Politik: Wahlkampf

Martin Schulz im Interview: „Wir wollen die Öffnung der Ehe“

11. Juni 2017
Martin Schulz © Susie Knoll

Was plant die SPD in Sachen Gleichstellung und wie realistisch sind die Wahlversprechen? Im Interview mit der SIEGESSÄULE stand Kanzlerkandidat Martin Schulz Rede und Antwort

Mehr Gerechtigkeit, Lohngleichheit für Frauen und Männer, Öffnung der Ehe, Rassismus, Extremismus und Rechtspopulismus bekämpfen - die Wahlversprechen des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz und seiner Partei sind stark emotional besetzte Themen. Doch was verbirgt sich genau hinter markigen Slogans wie „Zeit für mehr Gerechtigkeit“, und wie realistisch ist eine Öffnung der Ehe überhaupt mit der SPD, die doch bisher am Ende immer vor einem Nein der Union kuschte? Zum Auftakt unserer Berichterstattung zur Bundestagswahl im September hatten wir – noch vor der Wahlschlappe seiner Partei bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – die Gelegenheit, Martin Schulz per E-Mail ein paar brennende Fragen zu stellen

Herr Schulz, waren sie schon mal auf einem CSD? Nein, noch nie.

LGBTI-Belange spielen in Ihrem Wahlkampf aber durchaus eine Rolle. Zum Beispiel die Öffnung der Ehe. Oft wurde kritisiert, dass sich die SPD erst so kurz vor der Sommerpause bzw. den anstehenden Bundestagswahlen an dieses Wahlversprechen von 2013 erinnert. Wieso kommt das Thema erst jetzt auf den Tisch? Dass kommt nicht jetzt erst auf den Tisch. Die SPD setzt sich seit Langem für die Ehe für alle ein. Aber um das durchzusetzen, brauchen wir Mehrheiten, und die hatten wir die letzten vier Jahre nicht. CDU und CSU lehnen die Ehe für alle ab und in einer Koalition kann man keine Politik gegen den Koalitionspartner machen. Wir haben bei den Koalitionsverhandlungen 2013 versucht, die Union aus ihrer homophoben Ecke zu holen. Es ist uns nicht gelungen, aber natürlich bleiben wir dabei: Wir wollen die Öffnung der Ehe. Das schließt die Gleichstellung beim Adoptionsrecht mit ein. Eine starke SPD kann und wird dieses Versprechen nach der Bundestagswahl schnellstmöglich einlösen.

Johannes Kars hat verlauten lassen, dass die SPD alles in ihrer Macht Stehende tun werde, um den Gesetzesentwurf für die Öffnung der Ehe noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Eine Mehrheit in der Bevölkerung und im Bundestag ist vorhanden. Bis zum 30.06. kann die Eheöffnung im Bundestag noch beschlossen werden. Es liegen fertige Anträge vor, über die abgestimmt werden kann. Wird die SPD ihr Versprechen diesmal halten? Wir haben mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz seinerzeit den Maßstab in Europa gesetzt, gegen den harten, ideologischen Widerstand der Union. Mehr als 100 diskriminierende Einzelregelungen sind auf unseren Druck hin beseitigt worden. Wir haben vor allem die Diskriminierungen im Steuerrecht beendet. Und die SPD will ohne Wenn und Aber die Ehe für alle. Die SPD-Bundestagsfraktion hat hierzu Anfang März einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, den die Union bis heute blockiert. Die SPD wird weiterhin dafür werben. Und die Karten werden am 24. September neu gemischt. Dann gilt: Je stärker die SPD aus den Wahlen hervorgeht, desto größer ist die Chance, das endlich auch durchzusetzen.

Sollte es mit der Eheöffnung bis Ende Juni nicht mehr klappen, bleibt sie – ebenso wie das Adoptionsrecht – als erneutes Wahlversprechen für die SPD ein heißes Eisen. Was, wenn Ihre Partei schließlich doch wieder in einer GroKo landet und die CDU weiterhin blockiert? Mein Ziel ist, dass die SPD als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgeht. Wer dann mit uns koalieren will, kann sich bei uns bewerben. Als stärkste Partei können wir unseren Weg weitergehen und fortschrittliche Gesellschaftspolitik machen, die mit Respekt und Anerkennung das Leben der Menschen verbessert.

