Film

Keine Codes, keine Regeln!

4. Dez. 2017
Bild: © Alice Wheeler / Salzgeber
Politisch und frivol: Queercore! © Alice Wheeler / Salzgeber

Muss man, wenn man schwul ist, Designerklamotten und Disco mögen? Bleibt einer lesbischen Musikerin nichts anderes übrig, als auf der Akustikgitarre Folksongs zu klampfen?
Diese drängenden Fragen stellten sich Mitte der 80er-Jahre G. B. Jones (bekannt aus der rein weiblich besetzten Postpunk-Formation Fifth Column) und Bruce LaBruce, der bald als Regisseur queerer Trash-Pornos Kultstatus erreichen würde. Da saßen die beiden frustrierten Punks in einem Keller in Toronto und bastelten an dem DIY-Magazin J.D.s, das wenig später völlig ungeahnt eine ganze Flut an weiteren Fanzines, Bands und Plattenlabels nach sich ziehen würde. „Queercore“, so macht Yony Leysers gleichnamige Doku deutlich, war eine Bewegung, die buchstäblich aus dem Nichts heraus entstand, einfach, weil die Zeit reif war. Politisch und frivol, zeigten Zines wie J.D.s nicht nur den homophoben Machos des damals angesagten Hardcore-Punk den Stinkefinger, sondern auch den angepassten Schwulen und Lesben, die sich in die Vorstädte zurück- gezogen hatten. Keine Codes, keine Regeln! So das Credo der Homocore-Bewegung. Antibürgertum und Antikapitalismus waren Programm – nur eben mit einer Prise Glitter und einer ordentlichen Portion Pornografie versehen.
Wie sehr die ursprünglichen ProtagonistInnen – neben Jones und LaBruce kommen John Waters, Lynn Breedlove, Donna Dresch, Tom Jennings und viele andere zu Wort – mit dieser Einstellung zwischen allen Stühlen saßen, belegt „Queercore“ auf eindrucksvolle Weise. Damit liefert Leyser ein wichtiges Zeitdokument, das nicht nur die Überschneidungen mit der Riot-Grrrl-Bewegung aufzeigt, sondern auch, was später populär gewordene Acts von Pansy Division bis hin zu Peaches und Gossip dem Geist des Queercore zu verdanken haben. Der Mix aus körnigen Konzert- und Filmausschnitten, Zine-Collagen und aktuellen Interviews bildet eine mehr als würdige Hommage an die DIY-Ästhetik des Punk. Darüber hinaus wirft Leysers Doku die Frage auf, wie es heute um den Balanceakt zwischen Anpassung und Widerstand in der LGBTI-Bewegung bestellt ist. Wir haben die Ehe für alle – schön und gut. Doch was ist mit den „Freaks an den Rändern“ (O-Ton Jody Bleyle von der Punkband Team Dresch)? Wie subversiv können wir überhaupt noch sein in einer Zeit, in der „queer“ als modisches Accessoire in Form anklebbarer Schnurrbärte zu haben ist und Popstars wie Miley Cyrus sich als „genderfluid“ outen? Es ist Zeit für eine neue Gegenbewegung! Das zumindest legt dieser kraftvolle Rückblick nahe.

Anja Kümmel

Queercore – How to Punk a Revolution, D 2017, Regie: Yony Leyser, ab 07.12. im Kino

SIEGESSÄULE präsentiert
Preview bei MonGay, 04.12., 22:00,
Kino Internationa
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