HIV

Schöne neue Welt mit PreP und Schutz durch Therapie?

1. Dez. 2015
@ Guido Woller

Grindr, PlanetRomeo, Darkroom, Sauna, Park oder das gute alte (beinahe in Vergessenheit geratene) Bett – zu Zeiten von Aids allesamt belastete Abenteuerspielplätze und nur mit Gummi benutzbar. Wirklich? Mit der PrEP (Pre-Exposure Prophylaxis) und TasP (Treatment as Prevention) gibt es zwei neue, recht sichere Möglichkeiten, auch kondomlos Sex zu haben, ohne sich dabei mit HIV zu infizieren. Besonders TasP ist als Erfolg der modernen, antiretroviralen Therapie zu werten: Wenn die Viruslast des Patienten länger als sechs Monate unter der Nachweisgrenze bleibt, gilt er als „nicht mehr infektiös“. Das verhilft positiv/negativen Partnern zu einem deutlich entspannteren Sexualerlebnis. Christoph (46) ist seit über einem Jahr mit Timo (29) liiert. Christoph ist, im Gegensatz zu seinem Partner, positiv. Er hat die Anfänge der „Schwulenseuche“ bewusst miterlebt. „Klar hat man aufgepasst, aber eben nicht immer.“ So infizierte er sich vor 20 Jahren. Die Medis ermöglichen ihm ein normales Leben, er ist beständig unter der Nachweisgrenze. Während sein Partner Timo mit „Sex ohne Gummi“ jetzt keine Probleme hätte, tut sich Christoph noch schwer damit. „Man wird übervorsichtig. Das ist alles ja ziemlich neu.“ Demnächst hat das Paar einen Gesprächstermin bei Christophs Arzt. Timo ist zuversichtlich: „Da kriegen wir ihn schon überzeugt.“

Kai (47) ist seit den späten 90ern positiv und treibt sich ganz gerne in den einschlägigen Internetforen herum. Nach seiner Erfahrung machen aber nur wenige Negative von TasP – was er durchaus hin und wieder praktiziert – Gebrauch. Allerdings: „Negative, die sich von der Angst befreit haben, sind dann sehr süchtig nach kondomlosem Verkehr durch ‚Safer Sex unter Nachweis’.“ Die beanspruchen auch gerne mal das volle Programm des Austauschs von Körpersäften. Für Kai hat sich TasP lebensverändernd ausgewirkt: „Noch bis vor Kurzem war es für mich undenkbar, mit einem Negativen ohne Gummi zu ficken. Ich war da sehr konsequent. Heute kann ich tatsächlich unbeschwerter Sex haben. Das Wissen, dass nichts passieren kann, tut mir und meinem Sexleben sehr gut. Ich spreche aber immer vor dem Sex über meinen Immunstatus.“ Man muss allerdings anmerken, dass es sich bei ihm um eine löbliche Ausnahme handelt. Der Großteil der Positiven outet sich nicht, da man immer noch, auch innerhalb der Szene, als Infizierter stigmatisiert wird.

