CSD

Kein Kreuzberger CSD in diesem Jahr?

8. Mai 2017
Kreuzberger CSD 2015 (c) Jackielynn

Der alternative Kreuzberger CSD wird wohl 2017 ausfallen – weil keiner da ist, der ihn organisieren will

Es ist seit 20 Jahren Tradition, dass es in Berlin (mindestens) zwei CSDs gibt: den in Charlottenburg (seit 1979) und einen kleineren alternativen in Kreuzberg, der sich 1997 aus politischen Gründen abgespalten hat. Der große Charlottenburger CSD findet am 22. Juli statt (von nun an immer am vierten Samstag im Juli), der alternative wäre am 24. Juni dran – wenn es ihn denn gibt. Denn im Augenblick kümmert sich niemand darum, es gibt keine Treffen, keine Anmeldung, keine Pläne. Vermutlich wird der Kreuzberger CSD 2017 ausfallen.

„Natürlich wäre das sehr schade“, sagt die Kiezaktivistin und Wirtin Tülin Durman vom Südblock, die seit 2006 den CSD in Kreuzberg mitorganisiert hat. „Ich würde mich sehr freuen, wenn es 2017 einen Kreuzberger CSD gäbe.“ Aber dieses Jahr hält sie sich raus. Auch andere Gruppen/Projekte aus dem Orga-Team der letzten Jahre, die Rattenbar, das SO36 und MashUp, erklären auf Nachfrage von Siegessäule, dass sie nichts von Vorbereitungen für einen Kreuzberger CSD wüssten und auch keine Initiative ergreifen wollten.

Warum? Tülin Durman wird konkret: „Die Welt dreht gerade durch, und die queere Szene in Berlin muss sich zerfleischen! Ich finde diese Auseinandersetzungen inhaltslos und destruktiv.“ Sie bezieht sich darauf, dass das Organisationsteam im Oktober 2016 im Streit auseinander gegangen ist. Das ist kein Novum in der Geschichte des alternativen CSD, dessen Aufruf über Forderungen in Verbindung mit der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität hinausgeht. Die Demonstration richtet sich gegen das politische System, gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Profitgier, Rassismus, Nationalismus, Gentrifizierung. Das Orga-Team besteht aus vielen verschiedenen, streitbaren Gruppen – und immer wieder krachte es unter ihnen.

So brach 2013 der Transgeniale CSD wegen Konflikten um Rassismusvorwürfe auseinander. 2014 sprangen Südblock, SO36 und Möbel Olfe ein und fokussierten den Kreuzberger CSD auf den Kiez und dessen Themen. 2016 wurde der Fokus beim „X*CSD“ unter dem Motto „Queer bleibt radikal“ wieder breiter, und erneut brachen Konflikte auf. Anlass waren Redebeiträge der Gruppe „Berlin against Pinkwashing“ und des Wagenplatzes Kanal, in denen Solidarität mit Palästina und der BDS-Bewegung („Boycott, Divestment, Sanctions“, also Boykott israelischer Waren) ausgedrückt wurde. Im Publikum gab es Zustimmung, aber auch Widerspruch – manche halten einen Boykott-Aufruf gegenüber einem jüdischen Staat für antisemitisch. In der Diskussion vor der Bühne kam es sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, angeblich flogen Bierbecher.

Das Organisationsteam schaffte es nicht, zu dem Konflikt eine gemeinsame Position zu finden. „Die Nachbereitung ist gescheitert“, steht auf der Website. Dazu gibt es zwei Statements: eines von Teilnehmerinnen des X*CSD kritisiert, dass mit moralischem und körperlichen Druck versucht wurde, bestimmte Positionen und Personen vom X*CSD fernzuhalten. Das andere Statement vom Kollektiv der Rattenbar und anderen Menschen aus dem Organisationsteam wird deutlicher: „Wir finden es unerträglich, das antisemitische und auch sonst hetzerische Redebeiträge gehalten und die Kritiker*innen der Reden physisch angegriffen, beschimpft und abfotografiert wurden. Für uns ist der X*CSD ein Kampf- und Feiertag der alternativen LGBT*IQ-Communities. Wir sollten an diesem Tag mutig, bunt und laut sein, für das auf die Straße gehen was uns eint.“ Dieses Jahr ist man womöglich zu uneins, um gemeinsam zu demonstrieren. Auf der Website des X*CSD heißt es: „Ob am 24. Juni überhaupt irgendetwas stattfindet, steht somit bislang in den Sternen. Wir informieren euch, falls es Neues gibt … oder ihr uns?“

Malte Göbel

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