Szene

„Dieser Kiez ist sehr kriminell geworden“

27. Nov. 2016
Herrin deluxe © Jackielynn

Nach nur zwei Jahren schließt die Lieblingsbar in Schöneberg. Herrin deluxe erklärt im SIEGESSÄULE-Interview die Gründe

Die Lieblingsbar in der Eisenacher Straße ist Geschichte. Zwei Jahre betrieb die Herrin deluxe die Schöneberger „Zweigstelle“ ihrer Kreuzberger Erfolgsbar Rauschgold. Nun musste sie aufgeben, da nicht mehr genug Gäste kamen. Im Abschiedsinterview mit SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll benennt sie die Gründe und findet deutliche Worte in Bezug auf die derzeitige Situation im weltweit bekannten Homokiez

Herrin, du hast die Lieblingsbar aufgegeben. Warum? Ich habe die Bar geschlossen, weil die Gäste ausgeblieben sind. Das lag zum Großteil daran, dass dieser Kiez sehr kriminell geworden ist. Ich habe immer wieder von Gästen gehört, dass sie nicht mehr hierherkommen wollen, weil sie Angst haben. Sie selbst oder Freunde sind überfallen oder zusammengeschlagen worden. Und auch meine Leute sind nachts beim Abschließen ausgeraubt worden.

Zugespitzt: Würdest du behaupten, dass die Kriminalität hier im Kiez dir dein Geschäft kaputt gemacht hat? Ja. Die Lieblingsbar liegt in einem „Bermudadreieck“ zwischen den Stricherbars. Es wurden über die letzten zwei Jahre immer mehr Jungs, die hier anschaffen gehen. Als die Blue Boy Bar nebenan aus- und die Toy Boy Bar dort eingezogen ist und dann die Blue Boy Bar 100 Meter Luftlinie entfernt wieder aufgemacht hat, entstand ein richtiger Pendelverkehr.

Als du gemerkt hast, dass zunehmend Leute von Überfällen berichteten, an wen hast du dich da gewendet? Ich habe mich an Maria Tischbier von der Berliner Polizei gewendet und an Bastian Finke von Maneo. Es gab dann Stammtische mit Gewerbetreibenden und der Polizei. Man hat überlegt, was man machen kann mit Videoüberwachung oder so was. Das lief sehr kontrovers ab. Dort waren viele Wirte aus diesem Dreieck, die ganz unterschiedliche Meinungen hatten zur Situation hier. Das ging von alles o. k. und nicht schlimm bis hin zu Geschichten, wo Leute vor den Läden mit Messern bedroht wurden.

Wie war denn dazu die Einschätzung der Berliner Polizei? Haben die euch wahr- und ernst genommen? Ja, die haben uns schon wahrgenommen. Die haben diesen Kiez ziemlich unter Beobachtung, sind da also dran. Man hat das mit der Zeit auch gemerkt. Zum Beispiel fuhren sie verstärkt Streife, Razzien wurden gemacht auf dem Spielplatz und so weiter. Aber insgesamt kann man anscheinend wenig machen. Für eine kurze Zeit haben wir uns mit einer Gruppe von Leuten getroffen, weil wir was unternehmen wollten. Pa$cha war damals einer der Initiatoren. Das ist aber relativ schnell wieder eingeschlafen, weil wir gemerkt haben, dass wir nicht weiterkommen. Viele verschließen hier die Augen vor der Realität. Es gibt zwar eine Bereitschaft, aber eine wirkliche Vernetzung findet zu diesem Thema nicht statt.

Sprechen wir denn hier über „bloße“ Kleinkriminalität oder waren das auch homophob motivierte Übergriffe? Ich glaube nicht, dass Leute hier primär angegangen werden, weil sie schwul sind. Das ist hier mehr Beschaffungskriminalität. Man wird zwar schon mal blöd angemacht, aber von einem dezidiert homophoben Klima hier im Kiez kann man nicht sprechen.

Das Hauptproblem, wenn es darum geht, verlässliche Zahlen zu nennen, ist ja die relativ hohe Dunkelziffer bei Überfällen. Vieles wird nicht zur Anzeige gebracht.
Wir haben den Leuten immer wieder gesagt, dass sie Anzeige erstatten sollen. Ganz viele wollten das aber nicht. Gerade so Männer mittleren Alters, so um die 50. Da war das echt ein Problem. Wahrscheinlich aus Scham.

Wie geht es für dich jetzt weiter? Hast du mit einer Zweigstelle des Rauschgolds abgeschlossen? Erst mal ja.

Zum Abschied: Was wünschst du diesem Kiez? Dass er irgendwann mal wieder ein bisschen bunter wird. Dieser Kiez gilt in der Welt als eines der Aushängeschilder für schwules Leben, und ich wünsche mir, dass er das auch mal wieder wirklich wird. Momentan ist er das meiner Meinung nach nämlich nicht mehr.

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