Richard Wagner und das deutsche Gefühl

Richard Wagner hat das 19. Jahrhundert in ganz unterschiedlichen Positionen erlebt und geprägt: als wirkmächtiger Komponist und angestellter Hofkapellmeister, als Revolutionär und Exilant, als Bankrotteur und Protegé wohlhabender Mäzene und eines Königs. In seiner neu eröffneten Ausstellung zeigt das Deutsche Historische Museum Wagner nicht nur als Zeugen und Kritiker der politischen und sozialen Umbrüche seiner Zeit, sondern als umstrittenen Künstler und Unternehmer, der gesellschaftliche Befindlichkeiten strategisch in seinem Werk aufzugreifen und als „Deutschtum” zu inszenieren wusste.
In Deutschland und ganz Europa wurde ab den 1840er Jahren zunehmend Widerspruch gegen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen der Moderne laut. Auch Richard Wagner gehörte zu den Kritikern der fortschreitenden Industrialisierung und des Kapitalismus. Gleichzeitig wäre sein künstlerischer Aufstieg ohne einen modernen Kunst- und Musikmarkt nicht denkbar gewesen. Im Deutschen Historischen Museum wird Wagner als Gefühlstechniker sichtbar, der in einer zunehmend kommerzialisierten Welt den gesellschaftlichen Stellenwert der Kunst und des Künstlers neu verortete. Dafür entwickelte er Vermarktungsstrategien, in denen Emotionen eine wesentliche Rolle spielten.

Ausgehend von der starken Polarisierung, die Richard Wagner bis heute auslöst, setzt die Ausstellung sein Leben und Werk in Bezug zu den Strömungen und Stimmungen seiner Epoche. Sie rückt vier Grundgefühle des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt, die als treibende Kräfte die Zeitumstände wie auch Wagners Vorstellungen prägten: Entfremdung und Zugehörigkeit, Eros und Ekel. Die vier Kapitel gehen der Frage nach, wie Wagner gesellschaftliche Gefühlszustände wahrnahm und künstlerisch auf diese reagierte.
Wagners künstlerisches Schaffen steht im Kontext der nach der Reichsgründung in Politik, Wissenschaft und Kunst allgegenwärtigen Suche nach einer deutschen Identität. Auch deshalb gewann in seinen Kompositionen die Frage, wer dazu gehören solle, an Bedeutung. Die verschiedenen Versionen seiner Hetzschrift „Das Judenthum in der Musik” veranschaulichen, dass Wagners ausgeprägter Antisemitismus und sein Nationalismus untrennbar Hand in Hand gingen. Dem Thema widmet sich auch die eigens vom Intendanten der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky geschaffene Installation „Schwarzalbenreich“: In der Dunkelheit eines Raums im Raum vermischt eine Klangcollage ins Jiddische übertragene, antisemitische Wagner-Zitate mit Passagen der antisemitisch überzeichneten Figuren seiner Werke sowie mit synagogalem Gesang.
