Interview mit Regisseurin Esen Isik

Spirale der Gewalt: „Köpek – Geschichten aus Istanbul“

12. Okt. 2016
Cagla Akalin als Ebru in „Köpek – Geschichten aus Istanbul“

Der Film „Köpek“ zeigt das bewegende Schicksal dreier Menschen in der türkischen Großstadt, darunter das der Transfrau Ebru. Wir haben mit Regisseurin Esen Isik gesprochen

Die Transfrau Ebru ist eine der ProtagonistInnen in Esen Isiks Spielfilm „Köpek – Geschichten aus Istanbul", der ein düsteres Bild der türkischen Gesellschaft zeichnet. Drei Geschichten, die in Istanbul spielen, werden erzählt: Der kleine Junge Cemo verkauft auf der Straße Taschentücher und wird dabei von der Polizei schikaniert. Die Transfrau Ebru ist Sexarbeiterin. Sie ist in einen Mann verliebt, der sich aufgrund ihrer Trans*identität keine gemeinsame Zukunft vorstellen kann. Hayat trifft sich heimlich mit ihrem früheren Verlobten, um ein letztes klärendes Gespräch zu führen. Ihr Ehemann stellt ihr nach. SIEGESSÄULE-Redakteur Andreas Scholz hat Regisseurin Esen Isik zu ihrem Film und der Situation der türkischen Community befragt

Esen, welche Bedeutung hat die Stadt Istanbul für dich?
Istanbul ist meine Heimatstadt. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Es ist die Stadt, in der ich mich zum ersten Mal verliebt habe. Und es ist die Stadt, in der ich gelernt habe zu rebellieren und zu träumen. Es ist fantastisch, in einer Stadt wie Istanbul Filme zu drehen, in der man das Bild der neuen und alten Türkei sehen kann. Sie repräsentiert die Sehnsucht und den Schmerz dieses Landes.

Die Geschichten in „Köpek" erzählen von Menschen, die nach Freiheit streben, aber sie nehmen auch alle eine tragische Wendung und enden blutig. Warum zeigst du die türkische Gesellschaft aus einer derart pessimistischen Perspektive? Ist die Situation im Moment so verfahren, dass sie dir hoffnungslos erscheint?
Ich habe mich in meinen Filmen immer mit Gewalt an Frauen, Diskriminierung und Chancengleichheit auseinandergesetzt. Die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen, LGBTI und Kinder ist eines der wichtigsten Probleme der Türkei. Es geht für mich nicht darum, eine pessimistische Sicht zu zeigen, sondern die reale und authentische Gewaltspirale dieses Landes auf die Leinwand zu projizieren. Es werden ein bis zwei Frauen pro Tag ermordet! Daher ist es natürlich sehr schwierig von „Hoffnung“ zu sprechen.

Warum hast du dich dafür entschieden, eine Transfrau zu einer deiner Hauptfiguren zu machen?
Trans*menschen in der Türkei müssen mit gravierenden Schwierigkeiten im gesellschaftlichen und beruflichen Leben rechnen. Sie werden Opfer von massiver Gewalt. Erniedrigung und Verachtung sind an der Tagesordnung. Es gibt immer noch keine Anti-Diskriminierungsgesetze in der türkischen Verfassung und kein Gesetz, das Hassverbrechen unter Strafe stellt. Die Figur Ebru kämpft für ihr Leben und darum, in der Gesellschaft als ein respektables Mitglied leben zu können.

Wie ein Großteil der Trans*frauen im Kino, verdient auch Ebru ihr Geld als Sexarbeiterin. Inwieweit entspricht es immer noch der türkischen Realität, dass es für sie kaum andere Möglichkeiten gibt?
Trans*frauen haben in der Türkei kaum andere Möglichkeiten. Die meisten sind gezwungen als Sexarbeiterinnen zu arbeiten.

Wie gut kennst du die queere Community oder auch ganz konkret die Trans*Community in Istanbul?
Ich habe einige Freunde aus der Homosexuellen-Szene von Istanbul. Sie sind sehr stark organisiert. LAMBDA Istanbul, KAOS GL und weitere Organisationen setzen sich aktiv für die Gleichstellung von LGBTIs ein. Von der Regierung oder Gemeinden wird ihnen immer wieder mit Verbot gedroht. Bürgermeister Kadir Toptas wollte Lambda Istanbul verbieten. Laut ihm lässt sich der Verein weder mit der „allgemeinen Moral“ noch mit den „türkisch-familiären Werten“ vereinbaren. Oder der Gay Pride Istanbul bekommt seit zwei Jahren von der Stadtverwaltung keine Genehmigung mehr, aus Gründen der „Wahrung von Sicherheit und öffentlicher Ordnung“. Die Polizei verhinderte eine Veranstaltung mit Tränengas, Gummigeschossen und Wasserwerfern.

Inwieweit hat das politische Klima nach dem Putschversuch auch einen Einfluss auf die queere Community? Ich lebe in der Schweiz und war seit dem „Putschversuch“ nicht im Land. Ich beobachte die Türkei daher zur Zeit nur von außen. Viele Menschen, die ich kenne, haben Angst und leben in großer Ungewissheit. Sie haben keine Ahnung, wohin der ganze „Wahnsinn“ führt und sie haben Angst, ihre Meinung zu sagen. Über das ganze Land rollt eine Verhaftungswelle, die kritischen Stimmen werden stumm gestellt. Ein sehr großer Teil der Gesellschaft ist jedoch von seinem Henker fasziniert und fühlt sich von dessen Ideologien sehr angezogen. LGBTIs, vor allem Trans*menschen, fürchten um ihr Leben. 80 Prozent der Bevölkerung findet Homosexualität moralisch inakzeptabel. Nach dem Putschversuch sind die Gewalt an Frauen und die Homophobie deutlich stärker geworden. Frauen, die nicht ins Einheitsbild der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP passen, werden bestraft. Als Beispiel: eine junge Frau wurde erst kürzlich in einem Linien-Bus brutal geschlagen, weil sie kurze Hosen trug.

„Köpek“ ist 2015 entstanden. Bezogen auf die Veränderungen in der türkischen Gesellschaft in den letzten Monaten, würdest du vor diesem Hintergrund den Film immer noch genauso inszenieren?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Das Drehbuch wurde 2008 geschrieben, der Film 2015 fertiggestellt. Ich denke, ich würde heute einiges genauso schreiben und inszenieren, wobei der Druck vonseiten der Regierung wahrscheinlich stärker spürbar gezeigt werden müsste.

Interview: Andreas Scholz

Köpek – Geschichten aus Istanbul, CH/TR 2016, Regie: Esen Isik
mit Oguzhan Sancar, Beren Tuna, Cagla Akalin, ab 13.10. im Kino

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Regisseurin Esen Isik wurde 1969 in Istanbul geboren. Seit 1990 lebt sie in der Schweiz. Ihr Film „Köpek – Geschichten aus Istanbul“ wurde 2016 mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet.

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