Interview

Neuer FU-Präsident Günter M. Ziegler: „schwul – in Berlin kein Thema“

28. Mai 2018
© Kay Herschelmann/ BMS

Mit dem Mathematiker Günter M. Ziegler hat die Freie Universität Berlin seit Mai einen offen schwulen Präsidenten. Wie er das erlebt und was er in Sachen Vielfalt umsetzen will, erzählte er uns im Interview

28.05.18 – Herr Prof. Ziegler, sie wurden Anfang Mai zum neuen Präsidenten der Freien Universität (FU) gewählt. Erstmal Glückwunsch! Danke! Das freut mich sehr. Von allen Seiten haben mich Glückwünsche und Ermutigungen erreicht, das ist eine großartige Unterstützung.

Als „Deutschlands erster (offen) schwuler Unipräsident“ hat sie etwa der Tagesspiegel bezeichnet. Finden Sie sich darin wieder? Eigentlich nicht... ich weiß auch gar nicht, ob das so stimmt und ich der erste bin. Ich fand es immer toll, dass das „schwul“ in Berlin kein Thema ist. Eine sichtbare Führungsposition ist nach Wowereit und Westerwelle ja auch nichts Neues mehr. Für die FU und für die Universitätslandschaft in Berlin ist es wichtiger, dass ich Forscher und Mathematiker bin – und für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Wissenschaft stehe.

Wie leicht ist es, an der Uni offen mit der eigenen Homosexualität umzugehen? Was für Erfahrungen haben Sie gemacht? Gleichzeitig Promotion und Coming-Out an einer anspruchsvollen amerikanischen Uni – das war anstrengend und sicher kein gutes Timing. Aber man sucht sich das ja nicht aus. Danach wurde es leichter. Ich war Postdoc in Augsburg und fand damals die Regenbogen-Postkarte an meiner Bürotür schon mutig... obwohl ich Universitäten schon immer als sehr liberale Orte wahrgenommen habe, wo Menschen nicht in Schubladen gesteckt werden. Aus den vergangenen 30 Jahren erinnere ich mich an vereinzelte unfreundliche und unangemessene Bemerkungen. Die kamen allerdings nicht aus dem direkten Umfeld. Ich habe mich immer sehr unterstützt gefühlt, in meiner Arbeit, aber auch als Mensch.

Naturwissenschaften, darin auch die Mathematik, gelten nach wie vor als Männerdomäne, die nicht viel Platz für Vielfalt lässt. Wie erleben Sie das? Ich kenne dieses Vorurteil – und das ist schwer wegzukriegen. Wir arbeiten daran. Es gibt schon jede Menge Vielfalt, jedoch durchaus noch Platz für mehr. Die Mathematikerinnen und Mathematiker sind eine bunte Truppe, sehr lebendig, sehr divers, und das nicht nur innerhalb der Gruppe der LGBTI!

Was können LGBTI-Studierende von Ihnen erwarten? Natürlich habe ich mit meiner eigenen Geschichte eine besondere Sensibilität für das Thema. Ich hatte in den vergangenen zwölf Jahren, als Vorsitzender des „Comittee on Mentoring, Gender and Diversity“ der Berlin Mathematical School, allerdings relativ selten mit Problemen von LGBTI-Studierenden zu tun – was ja ein gutes Zeichen sein könnte. Ich bin und bleibe, auch in meinem neuen Amt als Universitätspräsident, ansprechbar für alle Studierenden der FU.

Von All-Gender-Toiletten und Queer Referaten bis zu einer allgemeinen Antidiskriminierungpolitik: es gibt viel zu tun auf der Uni. Welche  Maßnahmen wollen Sie umsetzen? Mit den beiden Queer-Referaten hatte ich bisher nur wenig Berührungspunkte. Ich würde mich freuen, mehr über deren Arbeit zu erfahren! Ich würde gerne hören, welche Themen auf der Tagesordung stehen und mit welchen Problemen die Referate sich befassen. Ich stelle mir vor, dass die FU dem Bündnis gegen Homophobie beitritt, oder noch besser, die Berliner Universitäten gemeinsam. Als Präsident werde ich die Chance haben, solche Punkte auf die Tagesordnung zu setzen.

Wie stellen Sie sich eine unabhängige und wirklich offene Hochschule vor? Die Freie Universität hat alle Voraussetzungen, um das „Freie“ in ihrem Namen auch zu leben. Sie ist sehr offen, aber die Türen könnten auch bei uns an der einen oder anderen Stelle noch weiter aufgestoßen werden. Die FU sollte einladend sein, und zwar für alle in großer Breite. Damit meine ich nicht nur LGBTI, sondern auch Studierende, die mit Eliteabitur oder über den zweiten Bildungsweg kommen, genauso wie Personen mit Migrationshintergrund, Geflüchtete und viele mehr. In Deutschland studieren immer noch zu wenige junge Menschen, deren Eltern kein Abitur haben. Und Vielfalt, Internationalität und Offenheit gelten natürlich nicht nur für Studierende, sondern für alle Mitglieder unserer Universität, ProfessorInnen, MitarbeiterInnen... Ich will dazu beitragen, dass das noch sichtbarer wird!

Interview: fs

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