MUSIK

Aggressiv und politisch: Anohni in Berlin!

22. Juni 2016
Ein wunderbares Geschenk: Anohni © Alice Omalley

Das Musikprojekt Antony & The Johnsons ist Geschichte. Der Mensch, der einmal Antony war, tritt nun als Anohni ins Licht. Marcel Anders traf die Popkünstlerin für SIEGESSÄULE zum Gespräch

22.06. – Antony Hegarty ist fort, schon lange. Und auch sein bahnbrechendes
Musikprojekt Antony & The Johnsons ist Geschichte. Der Mensch, der einmal Antony war, tritt nun als Anohni ins Licht – eine Popkünstlerin, die ihre elektronische, R’n’B-inspirierte Musik mit spitzen lyrischen Widerhaken versieht und die Mainstreamkultur sowie den soziopolitischen Zeitgeist von innen bekämpft. Ihr Debütalbum „Hopelessness“, das die in New York lebende Künstlerin gemeinsam mit Oneohtrix Point Never und Hudson Mohawke schuf, kleidet messerscharfe Statements in radiotaugliche Zuckerwatte. Marcel Anders traf sie für SIEGESSÄULE zum Gespräch

Was hat dich veranlasst, deinen Namen von Antony in Anohni zu
ändern?
Ich benutze den Namen Anohni schon ein paar Jahre, weil er mich als Transgender reflektiert. Allerdings eher privat als in der Öffentlichkeit. Ich habe mich immer als Transgender bezeichnet, hatte aber gleichzeitig nie den Mut, die Leute zu bitten, mich als sie anzusprechen. Mit zunehmendem Alter ist mir das jedoch immer wichtiger geworden. Ich will nicht mehr sagen, ich wäre Antony. Das bin ich schon lange nicht mehr.

Warum ist dein neues Album elektronisch statt orchestral? Wenn man sich meine bisherige Arbeit vor Augen führt, ist sie sehr pastoral. Sie folgt immer demselben Ansatz. Und ich hatte das Gefühl, dass sich die Zeiten geändert haben. Ich höre zum Beispiel immer mehr Popmusik. Also dieselbe wie viele andere Leute. Es ist nicht mehr so wie früher, als VertreterInnen der Sub- oder Gegenkultur bewusst andere Sachen als Leute aus der dominanten Kultur gehört haben. Jetzt hört jeder das, was eh überall präsent ist. Die Distanz zwischen Subkultur und Massenkultur existiert kaum noch. Und der Klang der Musik ist so süß wie nie zuvor – aber auf eine unterschwellige, heimliche Weise. Und genau das wollte ich auch für meine Musik – ich wollte einen zeitgemäßen Pop-Sound, mit dem ich anspruchsvolle Inhalte transportieren kann. Ein geradezu arglistiger Ansatz. Er ist wie ein trojanisches Pferd. Etwas, das nach außen sehr elegant und chic wirkt, wie ein wunderbares Geschenk, das aber auch noch etwas anderes, sehr Intensives birgt. Nämlich meine Bedenken in Bezug auf die heutige Welt. Ich fand, dass sich das besser elektronisch umsetzen ließ. Und dass ich da direkter sein muss. Es ist mein aggressivstes politisches Album.

