IDAHOT

„Sexualität ist in der Kita ein Tabuthema“

17. Mai 2017
Nuri Kiefer ist Direktor der 1. Gemeinschaftsschule Reinickendorf, Leiter des Vorstandsbereiches Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin und engagiert sich in der AG „Schwule Lehrer“

Ende März ging ein Fall von Homophobie an einer Reinickendorfer Kita durch die Medien (SIEGESSÄULE berichtete): Diverse Eltern hatten massiv gegen die Einstellung eines schwulen Erziehers protestiert und schließlich ihre Kinder aus der Kita genommen. In diesem Zusammenhang wies Nuri Kiefer von der „AG Schwule Lehrer“ gegenüber dem Tagesspiegel auf eine „latente Homophobie im Kita- und Grundschulbereich“ hin. Der Fall zeigte deutlich mit welchen Vorurteilen gerade schwule Männer beim Thema Erziehung und Familie immer noch zu kämpfen haben. Anlässlich des IDAHOT, der sich mit seinem Motto „Love Makes A Family“ auch gegen solche Formen von Diskriminierung richtet,  haben wir mit Nuri Kiefer über dieses Thema gesprochen

Die Diskriminierung eines schwulen Erziehers durch Eltern in einer Reinickendorfer Kita sorgte kürzlich für Schlagzeilen. Handelt es sich dabei um einen Einzelfall?
Betroffene wenden sich selten an Organisationen und Institutionen. Im informellen Gespräch bekommen wir häufiger mit, dass sich Pädagogen diskriminiert fühlen beziehungsweise sagen, dass der Arbeitsplatz Schule oder Kita sie eher hindert, mit ihrer Lebensweise offen umzugehen, weil sie befürchten diskriminiert zu werden. Die Dunkelziffer ist hoch.

Im Reinickendorfer Fall kamen die Vorbehalte vornehmlich von muslimischen Eltern. Haben auch andere den Generalverdacht: männlich, schwul, übergriffig? Latente Homophobie ist kulturübergreifend. Natürlich gibt es in den verschiedenen Kulturkreisen unterschiedliche Ausprägungen. Je näher der schwule Mann an den eigenen Lebensraum heranrückt, desto größer sind die Vorbehalte.

Ich habe den Eindruck, dass Homophobie wieder zunimmt. Viel ist im Bereich des Gefühlten, aber das hängt auch mit dem vermeintlichen Rechtsruck in der Gesellschaft zusammen. Homophobie ist salonfähiger geworden. Man hört wieder: „Macht doch nicht so einen Hype um euer Schwulsein. Seid doch etwas angepasster.“

Haben Lesben im Bildungsbereich weniger Probleme mit Vorbehalten? Lesbische Kolleginnen sind weniger Anfeindungen ausgesetzt. Heterosexuelle Eltern arrangieren sich da eher.

Mit welchen Formen von Diskriminierung müssen schwule Pädagogen rechnen? Offene Diskriminierung findet relativ selten statt, weil durch gesetzliche Regelungen (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Anm. d. Red.) der Arbeitgeber sofort Schwierigkeiten bekommen würde. Was wir jedoch häufiger hören ist so ein Nicht-unterstützt-Fühlen.

Wie gehen Betroffene damit um, wenn sie diese Erfahrung machen? Wenn keine deutliche Unterstützung kommt, bleiben sie erst mal in der Reserve. Sie vermeiden, dass ihre Homosexualität bekannt wird. Das ist vielen ganz wichtig. Schüler sind aber von Natur aus neugierig und interessieren sich für das private Umfeld der Bezugsperson Lehrer. Heterosexuelle Kollegen berichten ganz selbstverständlich, was sie am Wochenende gemacht haben, erzählen von ihrer Partnerin, bringen sie zu Schulfesten mit, und genau darum geht es, dass man sein Leben auch im schulischen Kontext darstellen kann.

Nach Schätzungen arbeiten über 1.000 schwule Lehrer in der Hauptstadt. Raten Sie Ihnen zum Coming-out am Arbeitsplatz? Raten kann man nur, dass sich jeder selbst klar werden muss: Was kann mir widerfahren, wenn ich damit offen umgehe, was passiert mit mir, meiner Arbeit, meiner Authentizität, wenn ich es verschweige?

Das gilt eigentlich für jeden Arbeitsplatz. Genau, aber im Pädagogischen kommt hinzu, dass Sexualität in der Schule, und erst recht in der Kita, immer noch ein Tabuthema ist. Viele Eltern möchten nicht, dass Sexualität thematisiert wird, schon gar nicht offensiv. Es gibt die Furcht, junge Menschen könnten auf die Idee kommen, das mal auszuprobieren.

Wird in der Ausbildung dieser Konflikt angesprochen? Leider noch zu wenig. Es gibt einen Leitfaden zum Umgang mit sexueller Vielfalt, aber ob das thematisiert wird, hängt von den Seminarleitungen ab. Jede Schule soll auch eine Kontaktperson für Diversity benennen. Für diese gibt es, organisiert von „queerformat“, regelmäßige Fortbildungen und einen Erfahrungsaustausch. Sie sind dann auch Ansprechpartner für Betroffene. Nach den neuen Rahmenlehrplänen sind alle Schulen in Berlin angehalten, nicht nur in Biologie, sondern in allen Fächern Diversity und Bildung zur sexuellen Selbstbestimmung anzusprechen. Wo das thematisiert wird, herrscht dann auch ein weniger homophobes Klima.

Interview: Karsten Holzner

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