Kommentar

Warum sich Lesben von der AfD gesehen und verstanden fühlen

8. Juli 2017
Stephanie Kuhnen © Martin Pelzer

Stephanie Kuhnen analysiert und kommentiert die Gründe für eine zunehmende lesbische Präsenz in rechtspopulistischen Strömungen

Die Eheöffnung ist vom Tisch. Die Community steht jetzt um ein Kernthema erleichtert da. Das ist schön. Denn wir haben auch andere Probleme. In den letzten Jahren hat in der Community, erst schleichend und dann immer lauter werdend, eine Entsolidarisierung stattgefunden. Lesben, Schwule und trans*Personen wenden sich gegen die Community, nennen sie im Extremfall „linksgrünversifft“, „politisch korrekt“ oder „islamverherrlichend“. In den meisten Fällen ist das Vertrauen verloren gegangen, dass die Community ihrer Identität eine sichere Heimat gibt.

Natürlich hat es immer auch rassistische und antifeministische Lesben, Schwule und trans* Personen gegeben. Diese Diagnose kann man sich auch auf einen Bierdeckel drucken. Sie taugt ohne selbstkritische Aufarbeitung nur dazu, ein „Wir Guten“ gegen „Ihr Schlechten“ herzustellen. So können sich die einen als Verfechter*innen der „richtigen Seite“ fühlen und die anderen sehen sich als Renegaten, als Rebell*innen und Wahrheitsverkünder*innen mit dem Ergebnis, dass sich beide Seiten als Abgrenzungsfolien brauchen, ja sogar voneinander abhängig machen. Jede Seite hält sich für „richtig“, weil sie eine Seite für „falsch“ hält.

Bisher konnte das Phänomen der sichtbaren Schwulen in der rechtspopulistischen AfD sehr einfach als tradierte Männerbündelei wegdiskutiert werden. Frauen sind aber nicht die besseren Menschen, auch als benachteiligte Mehrheit (51% der Bevölkerung in Deutschland sind weiblich) wirken sie systemunterstützend. Das entlastet selbstredend keinen schwulen Rechten, aber die zunehmende lesbische Präsenz in der Nähe oder direkt im Rechtspopulismus muss thematisiert werden – spätestens nach dem kometenhaften Aufstieg Alice Weidels zur Spitzenkandidatin in dieser Bundestagswahl. Die AfD hat geschafft, was keiner anderen Partei bisher gelungen ist: eine Lesbe mit einer Regenbogenfamilie und einer PoC-Lebensgefährtin als Spitzenkandidaten einzusetzen.

Zudem ist ihr Kernthema Ökonomie eine Kompetenz, für die andere Parteien gewöhnlich Männer als Experten bevorzugen. Und wenn sie in einer Talkrunde sich einer männlichen Übermacht von politischen Gegnern gegenübersieht, dann lässt sie sich nicht auf Nebengefechte locken. Im Gegenteil: sie gewinnt den verbalen Faustkampf in Mimik und Gestik. Das selbstgefällige Dominanzgebaren und die abfälligen Rhetoriken der Männer werden durch ihr Verhalten erst richtig sichtbar. Wenn da Experten auf Alice Weidel einreden, als sei sie ein dummes Mädchen, wird deutlich, dass es offenbar viele Männer in den großen Parteien immer noch nicht geschafft haben, Frauen für ihre Inhalte zu kritisieren und nicht für ihre Geschlechtszugehörigkeit. Alice Weidel tut ihnen nicht den Gefallen, sich zum „Mädchen“ machen zu lassen: aggressiv, feste Stimme, direkter Blick und kein Lächeln, keine defensiven und relativierenden Füllwörter. Autsch! Auf der „falschen“ Seite der Politik eine erfolgreiche Kampflesbe stehen zu sehen, das muss einer Community, die sich als antirassistisch, antisexistisch und linksliberal versteht, doch weh tun.

Aber eben diese Community hat auch versäumt, aktiv darauf hinzuarbeiten, dass es ausreichend lesbische Expertinnen gibt, die sich in ihren Feldern behaupten und Karriere machen können. Das Phänomen Alice Weidel funktioniert nur, weil sie eine Ausnahme ist. Mit den indiskutablen Inhalten hat das wenig zu tun, Politik ist längst auch unabhängig davon ein Personenkult.

In verschiedenen Facebookgruppen sammeln sich Lesben und haben die Themen gefunden, die sie an die reaktionäre Partei anschließen: die Angst vor einer „Islamisierung“, sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen und die Angst vor sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung. Es wird Unmut darüber geäußert, dass sich die Community besorgt zeigt, dass PoC nachts auf den Straßen schutzlos vor rassistischen Übergriffen sind, wohingegen die Schutzlosigkeit von Frauen, also auch Lesben, als Normalzustand unthematisiert bleibt. In dieses Vakuum, das die Unsichtbarkeit der Gewaltform Sexismus produziert, entstehen fatale Opferkonkurrenzen, die von einigen Player*innen geschickt genutzt werden. Ob das nun die Hetze der AfD ist oder eine feministische Zeitschrift wie EMMA, die jüngst in einem Beitrag zu den Dyke*Marches diese auch als Proteste gegen „Die Silvesternacht in Köln“ beschrieb und damit schamlos in ihrem Sinne ideologisierte, bleibt sich gleich. Diese „Silvesternacht“ ist längst als Synonym für die grundsätzliche Bedrohung aller Frauen durch „den muslimischen Mann“ eingeführt.

