Film

Der nackte Wahnsinn: 30. Fantasy Filmfest in Berlin

15. Aug. 2016
Swiss Army Man © Fantasy Filmfest

Mumien, Monstren, Mutationen – darauf beschränkt sich das Fantasy Filmfest längst nicht mehr. Stattdessen werden zum 30. Jubiläum wieder alle Spielarten und Zwischentöne des fantastischen Kinos durchdekliniert

Jenseits ausgetretener Pfade wandelt bereits der Eröffnungsfilm „Swiss Army Man“ (17.08., 20:00). Eine surreale Buddy-Komödie, die beim US-amerikanischen Sundance Film Festival einen Teil des Publikums angewidert aus dem Kino trieb. Und ein schönes Beispiel dafür, dass selbst die abwegigsten Filmideen mittlerweile eine prominente Besetzung finden. Daniel Radcliffe, der sein Harry-Potter-Image dringlichst loswerden will, spielt eine aufgeblähte, vor sich hin furzende Wasserleiche, die an den Strand einer unbewohnten Insel gespült wird. Dort entdeckt sie ein Schiffbrüchiger, der aufgrund seiner ausweglosen Situation eigentlich Selbstmord begehen will. Doch die innige Beziehung, die er zu dem Toten aufbaut, wird für ihn zum Rettungsanker. Bei aller Betonung des Fantastisch-Skurrilen – unter anderem beginnt der Leichnam zu sprechen – scheut der Film weder davor zurück, die dunklen Seiten der Geschichte auszuloten, noch dieser „Freundschaft“ deutlich homoerotische Züge zu verleihen.

Auch eine Komödie, die den Mainstream umschifft, ist „My Big Night“ (28.08., 19:15). Und das mit einiger Geschwindigkeit. Denn die Gags werden in Álex de la Iglesias hysterisch-camper Showbiz-Satire im Sekundentakt abgefeuert. In einem TV-Studio wird ein großes Silvester-Special gedreht. Vor den Toren toben Straßenkämpfe, während die Stars und Macher der Show in Intrigen und Mordkomplotte verwickelt sind. Das erinnert an Almodóvars farbenfrohe Anarcho-Komödien. Die größte Diva des Films ist der spanische ESC-Star Raphael in der Rolle des sadistischen Showekels Alphonso.

Überhaupt mangelt es diesem Festival-Jahrgang nicht an kräftigen Farben: „Antibirth“ (25.08., 23:15) ist eine psychedelische, visuell äußerst einfallsreiche Variation auf „Rosemaries Baby“, irgendwo zwischen Horror- und Stoner-Film, dazu glänzend besetzt mit „Orange Is the New Black“-Star Natasha Lyonne und Chloë Sevigny („Boys Don't Cry“). Nach einer exzessiven drogengeschwängerten Nacht erwacht ein Partygirl am nächsten Tag unter erheblichen Schmerzen. Sie beginnt zu glauben, schwanger zu sein. Nur mit was eigentlich? Jedenfalls wird dem ungewollten Kind mit Kettenrauchen und Binge-Drinking zu Leibe gerückt.

Wer Glenn Close endlich mal in einem postapokalyptischen Horrorfilm sehen will, bekommt in „The Girl With All The Gifts“ (20.08., 20:30) Gelegenheit dazu. Hier spielt sie die Überlebende einer Zombie-Epidemie. Sie führt Experimente an infizierten Kindern durch, um ein Heilmittel zu finden. Im Rahmen des Festivals klingt das fast schon nach klassischer, gediegener Unterhaltung. Kein Vergleich zu den aus Bratwurst bestehenden Nazi-Zwergen, die Kanada überfallen, in „Yoga Hosers“ (19.08., 19:00) oder dem Killerbett in „Bed of the Dead“ (18.08., 15:00).

Der kreative Wahnsinn regiert im Jubiläumsjahr. Und gerade das macht dieses Festival so sympathisch, in dem die Filme selbst immer noch im Mittelpunkt stehen und das sich auch nach 30 Jahren auf den Enthusiasmus seiner Fanbase verlassen kann. Wenn man sich allerdings für die Zukunft etwas wünschen würde, dann wäre es deutlich mehr queeres Genrekino auf dem Fantasy Filmfest.

Andreas Scholz


30. Fantasy Filmfest, 17.–28.08., Cinestar im Sony Center,
Programm unter
fantasyfilmfest.com

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