Islam

Seyran Ateş: Moschee für alle

16. Juni 2017 Philip Eicker
Seyran Ateş © Müjgan Arpat

Seyran Ateş ist Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Moabit, die Zentrum eines weltoffenen Islams in Berlin sein soll

Am Mittwochmorgen kommt Seyran Ateş mit dem Flugzeug aus Wien, dann gibt sie den ganzen Tag Interviews im Ullstein Verlag, abends sitzt die Berlinerin im Fernsehstudio und diskutiert in der Phoenix-Runde über den Islam – ihr neues Lebensthema. Die Medien reißen sich gerade um die Rechtsanwältin, weil sie am 16. Juni 2017 um 12 Uhr die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Moabit eröffnet hat. Nach dem Freitagsgebet um eins feierte die neue Moscheegemeinde ihre Gründung zwei Tage lang mit Empfängen, Vorträgen und Musik. Wegen des begrenzten Platzes bat die Gemeinde um Voranmeldung.

Im ehemaligen Theatersaal einer evangelischen Gemeinde beten Frauen und Männer gemeinsam zu Allah, Schwule und Lesben sind ausdrücklich willkommen, genauso wie Christen, Atheisten, „auch Suchende“, wie Seyran Ateş gegenüber SIEGESSÄULE betont. „Ich will nur nicht, dass Leute kommen, die sagen: Der Islam ist Terror!“, schränkt sie ein. „Stattdessen möchte ich Leute treffen, die offen sind für einen Dialog, die sehen möchten, dass es auch einen anderen Islam gibt.“

Die Predigt während des Freitagsgebets hält Seyran Ateş selbst. Es geht um Liebe: die Liebe zu Gott, die Liebe zu Menschen, die Liebe in den Gedichten des berühmten Sufi-Dichters Rumi, die Liebe Goethes zum Koran und zur muslimischen Lyrik. „Es wird zu wenig über Liebe gepredigt“, sagt die selbst berufene Imamin, „deshalb will ich über Liebe reden.“ Ursprünglich sollte sogar die Moschee „Liebe und Vielfalt“ heißen, erzählt Seyran Ateş, so wichtig sei der Gemeinde das Thema.

Die Liebe wird nicht von allen erwidert. Vor allem die inklusive Botschaft und die Aufhebung der Geschlechtertrennung ecken an. Auf der Facebook-Seite der neuen Moschee kritisiert ein User, dass sich die insgesamt sieben Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH nur bei der Mehrheitsgesellschaft anbiedern wollten. Nicht alle Zuschriften bleiben sachlich. In einer anderen Mail wurde Seyran Ateş als „Hurentochter“ beschimpft, die der Absender „ficken“ müsse, bis sie „wieder zu Verstand“ komme. „Wenn ich über die sozialen Netzwerke solche beleidigenden Nachrichten bekomme, zielen sie oft auf Sexualität ab“, berichtet die Feministin: „Die ständige Sexualisierung ist mir lästig. Für mich ist das ein Zeichen einer gestörten Sexualität, vor allem bei Männern.“

Die neue Moschee soll auch der Ort sein, an dem sich Menschen kritisch mit Sexualität und dem Verhältnis der Geschlechter auseinandersetzen können. Zum Beispiel soll Ludovic-Mohamed Zahed, ein offen schwuler Imam aus Marseille, vorbeten. Im Anschluss könne man die Themen aufgreifen, schlägt Seyran Ateş vor, etwa beim „Sorbet“, dem geselligen Umtrunk nach dem Gebet, aber auf eine nachdenkliche, respektvolle Weise: „Wenn Ludovic kommt, weiß man, dass er offen schwul ist, aber das Thema soll nicht in den Vordergrund rücken. Wir wollen einfach zusammen sein und sehen wie die Gemeinde darauf reagiert.“ Den Fick-Sprüchen der Hater im Netz will Seyran Ateş mit der friedlichen, ja geschlechtslosen Aura ihres Gebetsraums kontern: „Wenn ich in die Moschee trete, bin ich nur Mensch, nicht mehr Mann oder Frau.“

Bei allem Reformeifer: Seyran Ateş will nicht alle Traditionen entsorgen. Im Gegenteil: Sie ist gläubige Muslimin und führt damit eine Familientradition fort. Ihre Geschwister haben bei der Renovierung des Gebetsraums tatkräftig geholfen und einen schönen hellen Teppichboden verlegt. Natürlich ziehen die Besucher ihre Schuhe aus, wenn sie die Moschee betreten. Es liegen Gebetsteppiche und -ketten bereit. Beim Freitagsgebet trägt die 54-jährige Imamin ein feines weißes Gewand mit langen Ärmeln. „Zuhause kann man auch in Shorts beten“, erklärt die gebürtige Istanbulerin, „aber in der Moschee, wo viele verschiedene Menschen zusammenkommen, sollte man auf sich achten – auch weil wir eine Außenwirkung haben.“ Sie möchte nicht, dass gleich nach der Eröffnung „skandalöse Fotos“ durch die Medien gehen. Für konservative Muslime ist es Provokation genug, dass Männer und Frauen im selben Raum beten. „Ich will nicht, dass unsere Gemeinde verhöhnt wird oder an Pranger gestellt wird“, betont Seyran Ateş.

Die neue Moschee soll nicht nur auf Schwule und Lesben einladend wirken, sondern auch auf konservative Gläubige. In den fast zehn Jahren, die Seyran Ateş an dem Projekt einer toleranten Moschee arbeitet, ist die Kämpferin für Frauenrechte selbst auch toleranter geworden. Musliminnen, die Kopftuch tragen, begegnet sie heute viel offener, erzählt sie: „Durch die Moschee lerne ich viele Leute kennen, die seit Jahren einen offenen, liberalen, toleranten Islam leben. Und zwar nicht nur im Westen, sondern in der gesamten islamischen Welt – von Marokko bis Indonesien.“

Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, Alt-Moabit 24, 10559 Berlin, www.ibn-rushd-goethe-moschee.de

Seyran Ateş: Selam, Frau Imamin. Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete, Ullstein Verlag, 256 Seiten, 20 Euro

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