Pride in Istanbul

„Sobald ein Zeichen der ,Rebellion' aufkommt, werden die Leute gejagt ...“

1. Juli 2016

Die Berliner AktivistInnen Christian Rudolph und Yasemine-Blanche Werder sind am vorletzten Wochenende in die Türkei gefahren um die dortige LGBTI*-Community beim Trans*Pride zu unterstützen. Nun sind sie zurückgekehrt mit vielen Erfahrungen, Fotos und Videos im Gepäck. Im Interview erzählen sie davon ...

Das Verbot des Trans*Pride in Istanbul war ein Eklat, der sich schon im Vorfeld angekündigt hatte. AktivistInnen aus aller Welt reisten nach Istanbul, um die Community zu unterstützen, unter ihnen Chrstian Rudolph und Yasemine-Blanche Werder, die uns nach ihrer Rückkehr von ihren Erlebnissen berichten

Was war der Grund dafür, dass ihr nach Istanbul geflogen seid?
Wir verbinden seit einigen Jahren regelmäßig unsere Türkei-Urlaube mit dem Austausch mit verschiedenen Aktivisten*Innen vor Ort. In diesem Jahr wollten wir erstmalig an der Trans*Pride teilnehmen und die Panels, die im Vorfeld vom Verein LGBTT Istanbul organisiert wurden, zu besuchen. Das ging sich in den letzten Jahren mit der Berliner Pride nicht aus. Uns war es nach der gewaltsamen Auflösung der großen Pride in Istanbul im letzten Jahr ein wichtiges Anliegen, da zwar viele die große Pride verfolgen, aber die Trans*Pride in den letzten Jahren nicht diese Aufmerksamkeit hatte.

Mit wem seid ihr dort im Kontakt?
Mit verschiedenen Aktivisten*Innen und engagierten Privatpersonen, mit Kaos GL, der Istanbuler Aids Hilfe Positif yasam, dem türkischen Schiedsrichter Halil Ibrahim Dincdag, queeren Fussballfans, PolitikerInnen, AnwältInnen sowie der Filmemacherin Maria Binder und Ebru vom Verein LGBTT Istanbul. Maria und Ebru haben wir beide letztes Jahr über die Berliner QueerAmnesty Gruppe kennengelernt. (Ebru wurde letztes Jahr vom Berliner CSD mit dem Soul of Stonewall Preis für ihr Engagement für Trans- und Intermenschen ausgezeichnet, SIEGESSÄULE berichtete)

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Wie ist die Stimmung vor Ort? Was nehmt ihr ganz allgemein an „Atmosphäre“, an Eindrücken wahr?
Wir erleben immer wieder eine sehr aktive und starke Szene, die sehr jung und feministisch geprägt ist. Die auch gerade nach den Gezi-Park Protesten von einer breiten Gesellschaft Unterstützung erhalten hat. Leider wirken die Repressionen und die Stimmungsmache, gerade gegen LGBTIQ* Menschen seitens der Regierung auf die Menschen vor Ort. So war im Vorfeld der Trans*Pride deutlich zu spüren, dass alle sehr angespannt waren und auch Angst hatten, überhaupt an der Pride teilzunehmen. In den sozialen Netzwerken wurde von rechten Gruppen angedroht, die Veranstaltung gewaltsam zu verhindern. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei sind viele leider schon gewohnt. Dies war aber ein weiterer Faktor, der die gesamte Situation noch unberechenbarer machte, da klar war, dass die Polizei mögliche Attacken von rechten Gruppen nicht verhindern würde. So waren viele auch uns gegenüber zunächst vorsichtig und verhalten misstrauisch.

Was sind die größten Probleme, Befürchtungen der LGBT-Leute in Bezug auf die aktuelle Politik und die gesellschaftliche Situation? Was sind die bestimmenden Diskurse der Leute vor Ort?
Es wird befürchtet, dass sich mit dem weiteren Ruck zum totalitäreren Staat die Stimmung gegen LGBTIQ* Menschen verschärft und alltäglicher wird. So werden zum Beispiel Angriffe, Überfälle und Morde an Trans*menschen von der Polizei nicht verfolgt und ernst genommen. Diese Vorfälle werden zum Teil sogar noch gerechtfertigt und LGBTIQ*-Menschen als Provokation angesehen. Schon jetzt ist die Türkei auf der Liste von Hate-Morden gegen Trans* und Inter*menschen mit 43 Fällen seit 2008, auf Platz eins geführt, und das sind nur die bekannten Fälle. Im harmlosesten Fall werden Trans* Menschen ausgelacht oder auf offener Straße beschimpft.