Wobei du für das Video zu „Drone Bomb Me“ auf das Charisma einer Naomi Campbell setzt und der bitterböse Text hinter der visuellen Komponente zurücktritt. Ja, aber für mich ist der Text weniger bitterböse. Er sagt vielmehr die Wahrheit. Er handelt davon, was die amerikanische Regierung als „Kollateralschaden“ bezeichnet. Eben welche fatalen Folgen der Drohnenkrieg hat, den Obama seit acht Jahren im Mittleren Osten führt. Oder dass seine Kampagne, Guantanamo zu schließen, nur darauf hinausläuft, demnächst keine Gefangenen mehr zu machen, sondern sie aus der Luft zu exekutieren. Außerdem sitzen in Guantanamo weiterhin unschuldige Menschen. Und all das sorgt für lange und intensive Spätfolgen. Europa weiß aus seiner eigenen Geschichte nur zu gut, wie viel Hass ausgelöst wird, wenn die Angehörigen von jemandem getötet werden – und womöglich sogar zu Unrecht. Das sorgt für Wunden, deren Heilung sich über Generationen hinzieht. Auch in der amerikanischen Geschichte sind Sklaverei und die Ausrottung der Native Americans noch längst nicht aufgearbeitet, geschweige denn überwunden. Es stellt sich also die Frage: Warum bekennen wir uns nicht dazu? Warum stellen wir uns dem nicht? Die Wahrheit ist: Amerika entzieht sich der Diskussion, weil die Medien da mitspielen. Weil sie gar kein Interesse daran haben, etwas zu ändern, geschweige denn zu verbessern.

Weshalb du die USA im Stück „Execution“ auf eine Stufe mit Nordkorea und Saudi-Arabien stellst? Da geht es ganz gezielt um das Thema Hinrichtungen. In Amerika gibt es immer noch die Todesstrafe. Als ich als Kind von England nach San Francisco kam, schien es mir vollkommen surreal, dass ein Land – unter bestimmten Bedingungen – die Autorität besitzt, seine eigenen Bürger hinzurichten. Ich wurde naiv genug aufgezogen, um zu glauben, dass das etwas aus der Vergangenheit sei. Aber Tatsache ist, dass diese Form von Strafe bis heute praktiziert wird und dass immer neue Mittel und Gifte entwickelt werden, um Menschen hinzurichten. Es ist also eine Kritik an den USA und ihrem Rechtssystem.

Das du mit deinen Steuern finanzierst. Leider. Und da ist halt die Frage, wie man die Leute dazu bringt, diesen Missstand anzuerkennen und etwas dagegen zu tun. Also wie man sie von passiven Komplizen des Systems zu aktiven Bürgern macht. Viele Deutsche wurden gefragt: „Was hat deine Familie 1942 getan – war sie Teil des Widerstands oder hat sie sich mit dem Schreckenssystem arrangiert?“ Da ist zumindest eine Generation, die sich den fatalen Folgen von Lethargie bewusst ist. Und das hat mit Sicherheit auch zu eurem Verhalten bei der aktuellen Flüchtlingsproblematik geführt. Eben dass ihr da Moral und Menschlichkeit bewiesen habt und viel herzlicher vorgegangen seid als andere Länder. In Amerika hat ja gerade diese Politik des Sich-Abschottens Türen und Tore für jemanden wie Donald Trump geöffnet. Würde er in Deutschland als Kandidat antreten, hätte man ihn vermutlich längst wegen Volksverhetzung verhaftet.

Allerdings steht Merkel nicht nur unter Beschuss von anderen europäischen Regierungen, sondern mittlerweile auch von ihrer eigenen Partei, die ihre Politik offen ablehnt. Das mag sein. Es ändert aber nichts daran, dass ihr bislang über eine Millionen Flüchtlinge aufgenommen habt, während die Amerikaner gerade mal 20.000 akzeptiert haben – und die meisten davon sind anerkannte Opfer unserer Außenpolitik, die nur dafür gesorgt hat, die Region zu destabilisieren. Ich meine, ich war bei den Protesten gegen George Bush Sr. dabei. Wir wollten ihn davon abhalten, im Irak einzumarschieren. Nach dem Motto: „Kein Krieg für Öl“. Ich war 20, als ich in Washington dagegen demonstriert habe. 25 Jahre später herrscht im Mittleren Osten ein riesiges Chaos und das einzig wegen der Kurzsichtigkeit und der Gier der amerikanischen Politik, die seit 9/11 für über eine halbe Million Tote gesorgt hat – ein riesiger Haufen an Leichen, den man sich gar nicht vorstellen kann. Deshalb ist eine Frage, die sich jeder Einzelne stellen sollte: „Hätte man das nicht besser wissen und insofern verhindern können?“