Als Basis für die strukturelle Diskriminierung von LGBTI-Menschen dient nach wie vor das Grundgesetz, das im Artikel 3, Abs. 3, immer noch kein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität enthält. Auch die rechtliche Situation von inter und trans* Menschen ist nach wie vor in Deutschland schwierig. Die FDP hat diese Themen offensiv in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Wie steht die SPD dazu? Ich kämpfe für eine Gesellschaft, die jedem Menschen respektvoll begegnet. Unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sexueller Identität oder Religion. Unabhängig davon, ob jemand eine Behinderung hat, krank oder pflegebedürftig ist. Es geht mir um Respekt für jeden Einzelnen. Menschen sollen frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten. Die Gleichheitsrechte in Artikel 3, Abs. 3, Grundgesetz, müssen daher um die sexuelle Identität erweitert werden. So steht es auch in unserem Regierungsprogramm.

„Zeit für mehr Gerechtigkeit“ ist der Slogan, mit dem Sie zu diesem Wahlkampf angetreten sind. Was bedeutet generell
Gerechtigkeit für Sie – Stichwörter Altersarmut, Lohndumping, spekulativ ansteigende Preise auf dem Immobilienmarkt …
Gerechtigkeit ist die zentrale Voraussetzung für Zusammenhalt und Wohlstand. Der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht muss uns doch alle aufrütteln. Der große wirtschaftliche Erfolg geht an vielen Menschen in unserem Land vorbei. Natürlich freuen wir uns über eine Rekordzahl an Beschäftigten, und das hat auch viel mit sozialdemokratischer Politik zu tun.

Aber diese Freude über positive Entwicklungen kann doch nicht heißen, negative Entwicklungen zu verschweigen, die es eben auch gegeben hat. Fragen Sie doch mal den Arbeitnehmer, dessen Reallohn seit Mitte der 1990er-Jahre nicht gestiegen, sondern gesunken ist. Und das ist kein Einzelfall. Die unteren 40 Prozent der Beschäftigten haben 2015 real weniger verdient als Mitte der 1990er-Jahre. Den reichen 10 Prozent gehört mittlerweile mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens in Deutschland. Hinzu kommt, dass die Spreizung der Gehälter zunehmend als ungerecht empfunden wird. Wir müssen wieder zurück zu einem Normalarbeitsverhältnis, zu guter Arbeit, unbefristet, mit guten Tariflöhnen. Nach jahrzehntelanger Arbeit muss die Rente ein angemessenes Leben im Alter ermöglichen. Mit einer wirkungsvollen Mietpreisbremse will ich dafür sorgen, dass Wohnen in der Stadt nicht zum Luxus wird. Familien müssen entlastet werden, Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni hilft ihnen am meisten. Sie sehen, es geht um viel in den kommenden vier Jahren.

Sie wollen die „hart arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt stellen“. Wer sind denn Ihrer Meinung nach diese „hart arbeitenden Menschen“ im Gegensatz zu weniger hart arbeitenden Menschen? Artikel 1 unseres Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da gibt es weder Differenzierungen noch irgendwelche Bedingungen. Übersetzt heißt das: Jeder und jede hat den gleichen Respekt verdient. Ich habe diesen Respekt vor der Lebensleistung der Menschen in unserem Land; und es ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die dafür sorgen wird, dass jeder einzelne Mensch, jeder Mann, jedes Kind, jede Frau im Mittelpunkt unseres Denkens und im Mittelpunkt unseres Handelns stehen.

Was halten Sie von einem bedingungslosen Grundeinkommen? Das ist für mich keine Option. Ich denke, unsere Herausforderungen – wie wir die Arbeit der Zukunft gestalten – liegen ganz woanders: Wir müssen sicherstellen, dass die Arbeit nicht das Leben auffrisst, dass die Menschen Zeit für anderes haben. Wir müssen sicherstellen, dass Arbeit gerecht bezahlt wird, und wir müssen sicherstellen, dass die Mitbestimmung im Betrieb ausgeweitet wird.

Der Bild am Sonntag sagten Sie Ende März, Sie würden als Kanzler Folgendes „unmittelbar anpacken“: „die Abschaffung einer der größten Ungerechtigkeiten: dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer“. Das klingt erst mal großartig, doch wie wollen Sie das ganz konkret „anpacken“? Island plant bis 2020 den Gender-Pay-Gap zu schließen, indem Betriebe quasi zur Lohngleichheit gezwungen werden.

