine Online City Tour entwickelt, bei der – rein virtuell oder real – Orte der Stadt besucht werden können, an denen Lorde sich aufgehalten hat. Für jede Adresse gibt es eine kurze Beschreibung, sowie Fotos und Videosequenzen. So gelangt man per Mausklick nicht nur in das Berlin der 80er-Jahre, sondern auch in das private und berufliche Leben von Audre Lorde. Wir haben darüber mit Dagmar Schultz gesprochen

Dagmar, in welcher Verbindung stehst du zu Audre Lorde?
Ich war die Verlegerin von einer Reihe von Audre Lordes Büchern in deutscher Übersetzung im Orlanda Verlag. Nachdem ich sie 1980 auf der Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen kennengelernt hatte, gab ich 1983 zunächst einen Band mit Texten und Gedichten von Audre Lorde und Adrienne Rich heraus („Macht und Sinnlichkeit“), ein Buch das zu den Anfängen der Diskussion über Rassismus und Antisemitismus in der Frauenbewegung beitrug. Da ich zu der Zeit am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität unterrichtete, konnte ich veranlassen, dass Audre dort 1984 als Gastprofessorin eingeladen wurde. Ihre Begegnung mt schwarzen deutschen Frauen führte dazu, dass May Ayim, Katharina Oguntoye und ich in den folgenden zwei Jahren das Buch „Farbe Bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte” mit einem Vorwort von Audre erarbeiteten. Der Orlanda Verlag veröffentlichte vier Bücher von Audre („Auf Leben und Tod. Krebstagebuch“, „Zami. Eine Mythobiographie“, „Lichtflut. Essays“ sowie den zweisprachigen Gedichtband „Quelle der Macht“, für den Audre während ihres letzten Sommers bei uns 42 ihrer Gedichte ausgesucht hatte. Dies bedeutete eine enge Zusammenarbeit zwischen Audre, mir und dem Verlagsteam bei der Planung der Bücher und bei der Organisation von Lesereisen, Veranstaltungen etc., insbesondere da Audre auch an vielen politischen Aktivitäten interessiert war. Audre war Autorin und Freundin und Audre und Gloria waren Familie für meine Lebensgefährtin Ika und mich.

Du hast ja bereits den Film „Audre Lorde – The Berlin Years“ gemacht, wie kam es jetzt zu der Online-Tour?
In den letzten Jahren kamen immer wieder Frauen aus den USA nach Berlin und fragten, wo Audre Lorde hier gewohnt hatte und wo sie sich viel aufgehalten hatte. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, Audres Wohnorte auf der Webseite bekannt zu machen und hatte diese fotografiert, als mich eine Frau aus den USA anrief und fragte, ob es seine AL City Tour gäbe. Ich musste verneinen. Sie wollte dann wissen, wo Audre häufiger Kaffee getrunken hatte und ich schickte sie in die Begine. Dies wurde dann der Anlass, mich dem Projekt einer City Tour zu widmen.

In der Tour werden viele Orte aufgezeigt, an denen Audre Lorde gewirkt, aber auch entspannt hat. Welcher war wohl der wichtigste für sie.
Es gibt verschiedene Orte von denen ich sagen würde, dass sie besonders wichtig für Audre waren. Orte, an denen sie mit Frauen in Kontakt war: die Begine, die Schokofabrik. Orte wo sie, auch mit Gloria Joseph, gewohnt hat, insbesondere in Dahlem, an dem Park „Im Schwarzen Grund”, in der Potsdamer Straße 139, dem Haus, in dem die Begine sich befindet, und in der Großgörschenstraße, wo der Orlanda Verlag sich befand. Orte, die aus politischen Gründen einen tiefen Eindruck bei ihr hinterließen, den sie auch in Gedichten umsetzte, so die Gedenkstätte Plötzensee. In der City Tour hören wir bei diesem Ort das  Gedicht „This Urn contains Earth from German Concentration camps“ von Audre rezitiert. Orte, an denen sie Freizeit verbrachte: der Winterfeldtmarkt und der See Krumme Lanke. Sicher gibt es noch weitere Orte, an denen ich/wir nicht beteiligt waren. Daher die Aufforderung, dass Personen sich melden können, die zu einer Erweiterung der City Tour etwas beitragen wollen.

Inwieweit glaubst du hat Audre Berlin verändert?
Audre Lorde war die erste schwarze Frau, die als renommierte Dichterin und als erfahrene Aktivistin deutschen schwarzen Frauen und Männern und weißen Frauen gegenüber trat. Sie war auch eine ältere Frau und von daher für viele deutsche Frauen, die kaum Kontakt mit älteren schwarzen Frauen hatten, eine Älteste. Afro-Deutsche folgten Audres Aufforderung, einander kennenzulernen, mit Schriften an die Öffentlichkeit zu treten und Netzwerke zu bilden. Obwohl es schon vor Audres Ankunft in Berlin kleine Zusammenschlüsse zwischen schwarzen Frauen gegeben hatte, war dies doch eine völlig neue Entwicklung.
Gleichzeitig forderte Audre weiße Frauen und die feministische Bewegung heraus, ihre Privilegien zu erkennen und konstruktiv mit Unterschieden umzugehen. Acht Jahre lang war Audre immer wieder in Berlin, gab eine Vielzahl von Lesungen und führte unermüdlich Diskussionen an der Universität und in feministischen Gruppen sowie in allen möglichen persönlichen Bezügen. Immer wieder wies sie auf die Notwendigkeit hin, dass weiße Frauen sich mit schwarzen Frauen, Jüdinnen und migrierten Frauen zusammen setzen und über ihre Bedürfnisse und Ziele austauschen. Die öffentlichen und persönlichen Begegnungen mit Audre und die damit verbundende Auseinandersetzung mit Rassismus hinterließen eine bleibende Wirkung sowohl für schwarze wie für weiße Frauen und auch eine Reihe von Männern in Berlin.

Und wie hat Berlin Audre verändert?
Für Audre waren die Aufenthalte in Berlin auf mehreren Ebenen von großer Bedeutung. Ihre engen Kontakte mit schwarzen Deutschen waren ungemein wichtig für sie. Sie sagte einmal, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl hatte, wirklich etwas bewirkt zu haben. Auch trug die Begegnung mit schwarzen Menschen in Berlin/Deutschland zu ihrer Sichtweise einer globalen afrikanischend Diaspora bei.

Interview: Christina Reinthal

audrelordeberlin.com

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