Bewegungsmelder

Den Faschisten einen Gefallen getan

7. Dez. 2016
Dirk Ludigs © Tanja Schnitzler

Deutschland im Allgemeinen und die Grünen im Besonderen haben ein Problem mit Führungsfiguren – wegen des Faschismus. Jetzt haben sich die Grünen Volker Becks entledigt. Für das Land war es das Dümmste, was sie tun konnten – wegen des Faschismus

Nette Menschen sind selten erfolgreich. Wer oben ankommen will – egal ob in einer Partei, in einem Unternehmen oder im Sport – muss in der Regel bereit sein, ihr Mitgefühl für ihre Gegner*innen in Grenzen zu halten. Sie müssen ihr Ziel fest vor Augen haben und sie müssen manchmal sogar bereit sein, über Leichen zu gehen, um es zu erreichen. Oft sind sie Exzentriker, manchmal Psychopathen, aber immer übertrifft ihr Ehrgeiz den Durchschnitt bei weitem. Sie sind hart gegen sich selbst und erwarten das auch von anderen. Sie sind willens, um es mit einem amerikanischen Sprichwort zu sagen, die Extra-Meile zu gehen.

Volker Beck ist, nach allen diesen Maßstäben, ein Erfolgsmensch. Der Vorsitzende des Hamburger CSD und ehemalige hinnerk-Chefredakteur Stefan Mielchen hat sich vor ein paar Tagen auf Facebook öffentlich daran erinnert, „wie Volker in den 90ern innerparteilich dafür gesorgt hat, dass Kritiker seiner Positionen an den Rand gedrängt und mundtot gemacht wurden.“ Nie werde er vergessen, „wie ich vor bald 20 Jahren bei einer Sitzung der damaligen BAG Schwulenpolitik auf sehr persönliche Weise rundgemacht wurde für einen von mir verfassten Artikel, der den Anspruch von Hofberichterstattung nicht erfüllte. Damals wurde mir mehr als deutlich gemacht, dass ich mit einer Beck-kritischen Haltung bei den Grünen in der Schwulenpolitik nichts zu suchen hätte und nichts werden würde. Volker hat machtbewusst alle Möglichkeiten genutzt, seine Position durchzusetzen.“

Ob Becks Positionen immer die richtigen waren, daran lässt sich ganz bestimmt zweifeln. Ich gehörte in den Neunzigern zu den entschiedenen Gegnern einer Lebenspartnerschaft, wie Beck sie vorschlug, ein Sondergesetz für Schwule und Lesben. Ich glaube, meine Ängste damals waren sehr berechtigt, denn heute sind es unsere Gegner, die das Gesetz gegen uns drehen, als Mittel der Diskriminierung. Aber Beck hat es eben durchgezogen. Es war auch Beck, der auf die CSDs nach Warschau fuhr und nach Moskau und sich eine blutige Nase holte. Beck ließ sich in Istanbul festnehmen. Beck ist im Leben viele Extra-Meilen gegangen, die viele seiner Kritiker – auch ich – nicht bereit waren zu gehen. Das macht ihn nicht unbedingt sympathischer – auch wenn er privat sehr charmant sein kann – aber es macht ihn effektiv.

Man könnte auf Volker Beck verzichten, wenn es normale Zeiten wären. Es gehört nun mal zur innerparteilichen Demokratie, das wurde in den letzten Tagen ja oft genug wiederholt, dass Mandate auf Zeit vergeben werden, dass unsere Politiker*innen mit einem Ablaufdatum kommen. Beck gehört zur Generation Trittin-Künast-Roth, alles Namen von gestern. Es ist also nicht verwunderlich, dass andere, die auch Erfolg haben wollen, Becks Drogen-Erwerb im Frühjahr 2016, seinen Moment der Schwäche, nutzten, um ihn abzuservieren. Aber es sind keine normalen Zeiten.

Natürlich gibt es andere LSBTTIQ-Politiker*innen bei den Grünen. Viele beschweren sich hinter vorgehaltener Hand seit Jahren, dass sie hinter Beck ein Schattendasein fristen. Vielleicht liegt das ja auch daran, dass sie einfach die Extra-Meile nie zu gehen bereit waren, die Beck so oft beschritten hat. Vielleicht liegt es ja nicht nur an Becks Außergewöhnlichkeit, sondern vor allem an ihrer Durchschnittlichkeit, ihrer fehlenden Chuzpe, ihrer unterentwickelten Hartnäckigkeit, ihrer nicht vorhandenen Bereitschaft bis zur Unerträglichkeit auf den Wecker zu gehen für eine Sache, der sie sich verpflichtet fühlen. Vielleicht sind sie einfach alle ein bisschen zu harmlos und zu nett, zu wenig auf Inhalte fokussiert und zu stromlinienförmig auf ihre Parteikarrieren bedacht.

Beck ist ein Ausnahmepolitiker und darum mache ich mir um seine Zukunft wenig Sorgen. Aber die NRW-Grünen haben in dieser Situation ihrer Partei und dem ganzen Land einen Bärendienst erwiesen. Offensichtlich gelingt es den Grünen nicht mal mehr eine kontroverse Persönlichkeit wie ihn auszuhalten, geschweige denn zu erkennen, dass sie solche Figuren dringend brauchen. Dass das Land sie braucht!

Beck hat es mit seiner Authentizität geschafft, Frauke Petry in einer Talkshow an die Wand zu argumentieren. Im deutschen Fernsehen haben das nur zwei hingekriegt und der andere war Brite. In jüdischen Kreisen fragt man sich, was für ein Signal es eigentlich ist, den profiliertesten Fürsprecher der Republik in jüdischen Angelegenheiten vor die Tür zu setzen. Allein die hämische Zufriedenheit im rechten Lager, die grölenden Jubelgesänge der neuen Faschisten angesichts seiner Abwahl müssten dem NRW-Landesverband das Mark in den Knochen gefrieren lassen, wenn sie die Augen weit genug offen hätten, um zu sehen, was gerade um sie herum passiert.

Ich lebe seit einigen Monaten in den USA und kriege aus nächster Nähe mit, wie es sich anfühlt, wenn eine liberale Demokratie sich selbst abschafft. Volker Beck steht wie kein Zweiter in Deutschland für Menschen- und Bürgerrechte und natürlich brauchen wir in diesen Zeiten nichts so sehr wie überzeugende Vertreter für die Rechte von Minderheiten. Die NRW-Grünen haben sich stattdessen für einen Ökobauern entschieden, der sich mit dem Text bewirbt: „Die Gestaltung der Landwirtschaft ist eines unserer Urthemen. Die ökologisch, bäuerliche Landwirtschaft mit artgerechter Tierhaltung ist unser Ziel."

Kann man machen. Natürlich kann man im Angesicht eines atemberaubend rasanten Zerbröselns der liberalen Demokratien, eines exponentiellen Anstiegs des Hasses und einer unerträglichen Zunahme von Homophobie, Rassismus, Antisemitismus in allen seinen gewalttätigen Formen auf den profiliertesten Verteidiger dieser Rechte verzichten. Es ist nur unerträglich kurzsichtig, unfassbar provinziell und Kopf-Tischplatte-dumm. Am zweiten Dezember haben die Grünen den Faschisten in diesem Land einen erheblichen Gefallen getan. Ich bin gespannt, wer aus der Riege der ewigen grünen LSBTTIQ-Hoffnungsträger*innen heraustreten wird, Beck zu ersetzen. Freiwillige vor! Und nicht vergessen: Nett sein zählt nicht!

Dirk Ludigs

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.