Spendenkampagne SIEGESSÄULE

Wolfgang Tillmans: „Ich möchte helfen, die queere Szene zu bewahren.“

13. Apr. 2020 Jan Noll
Bild: Marcus Witte
Künstler und Fotograf Wolfgang Tillmans

Mit der Aktion „2020Solidarity" unterstützen der Künstler und Fotograf Wolfgang Tillmans und seine Stiftung Between Bridges die SIEGESSÄULE bei ihrem Spendenaufruf. Wir sprachen mit ihm über die Aktion, sein Engagement für die queere Szene und das Verhältnis von Politik und Kunst (english version here)

Wolfgang, weißt du noch, wann und wo du deine erste Siegessäule in der Hand hattest? Ich denke, das war 1984. Wir waren auf Klassenfahrt in Berlin aus dem Rheinland und in einer Jugendherberge untergebracht, die direkt neben dem damaligen schwulen Zentrum lag. Da bin ich rein gestolpert und ich schätze, dass ich dort alle Infomaterialien mitgenommen habe, die ein Sechzehnjähriger so mitnimmt. (lacht)

Warst du da schon out? Nee, so halb. Ende des Jahres hab ich es dann meinen Eltern erzählt. Seit 1990 war ich dann ja in England und habe Berlin seitdem regelmässig besucht. Dabei habe ich immer die Siegessäule mitgenommen. Ich muss mal zuhause nachschauen. Ich sammele schwulen Ephemera, Flyer und freie Magazine und so. Ich finde, das ist ein wichtiges Geschichtsgut. An der Siegessäule schätze ich die journalistische Qualität. In London hast du halt Boyz und qx, die null Journalismus haben, sondern eigentlich nur Partyfotos, und wo der gesamte Inhalt abgeglichen ist mit zahlenden Anzeigenkunden. In New York ist das ähnlich. Das ist ein extremer Unterschied. Allein deshalb habe ich die Siegessäule oder ähnliche Magazine immer schon sehr geschätzt.

„Viele können jetzt kein Geld ausgeben. Aber die, die können, sollten das unbedingt tun."

Warum ist die Siegessäule generell ein wichtiges Medium, eine wichtige Institution für diese Stadt? Ich finde, beim allem In-der-Mitte-der-Gesellschaft-angekommen-Sein von Schwulen und Lesben, ist es trotzdem wichtig, dass es ein Medium gibt, das diese Szene, Kulturszene und alle Aspekte des kulturellen und politischen Lebens aus dieser Perspektive betrachtet. Manche mögen vielleicht fragen: „Wozu braucht es das?“ Ich finde, Emanzipation ist nie abgeschlossen und es gibt einfach auch gesellschaftliche Themen, die da verhandelt werden. Alle Themen, die uns betreffen, werden in der Siegessäule auch diskutiert.

Du hast dich dafür entschieden, unsere Spendenaktion mit deiner Kunst und der Kunst von anderen, die du quasi zusammengetragen hast, zu unterstützen. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Als die Corona-Krise begann, war mir schnell klar, dass ich mich da selber auch engagieren möchte. Einerseits mit meiner Stiftung Between Bridges, und auch privat. So wie ich mich auch in den letzten Jahren engagiert habe und gespendet habe. Ich empfinde das als meine Pflicht. Viele können jetzt kein Geld ausgeben. Aber die, die können, sollten das unbedingt tun. Das hilft, viele Sachen am Laufen zu halten. Dann kam ich auf die Idee, diese im Kunstbetrieb oft praktizierte Fundraising-Idee einer limitierten Edition zu erweitern auf eine größere Posteraktion mit ganz vielen verschiedenen Künstlern. So entstand „2020Solidarity“. Das Projekt stellt diese Kunstposter Organisationen, die in Not sind, für ihr Crowdfundings zur Verfügung. Das hatte sich alles innerhalb von einer Woche entwickelt. Und jetzt haben wir beides bei euch auf der Seite: Ein paar limitierte teurere Arbeiten und die ersten Poster von der Aktion „2020Solidarity“, die dann hoffentlich von ganz vielen für ihre Fundings genutzt werden können, in vielen Ländern.

„Ich finde, ihr dürft nicht einfach verschwinden."

Wie hast du denn von der misslichen Lage der Siegessäule erfahren? Siegessäule und ich werden beide von der selben IT-Firma beraten. Im Gespräch mit meinem Techniker kam das so rüber. Aber man braucht ja nicht lange drüber nachzudenken, dass ihr doppelt betroffen seid. Die Verteilungswege sind gleichzeitig auch die Anzeigenkundinnen und beide haben geschlossen. Ich finde, ihr dürft nicht einfach verschwinden. Was einmal weg ist, ist eben nicht morgen wieder da. Ich möchte helfen, die queere Szene zu bewahren. Sie ist wertvoll und eben nicht nur Spaß und ein bißchen was trinken. Das sind essentielle Freiräume, die durch Medien wie Siegessäule vernetzt werden. Und diese Freiräume sind nicht nur Hedonismus. Ich finde, das ist etwas sehr Identitätsstiftendes und für ganz vielen Leute das Erleben einer Freiheit, die sie dort, wo sie herkommen, nicht haben.

