Bühnen-Tipp der Woche

Mozart mit Rissen: „Die Entführung aus dem Serail”

27. Juni 2016

Diese Oper lässt sich leicht hassen. Allein schon die frivole Handlung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“, die wie ein Kasperle-Märchen aus 1001 Nacht daherkommt und dabei sexistische, exotistische und rassistische Klischees versammelt: Die spanische Edeldame Konstanze und ihre Bediensteten Blonde und Pedrillo werden von Piraten entführt und landen als Sklaven im Palast des osmanischen Statthalters Bassa Selim. Die beiden Frauen kommen in den Harem, Pedrillo in den Garten, alle werden vom Haremswächter Osmin schikaniert. Konstanzes Bräutigam Belmonte befreit die Gefangenen – nachdem er sich von der Treue der Frauen überzeugt hat. So weit, so chauvinistisch. Andererseits gibt es darin Musiknummern, die verblüffend differenzierte Einsichten in Hinblick auf Verlustängste, Vertrauen, Besitzdenken und individuelle Freiheit gewähren. Längst hat die Regie den Blick geschärft: 2004 erzählte Calixto Bieito an der Komischen Oper Berlin die Geschichte drastisch in einem Szenario aus organisiertem Verbrechen und Zwangsprostitution. Kürzlich präsentierte am Opernhaus Graz Eva-Maria Höckmayr die „Entführung“ klug als Beziehungskrise während eines Wochenendtrips nach Istanbul à la Schnitzlers „Traumnovelle“.

An der Deutschen Oper inszeniert das Singspiel nun Rodrigo García  – gerne als „Regie-Extremist“ bezeichnet und in Berlin bekannt durch „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“ an der Schaubühne. „Ich versuche alles zu vermeiden, was mit Illusion auf dem Theater zu tun hat. Ich ziehe eine rohe Fiktion vor, wo das Publikum die Risse und offenen Nähte sieht“, sagt García im Gespräch mit SIEGESSÄULE über sein Theater. Mozarts Oper, Garcías Musiktheaterdebüt, möchte er als „ungewöhnliche Geschichte erzählen, auf der Basis menschlicher Leidenschaften. Auf diese Weise, ohne es überhaupt zu forcieren, wird daraus etwas Politisches, weil von Themen wie Geschlecht, Sexualität, Eigentum, Gewalt und Macht gesprochen wird.“ Vor allem dürfte er die Geschichte kräftig gegen den Strich bürsten. Der orientalische Herrscher Bassa Selim wird von einer Frau gespielt. Also ein mögliches lesbisches Happy End zwischen Bassa und Konstanze? García lässt es offen: „Vielleicht möchte ich nur erzählen, dass wir Menschen uns für jemanden entscheiden, der uns guttut, gleichgültig, ob diese Person Brüste oder Hoden hat. Aber vielleicht braucht und wünscht Konstanze auch am Ende niemanden, mit dem sie zusammen ist.“ Auf jeden Fall misstraut er dem hehren Befreier Belmonte: „Mir gelingt es nicht, Belmonte seine Liebe zu glauben. Er singt, dass er Konstanze liebt, aber er ist nicht bei der Sache.“ Und was ist mit der englischen Zofe Blonde, die gerne als frühe Feministin betrachtet wird, weil sie mit den Männern Tacheles redet? García: „Für mich stellt sich heraus, dass der Diskurs von Blonde zwar feministisch, aber vor allem rassistisch ist. Als kultivierte englische Frau betrachtet sie sich als höherstehend gegenüber Pedrillo und Osmin, die sie als Barbaren ansieht.“ Die Neuinszenierung dürfte also Überraschungen bereithalten. Auch, weil für die Kostüme der Designer Hussein Chalayan zuständig ist, der gezeigt hat, wie politisch Mode sein kann. Und weil Generalmusikdirektor Donald Runnicles im Orchestergraben den Klang aufrauen will.

Eckhard Weber

Die Entführung aus dem Serail, 17. (Premiere), 28.06., 01. und 06.07. 19.30, Deutsche Oper

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.