Siegessäule präsentiert: Homosexualität_en

Mut zur Lücke

3. Sept. 2015
Jim Baker gründete vor 20 Jahren den Querverlag © Anja Müller

Ich gehe gern ins Museum. In Berlin zwar viel zu selten, dennoch stehe ich gern vor Kunstwerken und Schaukästen und bewundere als interessierter Betrachter das Genie und die Kompetenz anderer. Bei der Ausstellung „Homosexualität_en“ ging es mir jedoch anders (nicht, dass ich das Genie und die Kompetenz der KuratorInnen nicht bewundern würde), doch zum ersten Mal fand ich mich in so vielem, was das Schwule Museum* und das Deutsche Historische Museum zusammengestellt haben, wieder. Ich war mitten drin: „Das kenne ich! Da war ich doch. Ach, an sie habe ich schon lange nicht mehr gedacht!“ Solche Sätze gingen mir beim Besuch im DHM ständig durch den Kopf. Und genau das ist meiner Meinung nach das Verdienst dieses Mammutprojekts: Die Ausstellung „Homosexualität_en“ dokumentiert „unsere“ Geschichte.

Bei etlichen Exponaten, Themen und Ereignissen habe ich sozusagen ein freudiges Wiedersehen mit vertrauten Menschen, Vereinen, Szenen und historischen Dokumenten erlebt: Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann, der omnipräsente Magnus Hirschfeld, Charlotte von Mahlsdorf – Pioniere, die uns den Weg bereitet und geebnet haben. Der Teddy-Award, Edefra, Brühwarm – Gruppen, die für Sichtbarkeit kämpften und noch heute kämpfen. Und wenn ich bedenke, wie viel Mühe es kostet, mich hier auf einige wenige Namen zu beschränken, wird mir klar, mit welcher Aufgabe die Verantwortlichen konfrontiert sein mussten, als es darum ging zu entscheiden, was die Ausstellung zeigen soll und was nicht.

Angesichts unserer langen und vor allem fragmentierten Geschichte(n) in Deutschland muss man schon Mut zur Lücke haben, denn eine so facetten- und ereignisreiche Bewegung wie die unsere wird wohl kaum auf wenigen Quadratmetern abgebildet werden können. Daher hat mir persönlich die für viele etwas eigenwillige Herangehensweise erst recht gefallen: von den Videos im ersten „Coming-out“-Bereich, über die alphabetischen, munter durcheinander purzelnden Schautafeln äußerst unterschiedlicher Teilaspekte unserer kleinen Homowelt bis hin zu den „Schimpf und Schande“-Sitzalkoven, wo sich BesucherInnen die Hassreden unserer GegnerInnen bequem und gemütlich anhören können.

Klar, einiges fehlt. Klar, einige Themen hätte man vertiefen können. Und klar, es gibt die übliche Kritik: Den Schwulen sei es zu lesbisch, den Lesben zu schwul und trans*-Themen seien unterrepräsentiert – all das höre ich nicht zum ersten Mal bei einem Unterfangen, das sich verdammt viel vorgenommen hat. Doch ich verbeuge mich mit Ehrfurcht und Respekt vor der Leistung des Teams um Dr. Birgit Bosold, Dr. Dorothée Brill und Detlef Weitz. So viel Genie und Kompetenz kann man nur bewundern!

Jim Baker

Am 8.9. folgt der persönliche Rundgang durch die Ausstellung von Schauspielerin, Moderatorin Sigrid Grajek

Die Ausstellung „Homosexualität_en“ ist noch bis zum 01.12 im Deutschen Historischen Museum und Schwulen Museum* zu sehen

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