Warum ist es dir als Künstler wichtig, selbst und mit deiner Stiftung gemeinnützige Dinge für die LGBTI*-Community zu tun? Weil ich es kann, würde ich es als Mangel oder Wegducken empfinden, wenn ich es nicht tun würde. Und auch aus Dankbarkeit gegenüber den Leuten, die Kämpfe gefochten haben, um die Gesellschaften in Deutschland, UK und Amerika so zu öffnen, dass ich mein Leben so frei und offen leben kann, wie ich das kann. Und deshalb habe ich dann, als ich Geld verdient habe, auch gedacht dass ich LGBTI*-Arbeit, wie sie beispielsweise Amnesty in Osteuropa macht, unterstützen möchte. Dann habe ich meine Stiftung „Between Bridges“ gegründet.

„Politik und Kunst, das sind natürliche Bettgesellen."

Ist dieser gesellschaftspolitische Aspekt auch ein integraler Bestandteil von Kunst generell? Entspricht das deinem Kunstverständnis? Er kann ein Teil sein, aber er muss es auch nicht. Ich finde, das tolle an Kunst ist, dass sie nutzlos ist. Sie ist kein Dach über dem Kopf, sie ist kein Brot in der Hand. Und dass sie so extrem unangewandt ist und ungerichtet, macht sie auch so einmalig. Ich beschreibe Kunst auch manchmal an ungerichtete Forschung. Normalerweise haben Forschung oder auch Design ein Ziel. Auch die Architektur hat ein Ziel und forscht dann in die entsprechende Richtung. Kunst aber ist in ihrer Natur frei und muss erstmal niemandem gehorchen oder dienen. Und das ist an sich eine politische, eine gesellschaftliche Aussage. Ich wurde natürlich oft gefragt in den letzten Jahren: „Müssen oder sollen sich Künstler mehr engagieren?“ Und dann sage ich immer, dass sich jeder Bäcker mehr engagieren sollte. Oder Banker. Man muss nicht die Künstler*innen mehr in die Pflicht nehmen. Aber umgekehrt, die Künstler*innen, die sich engagieren wollen, die sollten das auch tun.

Kunst ist frei, dadurch kann sie natürlich auch sehr leicht mit Sinn aufgeladen werden. Du sprachst von einem Bäcker – ein Brötchen politisch aufzuladen ist wahrscheinlich schwieriger, als ein Kunstwerk politisch aufzuladen. Genau. Und umgekehrt. Jetzt habe ich die Künstler sehr „in Schutz“ genommen. Ich kann nur Kolleg*innen ermutigen. Was wir tun, hat schon identitätsstiftende Wirkung. Alles, was sich gesellschaftlich positiv verändert hat, ist auch begleitet worden von Musik, von Kleidung, von Bildern. Sich da aus der Verantwortung zu ziehen, ist eigentlich völlig unrealistisch. Politik und Kunst, das sind natürliche Bettgesellen.

Wie bewertest du die Situation, die durch die Corona-Pandemie entstanden ist. Wo liegen die Chancen der Situation bzw. was ist die mögliche Utopie im Kontext von Corona – gesellschaftlich, politisch, vielleicht sogar künstlerisch? Es ist gefährlich, zu spekulieren. Was ich schockierend finde, zu sehen, dass der Speckgürtel, der seit der Finanzkrise erwirtschaftet wurde, anscheinend doch sehr dünn ist. Eigentlich wurde seitdem so viel Wert geschaffen, so viel Wirtschaftsleben, Wirtschaftstreiben, das auch irgendwas erwirtschaftet hat. Sprich Geld erbracht hat. Aber trotzdem schaltet in Amerika das System so dermaßen in den Rückwärtsgang, sobald es nicht im absoluten Vorwärtsgang ist. Ich glaube, das da gesellschaftliche Fragen gestellt werden müssen wie: Wofür wirtschaften wir eigentlich? Dieses abendliche Klatschen für Gesundheitsarbeiter*innen, da ist ja wohl hoffentlich jedem klar: Solange Pflegeberufe unterbezahlt sind, ist das Klatschen nur als absolutes Versprechen auf Lohnerhöhung nach der Krise tragbar. Ansonsten ist es eine Frechheit. Und auch Fragen nach allgemeinem Grundeinkommen für alle oder danach, warum Gewinne für einzelne Menschen so groß sein müssen ...

„Dieses Gefühl, dass eine Pause vielleicht gar nicht so schlecht ist, können wir uns vor allem hier im abgesicherten Europa leisten."

Reduktion ist möglich, ist ein Gefühl, dass sich bei mir gerade breit macht. Vor allem, was Konsum betrifft. Ja, aber gleichzeitig muss man aber auch enorm vorsichtig sein damit, das zu loben. Wir waren alle zwar schon durch Greta Thunberg eingestimmt und wussten, dass es zu rund geht und zu viel genutzt, gebraucht und verbraucht wird. Das Problem ist nur, dass wir uns dieses Gefühl, dass eine Pause vielleicht gerade gar nicht so schlecht ist, vor allem hier im abgesicherten Europa leisten können. Diese Gedankenspiele generell. Wer aber in Indien letzte Woche als Hausarbeiter*in gekündigt und auf's Land nach Hause geschickt wurde, leidet jetzt dort Hunger. Für diese Menschen ist die Reduktion nicht so toll. Die Leute, die in Bangladesh die Klamotten für Zara machen, die sitzen einfach da und haben keine Sozialhilfe, die haben keine Abfederung. Da können wir nicht einfach sagen, ein bißchen runterfahren, ist toll, Fast Fashion mal vorbei und wir reisen nicht mehr nach Spanien und sparen ein paar Flugmeilen. Das sind ganze Ökonomien, Menschenleben, die daran hängen. So weiter wie vorher ist sicher auch nicht die Lösung, aber man muss da mit sehr sehr viel Einfühlungsvermögen für die Leiden, die Auswirkungen für Andere rangehen.

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