Wie könnt ihr dort helfen?
Wir können versuchen (hier) auf die Situation aufmerksam zu machen, Fälle von Hate Crime dokumentieren und öffentlich machen. Auch ist die breite Solidarität wichtig und gibt vielen vor Ort Mut, weil sie spüren, dass sie nicht alleine sind und nicht weggesehen wird. So haben wir im Vorfeld der Trans*Pride auch eine Facebookgruppe gegründet, in der wir unsere Erfahrungen, Eindrücke und Bilder zeitgleich weitergegeben und versucht haben, verschiedene Menschen zu aktivieren.

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Wie lief der Trans*Pride ab? Wer unterstützte euch, wer nicht?
Der Marsch zum Taksim konnte durch die Einkesselung seitens der Polizei nicht stattfinden. Der Taksim Platz war auch nicht begehbar, da er umfangreich abgesperrt war.Die Stimmung war vonseiten der Aktivistinnen friedlich, entschlossen mit einem Hauch von Angst. Die Stimmung der Polizei war hasserfüllt, arrogant, herablassend, gewalttätig und unberechenbar. Vonseiten der Gesellschaft geht die Akzeptanz von Gleichgültigkeit über Verabscheuung bis zu Unterstützung. Besonders von einer linksaktiven Intellektuellen-Hetero-Community wie KünstlerInnen, Studierende, Cafe+PubbesitzerInnen geht eine breite Unterstützung aus. Die Überschrift des Events war „Widerstand und Frieden“. Das sagt eigentlich alles. LGBTI*Q Aktivistinnen, intellektuelle Hetero-Menschenrechtsaktivistinnen, freie Journalisten und ältere Bürgerrechtssaktivistinnen waren da. In unserem Erfahrungsbericht, den wir auch bei der Soli-Kundgebung eine Woche später vor der türkischen Botschaft in Berlin vorgelesen haben, schildern wir noch mal im Detail unsere Eindrücke zum Ablauf. Dieser wurde auch vom LSVD Berlin-Brandenburg online gestellt.

Ihr unterstützt ein bestimmtes Community-Projekt, die finanzielle Probleme hat. Um welche Einrichtung handelt es sich?
Der Verein LGBTT Istanbul, der auch Ausrichter der Trans*Pride Istanbul ist, hat sich 2007 gegründet und ist seit 2010 ein eingetragener Verein. Mit viel Aufwand und Eigenengagement haben die Vereinsmitgliedern und EhrenamtlerInnen aus der Community ein Trans*haus in Istanbul eingerichtet. Dort können bis zu 20 Personen leben. Menschen, die vor Gewalt, Krieg oder Verfolgung geflohen sind oder obdachlos geworden sind, weil sie krank und mittellos geworden sind. Ohnehin gibt ja sehr häufig für Trans*Menschen in der Türkei keine Möglichkeiten, einen Unterhalt zu erwirtschaften oder eine Art von sozialer Absicherung. Derzeit leben acht Menschen in dem Haus. Sie kommen aus dem Iran, Irak, Syrien, dem Libanon und auch aus der Türkei. Allen geht es dort den Umständen entsprechend gut. Die Unterstützung untereinander ist groß, auch wenn alle ihre eigenen Sorgen, Ängste haben und auch erst einmal das Erlebte verarbeiten müssen. Der Verein LGBTT Istanbul versucht daher, auch Ärzte, Psychologen, Anwälte und SozialerbeiterInnen zur Unterstützung zur Seite zu stellen. Das sind alles sehr notwendige Punkte, die aber nur durch die Bereitschaft von Spenden geleistet werden können. Es gibt keinerlei Förderung für das Trans*haus, ein solch wichtiges Projekt zu halten ist daher eine sehr aufwendige Geschichte. Wir hoffen in der nächsten Zeit eine Kampagne zur langfristigen Erhaltung des Trans*haus starten zu können. Über Unterstützung und Ideen für die Kampagne, würden wir uns sehr freuen, auch über Spenden an den Verein LGBTT Istanbul.

Interview: Andreas Scholz

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