Kommentar

Zu weiß, zu männlich, zu schwul? Wie das Schwule Museum* sein Fundament entsorgt

12. Jan. 2018
Till Amelung

Am Schwulen Museum* wurde Kritik formuliert: dessen Ausstellungen spiegelten vor allem weiße, schwule Perspektiven wieder. Till Amelung kommentiert

Pünktlich zum Jahresbeginn hat der Vorstand des Schwulen Museums* seinen Newsletter verschickt, um alle Interessierten auf kommende Veranstaltungen einzustimmen. Groß angekündigt wird das „Jahr der Frau_en“, das queerfeministische Perspektiven stark machen soll: „Nach wie vor reflektieren die Ausstellungen des Schwulen Museum* eher die visuelle und konzeptionelle Hegemonie schwuler Männlichkeit (weiß und cis versteht sich) in der LGBTIQ*-Welt, als dass sie marginalisierte und diskriminierte Positionen in den Vordergrund stellen. Aktuell ist das gerade zu besichtigen in unseren beiden Sonder-Ausstellungen zur Klappenkultur und zu Martin Dannecker, die sie aus unterschiedlichen Perspektiven ebenso liebevoll und begeistert wie unkritisch feiern", so das langjährige Vorstandsmitglied Dr. Birgit Bosold. Im aktuellen Interview mit SIEGESSÄULE-Chefredakteur Jan Noll entschuldigte sie sich für die von vielen wahrgenommene Abwertung der genannten schwulen Ausstellungen, bekräftigte aber ihre Sicht der „enormen visuellen und konzeptionellen Dominanz schwuler Sujets, Figuren, Ästhetiken“.

Wie unter einem Brennglas verdeutlichen die Geschehnisse die Absurditäten dessen, was aktuell unter dem Schlagwort „Intersektionalität“ passiert. Die Behauptung dieser schwulen Dominanz kann nur aufrecht erhalten werden, wenn man einerseits die Tatsache ignoriert, dass seit der Gründung des Schwulen Museums* stets eine Vielfalt von Perspektiven und Themen ausgestellt wurde. Andererseits bekommen die Begriffe cis, weiß, männlich, schwul die Note eines Vorwurfs, von dem aus es bis zur Abwertung nicht mehr weit ist.

Dieser Haltung liegt die ebenso hartnäckige wie falsche Annahme zugrunde, es handele sich bei weißen, schwulen cis Männern inzwischen grundsätzlich um eine gesellschaftlich privilegierte Gruppe. Studien zum Coming-out oder zu Gewalterfahrungen legen beispielsweise auch heute noch ein anderes Bild nahe. Selbst im Bereich der Erinnerungskultur und der Geschichtswissenschaften – etwas, das dem Schwulen Museum* am Herzen liegen müsste – sind Schwule im Vergleich zu anderen Themen immer noch unterrepräsentiert. Doch geschenkt – diese soziale Realität interessiert im Feld queerer und intersektionaler „Interventionen“ leider nicht. Hier ist man so sehr am Lagerdenken orientiert, dass schon die Bezeichnungen „weiß, männlich, cis“ als differenzierte Kritik gelten. Natürlich sind lesbische oder trans Themen unterrepräsentiert, jedoch führt eine Aufrechnung nicht zu mehr Sichtbarkeit.

Über ihre Äußerungen im Newsletter und im Interview hinaus erfährt man von Bosold leider nicht, in welcher Hinsicht die beiden Ausstellungen von Marc Martin und Patsy l‘Amour laLove „unkritisch“ sein sollen. Die Kuratoren beziehen in ihren Ausstellungen eindeutig Position zu ihrem jeweiligen Gegenstand – und genau darin liegt der Gewinn für das Publikum. So gilt Klappensex – auch unter Schwulen – vor allem als etwas, dass nur Klemmschwestern betreiben. Diese verächtliche Haltung erschwert jedoch eine Auseinandersetzung mit allen Facetten persönlicher Sexualität und der schwulen Kultur generell und damit auch eine Akzeptanz schwuler Identität. Im Falle der Ausstellung, die das Lebenswerk von Martin Dannecker in den Mittelpunkt rückt, wird ein Mann geehrt, der viele politisch bewegte Schwule bis heute beeinflusst und dessen Werk in der Auseinandersetzung mit schwulem Leben in der BRD wichtig ist.

Die Geringschätzung gegenüber der Geschichte(n) von Schwulen – wohlgemerkt dem Gründungsfundament des Museums – ist besorgniserregend. Sie drückt sich auch darin aus, dass die hochwertige Dauerausstellung „Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit – Zweihundert Jahre Geschichte zur schwulen Geschichte in Deutschland“, die am alten Standort zu sehen war, in den neuen Räumen noch nicht wieder aufgebaut worden ist. Aus dem Umfeld des Museums heißt es dazu, dass man diese um neue Perspektiven und Gruppen erweitern wolle. Allerdings ist von Bemühungen um eine baldige Präsentation einer überarbeiteten Dauerausstellung nicht viel zu spüren. Die neuen Veranstaltungen und Konzepte müssen sich auch daran messen lassen, wie gut sie neue Zielgruppen erschließen können, wenn das Stammpublikum der schwulen Männer nicht mehr wertgeschätzt wird. Nun gibt es seit mindestens drei Jahren Kritik daran, dass sich das Schwule Museum* immer mehr zu einer Galerie und Spielwiese für Hipster entwickelt, jedoch grundständige pädagogische Vermittlung von historischem Wissen zu wenig stattfindet.

Die Idee, neue Sichtweisen zu eröffnen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch findet sie dort ihre Grenzen, wo Intersektionalität zu einer Opferolympiade gerinnt, die nur danach fragt, wem es denn jetzt am schlechtesten geht. Nicht zuletzt muss man berücksichtigen, dass allein schon aufgrund der Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland mehrheitlich weiße Menschen das historische Tableau füllen. Das intersektionale Wundertier lässt sich nicht an den Haaren herbeiziehen – zumindest nicht ohne postfaktisch zu werden und historisch unsauber zu arbeiten.

Till Amelung

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