Dass in der Woche der Eheöffnung Alice Weidel das Thema Gleichstellung mit einer ihr typischen Hetze gegen Geflüchtete verband und man gegen die Bundestagsentscheidung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wolle, hat dem lesbischen Stammtischgeposte keinen Abbruch getan. Im Gegenteil. Das erklärt sich auch daraus, dass vielen feministischen Lesben die Ehe nie wichtig war und gerade diese Institution als Ende persönlicher Freiheit gesehen wurde. Dem Ausrufen von „wichtigeren“ Themen seitens der AfD-Parteivorsitzenden konnte an dieser Stelle sogar zugestimmt werden. Mit einer Community, der die Beseitigung eines Unrechts so elementar wichtig war, wollte man sich an dieser Stelle trotz Verbesserung der eigenen Entscheidungsfreiheit offenbar nicht solidarisieren.

In einschlägigen Facebook-Foren verbinden sich die Schreckensszenarien der AfD-Sympathisantinnen mit Verlinkungen zu Artikeln der EMMA, die auf ihre Weise mit einer Sondernummer zu „Gender-Gaga“ an den Universitäten Kerben schlägt, die auch Birgit Kelle & Co bearbeiten: kritisiert wird eine „Genderdebatte“, die für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbar sei, und eine „Political Correctness“, deren Jargon bereits als absurde Fremdsprache empfunden wird und die jede Debatte verhindere. Es war schon immer ein Problem linker Politiken, dass sie eine Art elitärer Sprache ausbildeten, die den Zugang zu den fortschrittlichen Inhalten erschwerte.

Ein tiefes Misstrauen gegenüber der Akademia, die Frauen den Zugang zu Definitionsmacht über das eigene Leben erschwert, hat es auch schon immer gegeben. So groß die Freude in den 70ern und 80ern über die ehemaligen Women’s Studies war, sieht man sich jetzt von Gender Studies, in denen weiße, heterosexuelle Männer, die Feminismus und Homosexualitätsgeschichte (in Abwesenheit von Lesben) zu ihren Karrierethemen gemacht haben, verraten und verkauft. Lesben sehen sich plötzlich mit Vorwürfen konfrontiert, die angesichts ihres Alltagserlebens völlig absurd klingen. Etwa wenn deutschen, weißen Lesben eine grundsätzliche trans*Feindlichkeit oder Rassismus unterstellt werden. Wenn dann noch EMMA lesbische Wissenschaftlerinnen wie Judith Butler und Sabine Hark als „Sargnägel des Feminismus“ diffamiert, dann rücken Rechtspopulismus und Feminismus gefährlich nah zusammen.

So bizarr diese Komplizenschaft ist: Es gibt Lesben, die sich von rechten Strömungen gesehen und verstanden fühlen. Und es ist ein trauriger Fakt, dass Lesben und ihre Themen zunehmend unsichtbarer in der Community werden. Die Debatten werden in ihrer Abwesenheit geführt. Und je unsichtbarer Lesben in diesen Zusammenhängen werden, desto sichtbarer werden sie im Rechtspopulismus. Die LSBTTI*Q-Community wird als frauenfeindlicher und autoritärer gesehen als die AfD. Da ist etwas gründlichst schiefgelaufen.

Man kann sich jetzt auch zurücklehnen und sagen, die AfD schafft es sowieso nicht über die 5 Prozent-Hürde oder wird die Rolle einer nervigen Opposition spielen, bis sie sich selbst kannibalisiert hat. Oder dass die wenigen „ AfD-Lesben“ eben eine kleine Gruppe von Verknusperten sind. Das löst aber das Problem nicht. Entscheidend ist, dass rechte Homosexuelle und trans* Personen der Mehrheitsgesellschaft eine Liberalisierung reaktionärer und menschenfeindlicher Politiken vorgaukeln. Und rechte Lesben lassen diese antifeministische Partei wie einen Quell der Geschlechtergerechtigkeit dastehen. Ihre Sichtbarkeit lässt auf indirektem Weg die AfD sogar weniger rassistisch aussehen. Mit Alice Weidel ist das gelungen.

Mit einer bloßen Parole wie „Bunt gegen Braun“ kann das Problem des Rechtsruckes auch bei Lesben nicht gebannt werden. Das hat sich in den letzten Jahren als kontraproduktiv erwiesen. Hier haben Lesben, Schwule und trans* Personen die Community als Wahlheimat akzeptierender Vielfalt aufgegeben und das Vertrauen verloren. Ihre Dämonisierung oder Verspottung bestätigt sie nur in ihrer Entscheidung. Um sich selbstkritisch mit den Ursachen zu beschäftigen, muss man keinen AfD-Stand bei den Straßenfesten zulassen oder sich mit dieser Partei beschäftigen. Es darf auch nicht aufgegeben werden, sich eindeutig gegen Rassismus zu positionieren. Doch muss auch die Frage gestellt und offen diskutiert werden, wie Sympathien für eine Partei wie die AfD überhaupt innerhalb einer inklusiven Community entstehen können. Sexismus konsequent zu bekämpfen, wäre schon einmal ein Anfang.

Stephanie Kuhnen

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