Interview mit Elmgreen und Dragset

„Wir distanzieren uns klar von Lyngvilds Positionen und provokativen Äußerungen"

10. Jan. 2017
© Tanja Schnitzler

Der Film im Homo-Denkmal wurde heute ausgetauscht, weil dort der dänische Nationalist Jim Lyngvild zu sehen war. Das für den Film verantwortliche Künstlerduo Elmgreen und Dragset spricht darüber im Interview

Durch den Hinweis eines dänischen Touristen wurde SIEGESSÄULE vergangene Woche darüber informiert, dass es sich bei einem der beiden küssenden Männer in dem Video im Homo-Denkmal um den dänischen Designer Jim Lyngvild handele. Er hatte sich in den letzten Jahren öffentlich mehrfach rassistisch und homophob geäußert. (SIEGESSÄULE berichtete). Nachdem sowohl der LSVD als auch das für die Gestaltung des Denkmals verantwortliche Künstlerduo Elmgreen und Dragset Kontakt zur Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas aufgenommen haben, ist der Film heute Nachmittag entfernt worden. Ausgetauscht wurde er durch den zweiminütigen Film von Gerald Backhaus, der bereits zwischen 2012 und 2014 im Homo-Denkmal zu sehen war. Dort werden küssende Männer- wie Frauenpaare gezeigt. Mit dem Künstlerduo Elmgreen und Dragset hat SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll ein E-Mail-Interview geführt.

Könntet ihr uns erstmal vorab erklären, wie damals der Film im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zustande kam, wie die Schauspieler gefunden wurden und was genau das Konzept war. Ihr habt ja bewusst keine deutschen Darsteller für dieses Projekt gecastet. Es ist nun beinahe zehn Jahre her, dass wir diesen Film gemeinsam mit dem Kameramann Robby Müller und dem Regisseur Thomas Vinterberg an genau dem Ort gedreht haben, an dem jetzt das Denkmal steht. Müller konnte sehr rares 35mm-Film-Material aus der ehemaligen DDR auftreiben, das dem Film eine gewisse historische Aura verlieh. Wir arbeiteten mit einer dänischen Filmproduktionsfirma zusammen, die eine Casting-Agentur damit beauftragte, zwei Darsteller für den Film zu finden. Es war uns wichtig, dass diese Männer nicht in Berlin leben, damit sie im Film als neutrale Charaktere wahrgenommen werden können und nicht als jemand ganz Bestimmtes erkannt werden. Deshalb erschien es uns als gute Idee, mit Leuten aus dem Ausland zu arbeiten. Die Kuss-Szene sollte rein fiktional sein und keinen dokumentarischen Charakter haben. Wenn die BetrachterInnen durch das Fenster in der Betonstele schauen, werden sie mit einem Film konfrontiert, der einen Akt homosexueller Zuneigung darstellt. Die Idee war, eine direkte, aber fiktionale Liebesszene zu zeigen, denn Homophobie lässt sich eben nicht allein durch die Regierung und Gesetze bekämpfen. Sie zeigt sich leider auch in offenen Gesellschaften wie der deutschen, wenn homophobe Menschen in der Öffentlichkeit mit Zeichen gleichgeschlechtlicher Liebe konfrontiert werden. Es gibt immer noch wenige sichtbare Zeichen von homosexuellen oder trans* Identitäten in unseren Städten, wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht, und beinahe gar nichts im Bereich Architektur.

Es zeigte sich nun, dass einer der beiden Männer im Denkmal-Film der dänische Nationalist Jim Lyngvild ist. Was genau wisst ihr über diesen Mann und wie steht ihr als Künstlerduo Elmgreen & Dragset zu dieser Enthüllung?
Die öffentlichen Provokationen, die einer der beiden Darsteller Jahre später äußerte, stehen in klarem Kontrast zur Intention des Denkmals und des Films. Wir kennen Jim Lyngvild nicht persönlich und wir möchten uns in jeder Hinsicht von den Bemerkungen distanzieren, die dieser Mann in der jüngeren Vergangenheit in sozialen Medien veröffentlicht hat. Natürlich entzieht es sich komplett unserer Kontrolle, wie sich die Gedanken und Ansichten eines engagierten Darstellers entwickelt haben, aber es bleibt traurig und bestürzend für uns, dass eine solche Situation entstehen konnte. Dennoch finden wir es wichtig, im Kopf zu behalten, dass die Darsteller in keiner Weise als sie selbst in diesem Film auftauchen, der weder ihre persönlichen Leben noch ihre Ansichten repräsentiert.

Was sollte vor dem Hintergrund dieser Informationen über Jim Lyngvild nun passieren? Wir haben Kontakt zur Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas aufgenommen und der Film wurde bereits durch den Gewinnerbeitrag des vorangegangen Wettbewerbs ausgetauscht. Wir distanzieren uns klar von Lyngvilds Positionen und provokativen Äußerungen, die er in einem Kontext außerhalb unseres künstlerischen Beitrags ausgedrückt hat. Gleichzeitig finden wir es verstörend, dass seine Äußerungen nun einen direkten Einfluss auf etwas so Wichtiges wie dieses Denkmal haben. Je mehr mediale Aufmerksamkeit wir solchen Provokationen schenken, desto mehr müssen wir uns mit diesen in Beziehung setzen. Letztendlich lassen wir dadurch zu, dass sie unsere Debatten und Diskussionen bestimmen. Wir hoffen, dass nun neue künstlerische Auseinandersetzungen mit LGBTI-Themen filmisch in diesem Denkmal stattfinden werden, wie es ja auch ursprünglich von uns geplant war. Nicht nur, weil wir uns durch die Äußerungen dieses Darstellers dazu gezwungen sehen, sondern weil es Teil unseres ursprünglichen Konzepts war, dass dieser Film regelmäßig durch einen anderen ersetzt wird. Die Vorschläge für den zukünftigen Film sollten von einer unabhängigen Kommission kuratiert, ausgewählt und durch eine ausreichende Finanzierung gestützt sein, um eine hohe Qualität des filmischen Werks zu gewährleisten. Auf diese Art und Weise kann das Denkmal lebendig gehalten werden und seine Relevanz auf eine dynamische Art und Weise erneuern.

Interview: Jan Noll

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