OPERETTE

Die Mutter aller Show-Treppen

10. März 2014
Jubel um Clivia!_(c)_Iko_Freese/drama-berlin.de

„Man spricht heut nur noch von Clivia“: Die gesamte queere Kultur-Schickeria ist am Samstag gespannt wie ein Flitzebogen: Kann die Komischen Oper seine Erfolgsserie unter Barrie Kosky tatsächlich weiter fortsetzen? Gleich zu Beginn seiner Intendanz hatte der Australier seine Fühler in Richtung Geschwister Pfister ausgestreckt. „Meine Traumrolle ist die Clivia“, soll Christoph Marti damals geseufzt haben. „I can make your dreams come true“, so die Antwort von Kosky — passte das fast vergessene Werk von Nico Dostal doch ausgezeichnet zu seinem verdienten Konzept, den Schatz der legendären Berliner Operettentradition aus den 20er und frühen 30er Jahren neu zu heben.

Wie praktisch, dass sich in dem Libretto auch für die anderen beiden Pfisters Rollen fanden, die ihnen quasi auf den Leib geschrieben sind. Andreja Schneider führt als resolut-burschikose Kommandantin eine Amazonenarmee (!) an, die in ihren sexy türkis-blauen Uniformen direkt aus einem übersexualisierten Bootcamp entstiegen scheint. Tobias Bonn dagegen wird zum wild-romantischen Gaucho, der sich als Präsident der Revolution entpuppt – und schließlich Christoph Marti: Er lässt keine Sekunde einen Zweifel aufkommen, dass keine seiner Kolleginnen ihm als Clivia das Wasser reichen könnte: als überkandidelte Hollywooddiva, die für ein Filmprojekt ins südamerikanischen „Boliguay“ eingeflogen wird.

Die Berliner Neuinszenierung ist die erste seit der Uraufführung 1933

Zugegebenermaßen: Rein stimmlich gesehen hatte Anneliese Rothenberger die Partie sicher besser im Griff. Derlei muffig-biederen Nachkriegs-Interpretationen haben wir es allerdings auch zu verdanken, dass die eigentlich wilde Melange lange Zeit als unspielbar in der Mottenkiste verschwand. Die jetzige Neuinszenierung ist tatsächlich die erste in Berlin seit der Uraufführung 1933. Erst die Geschwister Pfister unter der Over-the-Top-Regie des gestandenen Musical-Regisseurs Stefan Huber geben den Werk den entscheidenden Schubs, um es aus dem Kitsch in die Welt des ultimativen Camp zu befördern. „Ich bin verliebt, bin so verliebt“: Texte wie diese gewinnen eine ganz neue  Überzeugungskraft, wenn Christoph Marti als Clivia dabei auf einem in Nebelschwaden schwimmenden Schwan posiert.

Die arg versponnene Geschichte – ein amerikanischer Industrieller versucht unter Vorwand eines Filmprojekts seine Investitionen in dem revolutionsgeschüttelten Land zu retten – greift mit der amerikanischen Dollardiplomatie und dem Hollywood-Starkult damals aktuelle Themen auf. Schnell aber wird klar, dass die rasch vorangetriebene Handlung zu allererst nur Vorwand bietet, um zur nächsten, noch klangvolleren Orchestrierung überzuleiten, neu und zugespitzt arrangiert von Kai Tietje. Für das Bühnenbild hat Stephan Prattes unter anderem etwas kreiert, das man in all seiner goldschimmernden Opulenz getrost als Mutter aller Showtreppen bezeichnen kann. Wenn Christoph Marti sie hinabschreitet, ist er endlich auf der ganz großen Bühne gelandet – die er als Ursli Pfister bisher mit eher geringen Mitteln herbeiimaginieren musste.

Die Komische Oper mit ihren Hochkultur-Ressourcen bietet dabei einen Pomp und eine Perfektion, die ein privates Haus nie stemmen könnte – wohl selbst am Broadway nicht. 60 Chorsolisten und zwölf Tänzer bringen die Bühne beim Swing, Foxtrott und Tango unter der schmissigen Choreografie von Danny Costello zum Beben. In Champagnerlaune versetzt spendet das Berliner Publikum Standing Ovations. Auch die Clivia wird Kosky in den nächsten Jahren ein ausverkauftes Haus bescheren.

Carsten Bauhaus

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Clivia, Komische Oper, jetzt auf dem Spielplan

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