PrEP, also die Einnahme antiretroviraler Medikamente als Schutz vor einer HIV-Infektion „bei Bedarf“, gibt es seit 2013. In den USA ist diese Therapieform zugelassen und wird von den Krankenkassen bezahlt. Hierzulande jedoch handelt es sich noch um ein kostspieliges „Vergnügen“, bedenkt man, dass der Preis einer Monatspackung Truvada bei rund 850 Euro liegt. PreP anwenden kann also nur derjenige, der sie sich leisten kann. Die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft in Sachen Prophylaxe ist nicht von der Hand zu weisen. Am effektivsten wirkt die PreP bei regelmäßiger Einnahme. Eher frei Schnauze läuft die (Selbst-)Medikation vor beliebten Fick-Events wie „Hustlaball“, Folsom oder „Snax“. Marco (36, negativ) schwört darauf: „Wenn du spontan Sex hast, dann zieht sich nicht jeder gleich die Tüte über.“ Er ist da entwaffnend offen: „Kondome und dieses Vorbereiten und immer mit schlechtem Gewissen – das ist doch total ungeil.“ Für ihn ist die PrEP ein Segen und bislang hat er sich auch „nichts gefangen“. Eine Einstellung, die Thorsten (48), selbst HIV-Veteran und seit Langem Aktivist der Aids-Hilfe, die Haare zu Berge stehen lässt: „Da ist doch die ganze Prävention für den Arsch, wenn wir jetzt sagen: Nimm ein paar Wunderpillen, und dann kannst du alles pimpern, was bei drei nicht auf dem Baum ist.“ Beide Lager haben schlagende Argumente. Die PrEP wie auch TasP nehmen dem HI-Virus seine diabolische Unabwendbarkeit. Auf der Kehrseite der Medaille können sie aber auch eine erhöhte, mitunter zu hohe Risikobereitschaft mit sich bringen.

Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass weder PrEP noch TasP wirklich in der Community hierzulande angekommen sind. Für die meisten sind dies eher wabernde Begriffe, über die man debattiert, ohne sich des Inhalts bewusst zu sein. Dazu meint Dr. Sven Schnellberg aus der Praxis Prenzlauer Berg: „Das Wissen über die moderne Therapie und die Übertragung der Infektion ist gerade bei den Jüngeren doch sehr begrenzt.“ Diese haarsträubende Ahnungslosigkeit muss man als Präambel sehr ernst nehmen, denn erst wenn die Grundkenntnisse der Übertragungswege und der Prophylaxe eingeprägt sind, kann man sich über Alternativen Gedanken machen. Über 400 Neuinfektionen 2015 alleine in Berlin (laut Robert Koch-Institut) sprechen da für sich. Natürlich sieht der Immunologe die Chancen der neuen Methoden: „Bei Paaren mit einem HIV-Infizierten kann TasP nach entsprechender Aufklärung und Kontrolle eine Möglichkeit sein. Es gibt auch Männer, die Probleme haben, übliche Präventionsmaßnahmen zu benutzen, oder die ein besonders ausgeprägtes Risikoverhalten zeigen. Hier kann PrEP einen Schutz darstellen.“ Doch jede dieser Maßnahmen bedarf unbedingt der regelmäßigen ärztlichen Betreuung. Denn sexuell übertragbare Krankheiten wie beispielsweise Chlamydien, Syphilis oder Tripper werden munter weiterverteilt, und wer nach einer HIV-Infektion ohne das Wissen darum eine PrEP nutzt, entwickelt gefährliche Resistenzen. Zudem kann Truvada mitunter sehr üble Nebenwirkungen zeitigen. Ein erster vernünftiger Schritt wäre die Freigabe des Medikaments für die PrEP, um „Risikogruppen“ Zugang und Betreuung zu gewährleisten.

PrEP und TasP sind auch außerhalb von Partnerschaften gute Präventionsmethoden. Klar ist bei ungeschütztem Sex „unter der Nachweisgrenze“ Vertrauen das A und O – ob nun unter festen oder wechselnden Partnern. Und das ist eben auch die Schwachstelle, denn schließlich schleppt man nicht immer ein Unbedenklichkeitsattest mit sich rum. Auf lange Sicht hin wird also das Kondom wohl doch der verlässlichste Schutz vor Infektionen sein. Aber eine gewisse Spontaneität und Unbeschwertheit sind zur Abwechslung auch mal schön. Allemal ist es wichtig, dass die Beteiligten um den Status des anderen wissen. Weg von der Stigmatisierung, hin zur Offenheit – diese Trendwende sollte nach über 30 Jahren HIV und Aids in der Community nun endlich zu vollziehen sein.

Daniel Call

Detaillierte Informationen rund um das Thema PrEP und TasP (Schutz durch Therapie) auf aidshilfe.de

Namen der Privatpersonen von der Redaktion geändert

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.