Trans* March

„Selbstbestimmung? Fehlanzeige!“

8. Okt. 2016
Gabriel Kohnke kommentiert die aktuelle (rechtliche) Situation von Trans*menschen

Trans*menschen haben in den letzten Jahren zwar einige Rechte eingeräumt bekommen. Es reicht aber noch lange nicht aus, findet Gabriel Kohnke und sagt in seinem Kommentar, woran das System krankt

Einige der wichtigsten Entscheidungen meines Lebens konnte ich nicht alleine treffen. Ich musste sie absegnen lassen: von Richter_innen, gerichtlichen Gutachter_innen, Psychiater_innen und Therapeut_innen. Hätte nur eine dieser Personen meine Entscheidungen nicht befürwortet, säße ich heute nicht hier. Warum das so ist? Weil ich trans* bin.

Selbstbestimmung? Fehlanzeige! Nur wer in die geschlechtlichen Vorstellungen der Medizin und des Rechtssystems passt, findet Anerkennung. Nur wer den erforderlichen Pass, die erforderlichen Aufenthaltstitel hat, findet Anerkennung. Nur wer neben der Trans*Diagnose (ja, das ist offiziell immer noch eine sogenannte psychische Störung) keine weiteren Diagnosen zugeschrieben bekommen hat, findet Anerkennung. Nur wer weder körperlich noch psychisch in irgendeiner Form eingeschränkt ist, findet Anerkennung. Nur diese Trans*-Personen können in Deutschland ihren Vornamen und ihren Personenstand ändern lassen. Nur diese Trans*-Personen können trans*-spezifische Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen (eine Krankenversicherung vorausgesetzt).

Viele sagen mir: Das ist doch schon mal was. Viele sagen mir: Sei doch damit zufrieden. Ich antworte: Ja, ich erkenne an, was bisher erreicht wurde. Denn immerhin gibt es festgelegte Verfahren. Nur dadurch sind manche Trans*-Personen in bestimmten Bereichen vor medizinischer und rechtlicher Willkür (getarnt als sogenannte Einzelfallentscheidung) sicher. Natürlich finde ich das gut. Aber das heißt nicht, dass ich keine Kritik an dem bestehenden System habe. Dass ich diese Kritik nicht haben muss.

Die Verfahren und Regelungen schaffen eine Norm. Sie definieren, wie man zu sein hat, welchen Körper man haben muss, wie man zu leben hat, was man zu wollen und zu tun hat, wenn man trans* ist. Die Verfahren und Regelungen sorgen dafür, dass man dies zu beweisen hat. In 18 Monaten Psychotherapie, in stundenlangen Gesprächen mit psychologischen Gutachter_innen, Richter_innen und durch ärztliche Untersuchungen.

Wer abweicht, bekommt gar nichts. Wer abweicht, dem werden Hürden in den Weg gelegt, die sich nicht wieder aus dem Weg räumen lassen. Wer abweicht, muss sich auf langwierige Verfahren einstellen.

Ich frage mich, warum wir noch immer in diesem System stecken: Noch immer dürfen Trans*-Personen nicht selbst entscheiden, ob sie Hormone nehmen möchten oder nicht, welchen Personenstand sie führen möchten. Warum ist es nicht meine Entscheidung, welchen Vornamen ich tragen möchte und ob dieser männlich, weiblich oder neutral verstanden werden kann? Warum müssen Trans*Personen von dem einen klar definierten Geschlecht in das andere klar definierte Geschlecht wollen? So viele verorten sich irgendwie außerhalb der beiden vorgesehen Optionen … Gleichzeitig wird Inter*-Kindern ein weiblicher oder männlicher Personenstand verweigert. Erwachsenen Inter*-Personen werden Vornamens- und Personenstandsänderungen wie auch trans*-spezifische Gesundheitsversorgung vorenthalten, weil sie per Definition der Medizin angeblich gar nicht trans* sein können.

Warum bekommen nur die Trans*Personen, die einen deutschen Pass haben, Zugang zu den in Deutschland geltenden Regelungen, und nicht alle Trans*Personen, die in Deutschland leben? Warum werden Trans*-Personen der hart erkämpfte Vorname und der hart erkämpfte Personenstand wieder weggenommen, wenn sie ein Kind austragen oder rechtlich anerkennen?

Warum denkt der Staat eigentlich, dass ihn all diese Dinge etwas angehen? Sind das nicht unsere Leben? Unsere Entscheidungen?

Was das Rechtssystem nicht schafft, spiegelt sich auch im Alltag wider: Diskriminierung ist allgegenwärtig. Trans*-Personen werden auf offener Straße angegriffen und bedroht, am Arbeitsplatz diskriminiert (sofern sie einen haben) oder finden keine Wohnung. Die Gesellschaft ist weit weg von Akzeptanz und Offenheit Trans*-Personen gegenüber.

Mein Fazit: Es stimmt, dass manche Trans*-Personen in einigen Bereichen vor rechtlicher und medizinischer Willkür geschützt sind. Aber das reicht noch lange nicht aus. Damit können wir uns nicht zufriedengeben. Deshalb müssen die queeren Communitys weiterkämpfen, sich einsetzen für Veränderungen (innerhalb und außerhalb der queeren Communitys) – jede Person so, wie sie kann und möchte. Aber mit dem klaren Ziel, erst dann Ruhe zu geben, wenn alle sicher und versorgt sind. Ich tue dies unter anderem auch, indem ich am Sonntag zum Trans*March gehe. Sehen wir uns dort?

Trans* March, 09.10., Start: 15:00 am Hermannplatz

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Gabriel Kohnke ist seit 2011 Berater_in bei der Trans*Inter*Beratung, einem Projekt von TransInterQueer e.V., abQueer e.V. und IVIM e.V. Er_sie hat Soziale Arbeit studiert und beschäftigt sich (insbesondere) mit den Themen Trans*, Gender, Diskriminierung, Intersektionalität, Beratung und sexualisierte Gewalt.

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