Bühnentipp der Woche

Stars unter freiem Himmel

18. Juli 2016
© Davids

Seitdem das Festival 1992 mit Tenor-Legende José Carreras seine Premiere erlebte, hat es sich zum Publikumsmagneten entwickelt. Das Angebot von Klassik über Operette bis Jazz, Swing und Pop hat eben für jeden etwas parat. Diesmal ist auch wieder das Konzerthausorchester dabei, quasi als Heimspiel, der Gendarmenmarkt ist ja praktisch die verlängerte Terrasse des Konzerthauses. Und dieser Abend, der rockt die sich letztlich an die breite Masse richtende Mainstream-Veranstaltung so richtig queer. „Queering the Pitch“ heißt ein Standardwerk der modernen Musikforschung. Darin werden KomponistInnen und ihre Werke auf ihre Queerness abgeklopft. Der Titel, „Queering the Pitch“, das ist ein Wortspiel und bedeutet gleichermaßen so etwas wie „den Ton gegen den Strich brüsten“ und somit „den Ton quer machen“, also schief singen beispielsweise. Oder aber eben „den Ton queer machen“. Genau!
Und exakt das setzt das Konzerthausorchester mit seinem Gastdirigenten Kristjan Järvi ganz praktisch beim Classic Open Air um: Järvi, umtriebiger Chef des MDR Sinfonieorchesters, der seit seiner Kindheit in den USA lebt, ist ausgewiesener Spezialist für Musik aus der Neuen Welt. Gerne bringt er mal Einflüsse aus Jazz, Latin und Hip-Hop in den Konzertsaal. Wer ihn je beim Dirigieren erlebt hat, wie Järvi federt, tänzelt, mit den Hüften wackelt, zweifelt kein bisschen, dass der Mann eine Menge Groove bereithält. Für das Classic Open Air mit dem Konzerthausorchester hat er außer einem Stück von Max Bruch konsequent Komponisten ausgewählt, die offen oder im Schrank schwul waren oder bisexuell wie Leonard Bernstein. Mit Ausnahme von Maurice Ravel (nie eine nennenswerte Frauengeschichte, exquisiter Geschmack, Vorliebe für Camp-Stil, lange bevor Susan Sontag den Begriff überhaupt geprägt hat: Nachtigall, ick hör dir trapsen …) sind die Kandidaten aus der amerikanischen Szene.

Von Ravel gibt es seinen „Boléro“ und von Bernstein „Somewhere“ aus „West Side Story“, eine Nummer, die ja seit Langem als queere Hymne eingemeindet wurde. Noch mehr gefällig? „So in Love" aus Cole Porters Musical „Kiss me, Kate" wird erklingen und damit Musik aus dem Genre-Prototyp, wo Homo-Codes herauszulesen sind. Und wenn schon Musik aus den USA, dann darf natürlich George Gershwin nicht fehlen, soll übrigens auch schwul gewesen sein. Er ist gleich mit zwei Knallern vertreten, seiner populärsten Komposition, dem suggestiven, vom Blues getränkten Song „Summertime“ aus der Oper „Porgy and Bess“, und dem farbgesättigten Orchesterstück „Ein Amerikaner in Paris“.
Das ist aber noch längst nicht alles: Neben dem jungen taiwanesisch-australischen Geiger Ray Chen und Sängerin Nadja Michael ist auch Starorganist Cameron Carpenter dabei, die Queerness in Person und eine Naturgewalt an seinem Instrument. Er bringt die rasante Ouvertüre aus Bernsteins Voltaire-Operette „Candide" in einer eigenen Orgelbearbeitung – es müssen ja tatsächlich nicht immer Choräle sein – und von Samuel Barber, der eine echte Diva sein konnte, die „Toccata Festiva“ für Orgel und Orchester. Ein Pflichttermin in der CSD-Saison!

Eckhard Weber

Classic Open Air, 21.–26.07. „Gershwin, Bernstein & Friends“ – Konzert des Konzerthausorchesters mit Cameron Carpenter, Ray Chen und Nadja Michael, 24.07., 19:30, Gendarmenmarkt

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