Was ist mit Obama? Hat er dich so enttäuscht, dass du in dem Stück, das seinen Namen trägt, regelrecht mit ihm abrechnest? Wahrscheinlich bin ich eher enttäuscht über meine eigene Naivität als über ihn selbst. Ich meine, wie konnte ich nur denken, dass ein einzelner Mensch alle Probleme lösen würde, die sich über Jahrhunderte hinweg aufgestaut haben? Die Frage, die sich aus seinen beiden Legislaturperioden ableitet, ist: Können wir unser Schicksal als menschliche Art noch abwenden? Wenn wir nicht ganz schnell ein neues menschliches Bewusstsein und einen neuen Verhaltenscodex entwickeln, wie wollen wir uns dann weiterentwickeln? Wie wollen wir verhindern, dass wir uns nicht in naher Zukunft selbst auslöschen – und dabei die gesamte Welt in den Abgrund reißen? Das mag sich hart anhören, aber es ist die Wahrheit: Wir haben nur 2000 Jahre gebraucht, um das zu zerstören, was die Natur in mehreren 100 Millionen Jahren erschaffen hat.

Du warst dieses Jahr für einen Oscar nominiert, hast deine Teilnahme an der Veranstaltung aber kurzfristig abgesagt. Warum? Viele Leute haben meine Absage so ausgelegt, dass ich nicht teilgenommen habe, weil man mich nicht bei der Gala singen lassen wollte. Was Blödsinn ist, denn ich wäre schon glücklich gewesen, bei der Veranstaltung an sich dabei sein zu dürfen. Das Problem war nur, dass mich das Komitee nicht mit Anstand und Respekt behandelt hat – und nichts unternommen hat, um diese Geschichte einzudämmen oder zu entkräften. Nämlich, dass man mich nur deshalb von der Liste der Live-Performer gestrichen hat, um ein breiteres TV-Publikum zu erreichen. Wie konnten sie zulassen, dass sich diese Geschichte so ausbreitet, und dann noch nicht einmal darauf reagieren? Sie haben weder eine Presseerklärung abgegeben, noch mit mir gesprochen oder irgendwie versucht, den Schaden zu begrenzen. Sie haben das einfach im Raum stehen lassen. Was zu der Theorie passt, dass man in Amerika reich sein muss, um mit Würde behandelt zu werden. Deswegen sagt Beyoncé auch am Ende ihres neuen Songs: „My money is my best revenge.“

Bei deinen kommenden Konzerten willst du dich auf der Bühne diverser Avatare bedienen. Was darf man sich darunter vorstellen? Ich werde mit Porträts arbeiten und mit der Idee eines weiblichen Orakels. Denn wenn es mir gelingt, meine Stimme von meinem eigenen Körper zu trennen und sie einem anderen zuzuschreiben, der sich visuell genauso stark auszudrücken vermag wie ich stimmlich, dann wäre das ein sehr starkes Werkzeug – also fast wie Propaganda. Ich wäre dann noch überzeugender und verführerischer. Wer weiß, vielleicht wären die Leute dann noch mehr bereit, ihr Herz für mich zu öffnen. Eben weil sie meine Kunst durch eine andere Linse erleben als bisher – nämlich ohne den Anblick meines Körpers.

Ist der so ein verstörendes Element? (lacht) Für mich nicht mehr. Die Tatsache, dass ich jetzt als Anohni auftrete, zeigt, dass ich mit mir im Reinen bin. Ob das auch für andere gilt, kann ich nicht beurteilen. Aber ich weiß, dass ich sie mit meiner Stimme berühren kann. Das ist etwas, das mir Selbstvertrauen und Stärke gibt.

Interview: Marcel Anders

Anohni, 28.06., 20:00, Temprodrom

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