Ein vorstellbares Modell für Deutschland? Dass Frauen für die gleiche Arbeit nicht das Gleiche verdienen wie ihre männlichen Kollegen finde ich einen Skandal. Erinnern Sie sich doch nur daran, wie hart es war – auch gegen die ganzen Unions-Frauen – das Entgelttransparenzgesetz durchzusetzen. Es reicht nicht aus, wie Jens Spahn Diskriminierung zu beklagen, aber dann keinen Finger zu rühren, wenn es darauf ankommt. Seit 154 Jahren ist Gerechtigkeit das Markenzeichen der SPD. Ich werde nicht lockerlassen, bis die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern geschlossen ist und für gleiche Arbeit auch gleicher Lohn gezahlt wird. Das Gleiche gilt für das Recht, nach Teilzeit wieder in Vollzeit arbeiten zu können. Das betrifft viele Frauen, die etwa nach der Geburt eines Kindes ihre Arbeitszeit zunächst verringert haben. Die Union lässt die Frauen hier weiter in der Teilzeitfalle sitzen. Das ist nicht gerecht, das werde ich ändern.

Warum sollten Frauen die SPD wählen? Schließlich gab es noch nie eine SPD-Kanzlerkandidatin und die CDU hat immerhin Angela Merkel. Wer hat denn in dieser Regierung gegen den erbitterten Widerstand der Union wichtige Gesetze für Frauen durchgesetzt? Das waren Andrea Nahles, Manuela Schwesig und Heiko Maas. Frauenquote, Lohngerechtigkeit, Reform des Sexualstrafrechts, sodass der Grundsatz „Nein heißt nein“ endlich Gesetz wurde. Die SPD hat vielfach gezeigt, dass Frauenpolitik bei ihr in sehr guten Händen ist.

LGBTI-Asylsuchende aus einem von Deutschland als „sicherer Herkunftsstaat“ eingestuften Land sind in ihrer Heimat nicht zwangsläufig sicher. Man könnte sogar sagen, sie sind es nie. Wie steht die SPD zur Debatte um sichere Herkunftsländer? Und wie soll zukünftig Schutz suchenden/geflüchteten LGBTIs geholfen werden? Wir stehen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik. Das gilt auch bei der Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsländer. Es ist ein Missverständnis, wenn immer wieder gesagt wird, hier gebe es kein Asylverfahren mehr. Hier kommt es auf die Einzelfallprüfung an. Darauf legen wir großen Wert.

Immer wieder wurde der Umgang der Regierung Merkel mit Präsident Erdoýan kritisiert, da sie eine konstante Unterstützung der AKP-Regierung darstelle. Welchen Weg halten Sie für den richtigen im Umgang mit der Türkei, vor allem auch im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen zur EU? Die Entwicklungen in der Türkei sind extrem besorgniserregend. Die türkische Regierung entfernt jeden Andersdenkenden aus dem öffentlichen Dienst, drangsaliert Oppositionsparteien und Medien – und denkt an ein Referendum über die Todesstrafe. Die Demokratie und die gesellschaftliche Pluralität sind ernsthaft gefährdet. Hier darf man kein Blatt vor den Mund nehmen, sondern muss der türkischen Regierung in aller Schärfe deutlich machen, dass es so nicht weitergehen kann. Und klar ist natürlich auch: Ein Beitritt kommt unter den jetzigen Bedingungen nicht in Betracht. Dabei dürfen wir nie vergessen: Erdoýan ist nicht die Türkei.

In Ihrer Rede zur Eröffnung des Wahlkampfes sagten Sie, Sie wollen Rassisten, Populisten und Extremisten den Kampf ansagen. Klingt gut. Wie soll das konkret geschehen? Wir werden im Wahlkampf deutlich machen, dass die Rechtspopulisten eben keine Antwort auf die Probleme der Menschen haben. Die AfD will nichts weniger, als unsere liberale und offene Gesellschaft abschaffen. Sie raunen viel von Volk und Vaterland – als würde das auch nur einen einzigen Arbeitsplatz schaffen. Sie schwadronieren ausgiebig von Nation und Identität – als könnte man damit auch nur eine einzige Schule sanieren. Daher sagen wir ganz klar, die AfD ist keine Alternative für Deutschland, sondern eine Schande für die Bundesrepublik. Das ist die politische Auseinandersetzung, die wir führen müssen. Aber wir werden auch mit aller rechtsstaatlichen Härte gegen extremistische Gewalt vorgehen. Neben der konsequenten Strafverfolgung wollen wir auch die Präventionsarbeit ausweiten. Bereits in den vergangenen Jahren haben wir die Mittel im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ mehr als verdreifacht. Diesen Weg der Vorbeugung wollen wir fortführen. Darum werden wir mit einem Gesetz zur Demokratieförderung und Extremismusprävention die Strukturen der Präventionsarbeit langfristig sichern.

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