Folsom 2015

Saustall: Ausstellung zu Marc Martins Bildband „Dur Labeur“

11. Sept. 2015
Bild aus dem Fotoband „Dur Labeur. Harte Arbeit“ von Marc Martin

Ein halb nackter Bauarbeiter auf dem Gerüst, ein verdreckter Punk in der leeren U-Bahn, vergammelte Schmutzwäsche in der Umkleide: Der Mief scheint einem aus dem neu erschienenen Bildband „Harte Arbeit“ geradezu entgegenzuschwallen. Es sind Impressionen, wie man sie so oder ähnlich auch auf den anstehenden Partys des Folsom Weekends sammeln kann. Genau dann eröffnet in der Galerie Koll and Friends auch die korrespondierende Ausstellung, unter dem Originaltitel „Dur Labeur“.

Viele der Fotos sind in Berlin entstanden. In echten Siff-Ecken, mit richtigen Berliner Dreckschweinen. Der Fotograf Marc Martin lebt im parfümierten Paris, kein Wunder, dass es ihn des Öfteren ins proletarische Berlin zieht, wo man sich olfaktorisch bestenfalls gleichgültig gibt. Gleich mehrere Mottoabende im Berliner Lab etwa kreisen um die schmutzige Thematik. Aber auch für alle anderen Partys dort gilt: „No perfume“. Sehr erwünscht hingegen sind natürliche Ausdünstungen, dafür gerne auch mal etwas abgestandener und gut durchgezogen. Tote Socken, ausgelatschte Schuhe, versiffte Arbeitsklamotten: Der Fotograf Marc Martin feiert in seinem Bildband eine Männlichkeit jenseits der Hochglanzmagazine: „Der Arbeiter in seinem Blaumann symbolisiert den aktiven Mann in all seiner Herrlichkeit. Verschwitzt von der Arbeit, immer fest zupackend.“ Der Proll aus dem Bilderbuch, inklusive sprichwörtlichem Tier im Mann. Einleuchtend ist: Je ungeduschter der Männerkörper, desto mehr Sexualduftstoffe strömt er aus. Unter anderem. Die Lust am Siff ist ein Urfetisch, der ganz nah dran scheint, an der „Realität“. Anders als beim Leder oder Gummi kann der Liebhaber hier einfach durch das vom Bauboom erfasste Berlin streifen und Inspirationen sammeln. Bezeichnend ist, dass es ein Blick von außen bleibt. Echte Bauarbeiter geilen sich wahrscheinlich eher selten an ihrer Versifftheit auf. Marc Martin törnt das noch an: „Die Tatsache, dass diese Männer in diesem Moment, an diesem Ort, überhaupt keine Absicht hegen zu verführen; genau dieses eröffnet mir eine Vielzahl von möglichen Phantasien.“ Als sicher kann wohl gelten, dass man sich auch heute noch in der Welt des Drecks und Gestanks ganz unter Männern wähnen kann. Jede Frau ergreift hier die Flucht, allen voran Mutti. Sie war es doch, die uns als Erste erklärte, dass man sich bitte nicht zusauen soll. Jetzt fällt mit diesem Verbot auch der Rest der Wohlerzogenheit von uns ab. Wie viele Fetische, ermöglicht auch die Lust am Siff eine kurzzeitige Regression in die Kindheit: In jeder großen Drecksau steckt ein kleiner Dreckspatz. Oder eben ein süßer Hosenscheißer – wenn’s hart auf hart kommt. Doch spätestens, wenn man zurück in den eigenen vier Wänden ist, soll dann doch alles wieder an seinem Platz sein und duften. Auch der Urigste unter den Fetischen wird den Makel des Gemachten und Künstlichen nicht ganz los. Fetischisierung ist eben immer auch Inszenierung. Das gibt auch Marc Martin in seinen Texten zu: „Konstruierte Szenen oder Schnappschüsse, meine Bilder lügen nie … oder höchstens ein bisschen!“ Der Lust am Fetisch tut das keinen Abbruch: Mag sein, dass das Objekt der Begierde in Wahrheit gar kein Klempner ist. Und nach dem Date nicht auch noch die verstopfte Toilette repariert. Die Stinkesocken und der Achselschweiß aber, die sind in jedem Fall wohl echt.

Carsten Bauhaus

Ausstellung: „Dur Labeur“, bis 24.10., Galerie Koll and Friends, Vernissage: 11.09., 18:00

Marc Martin: „Dur Labeur. Harte Arbeit“, PiG Prod, 160 Seiten,
50 Euro

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