Bühnentipp der Woche

„Gianni“ an der Deutschen Oper: „Mode tötet in jeder Saison“

30. Sept. 2016

Das Musiktheaterstück „Gianni“ hat morgen in der Tischlerei der Deutschen Oper Uraufführungspremiere. SIEGESSÄULE-Autor Eckhard Weber sprach in einer Probenpause mit „Gianni“-Autor und -Regisseur Martin Butler und mit Pop-Glamrock-Crooner Alexander Geist, der in „Gianni“ u. a. Medusa verkörpert, das Vorbild für das Versace-Logo

„Gianni“ handelt vom schwulen Mode-Designer Gianni Versace. Was bedeutet er für Euch?
Alexander Geist: Ich kann mir keinen passenderen Protagonisten für eine Oper vorstellen als Gianni Versace. Er hat alles, was nötig ist: Sex, Glamour, Macht, Mysteriöses, Tragödie. Seine Lebensgeschichte ist praktisch schon eine Oper.
Martin Butler: Gianni Versace ist eine der großen Ikonen in der Mode. Er hat die Gesellschaft maßgeblich verändert. Wie kein anderer vorher hat er für seine Mode die Medien eingesetzt, aber auch Stars der Rockszene und aus der Popkultur gewinnen können. Gianni Versace steht für einen rasanten Aufstieg, für schnelles Geld, für eine bestimmte Ästhetik.

Woran denkst Du dabei?
Martin Butler: Beispielsweise an den offensiven Einsatz von Erotik in der Mode und den Mann als Sex-Objekt in der Werbung, aber auch an die Betonung von Berühmtheit, Reichtum, Glamour als Idee in der Mode.

Ist „Gianni“ eine Art musikalisches Bio-Pic über Gianni Versace?
Martin Butler:
Nein, „Gianni“ ist eher eine allegorische Geschichte, wie Mode als Mittel eingesetzt werden kann, um zu manipulieren, und sogar die Psyche von Menschen beschädigt.

Wie geht das vor sich?
Martin Butler:
In der Mode wird einem ein Spiegel vorgehalten: Ein Modemagazin zeigt einem das Bild eines wunderschönen jungen Menschen. Man wird nie so aussehen, aber man kann sich diesen Lifestyle erkaufen. So funktioniert Mode, sie bietet ein Spiegelbild, dem man nicht genügen kann, und verführt auf diese Weise mit Konsumanreizen. Im ersten Teil von „Gianni“ geht es um die Entwicklung und die Hintergründe des Versace-Imperiums. Das reicht von der antiken griechischen Mythologie, der Kopf der Medusa ist ja das Logo von Versace, bis zum Modehaus in Italien und dessen Image.
Alexander Geist: Das alleine ist schon eine spannende Geschichte, wenn man tiefer in das gesamte Umfeld von Versace geht und sich Fragen auftun, man auf Intrigen und Mysteriöses stößt. Etwa, wer hat Versace eigentlich groß gemacht?
Martin Butler: Im zweiten Teil von „Gianni“ geht es dann mehr darum, wie diese Motive seinen Mörder Andrew Cunanan beeinflussten. Erst ist er in diese von Promis, Glamour und Reichtum geprägte Mode-Falle getappt und später wollte er sich daran rächen.

Was ist da genau passiert?
Martin Butler:
Gianni Versace und Andrew Cunanan haben sich vorher nie persönlich getroffen. Er tötete Versace als Vertreter eines Systems, für das dieser stand. Cunanan war ein junger, sehr intelligenter, gutaussehender Mann. Er geriet in die Falle, mehr zu wollen und glaubte den Fantasiewelten der Modemagazine. Er wollte wirklich diesen Lifestyle leben. Schließlich endete er als Escort und kam auf diese Weise tatsächlich auf Hollywood-Premieren, an den Lago di Como und nach Monte Carlo, wo all die Prominenten waren. Als er älter wurde, büßte er sein attraktives Aussehen ein. Das Escort-Gewerbe hat ja ein Verfallsdatum. Er fing dann mit Drogen an und wollte Rache nehmen.

Ihr erzählt die Geschichte im Setting eines Voguing-Balls. Wo gibt es da Berührungspunkte?
Alexander Geist:
Der Gedanke, unbedingt jemand anderes sein zu wollen, das ist sehr bemerkenswert in diesem Stück. Wir haben ja Voguing-Tänzer in der Produktion, die auch Bewegungen aus dem Film „Paris is Burning“ zitieren, eine der bekanntesten Dokumentation über Voguing aus den frühen 90ern. Diese Haltung, die Behauptung, das schönste Super-Modell oder ein erfolgreicher Manager zu sein beim Voguing, das ist auch der Kreislauf der Mode: Manche Models aus „Paris is Burning“ wurden tatsächlich Models. Man kann seine Träume womöglich erfüllen. Aber es gibt auch den tiefen Fall, die dunklen Seiten.

In „Gianni“ gibt es demnach auch kein Happy End …
Martin Butler:
Kein Happy End. Ich meine, es ist die Modewelt. Mode tötet in jeder Saison. So funktioniert Mode. Wenn man eine neue Kollektion hat, muss die alte Kollektion aus der alten Saison getötet werden für die neue.
Alexander Geist: In dieser Saison muss man unbedingt diese Tasche haben, und in der nächsten Saison geht diese Tasche schon überhaupt nicht mehr. Genau so funktioniert Kapitalismus.

Gianni Versace selbst hatte keinen Kontakt zur Voguing-Szene, oder?
Alexander Geist:
Nein, Voguing und Versace sind zwei verschiedene Seiten der Medaille. Die Welt von Versace war tatsächlich die Welt von Geld, Glamour und Jet-Set. Die Voguing-Szene begann als eine Gruppe von Trendsettern unterprivilegierter Menschen in New York Harlem, Menschen, die marginalisiert waren aufgrund ihrer Sexualität, ihrer Gender-Identität, ihrer Ethnizität und oft auch aufgrund ihrer sozialen Klasse. Sie konnten einen glamourösen Lifestyle keineswegs leben. Doch sie taten so und konnten daraus ihre Stärke nehmen. Es war auch eine Gegenbewegung zum damals aufkommenden Grunge-Look. Im Voguing trugen sie weiterhin Schulterpolster und setzten auf Goldapplikationen, auf eine betont elegante Mode. Versace hatte so etwas ja auch in seinen Kollektionen, immer extremer, immer noch mehr Sex, noch mehr Gold. Und die Voguing-Tänzer versuchten ebenfalls, immer noch mehr draufzusetzen. Sie hatten die gleiche Ästhetik.
Martin Butler: Ich finde, die Mode war nie so nah an der Travestie wie in den Kollektionen von Versace. Eine Frau in Versace sieht fast wie eine Parodie einer Frau aus, wie eine Drag-Queen.

Lasst uns noch über die Musik des Berliner Club-Kollektivs Brand Brauer Frick für „Gianni“ sprechen …
Alexander Geist:
Sie ist großartig …
Martin Butler: … eine Mischung vieler Einflüsse. Brand Brauer Frick treffen auf Oper und Pop. Manche Passagen sind auch wie House, manche sind sehr perkussiv. Die Musik treibt das Drama wirklich an …
Alexander Geist: … und es ist wirklich tolle Musik zum Singen.

Interview: Eckhard Weber

Gianni, mit Brandt Brauer Frick, Alexander Geist, Claron McFadden, Amber Vineyard, Seth Carico u. a., 01.10. (Premiere), 02., 07., 08., 12.–15.10., 20:00, Deutsche Oper/Tischlerei

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