Menschenrechte

Queeramnesty Berlin: „Für ein Leben ohne Gewalt“

10. Juni 2018
Stephan Cooper © jackielynn

Queeramnesty Berlin wurde vor 20 Jahren gegründet unter dem Dach der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die für ihre Zeugen- und Vor-Ort-Berichte bekannt ist. Initiator und bis heute Sprecher von Queeramnesty Berlin ist Stephan Cooper. Im Interview mit SIEGESSÄULE erzählt er von Erfolgen und von aktuellen Herausforderungen im Kampf für LGBTI-Rechte weltweit

Stephan, du bist seit rund 20 Jahren Gruppensprecher von Queeramnesty Berlin. Wie kam es dazu?
Ich hatte mich schon lange für die Belange von LGBTI engagiert. In den 90ern habe ich zum Beispiel viel zu Rumänien gearbeitet, ein Land, das erst sehr spät in den Europarat eingetreten ist, da es bis zuletzt eine eindeutig homophobe Gesetzgebung hatte. Auch Amnesty International hat damals Druck ausgeübt, und schließlich wurde ich angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, eine Queer-Amnesty-Gruppe zu gründen. Erst war ich skeptisch, da ich schon in einer anderen Gruppe aktiv war. Amnesty hat dann aber so lange an mir herumgedoktert, bis ich schließlich die Gruppe gemeinsam mit sechs anderen gegründet habe.

Wie groß ist Queeramnesty heute? Deutschlandweit sind wir in sechs Städten vertreten, am stärksten in Berlin, Hamburg und Köln. Unsere Gruppe hier in Berlin hat zurzeit circa 30 Mitglieder. Zusammen planen wir Aktionen, Veranstaltungen usw. Wichtig zu wissen ist auch noch, dass wir zwei Untergruppen haben. Eine kümmert sich speziell um Events wie den CSD, die andere Gruppe beschäftigt sich ganz konkret mit queeren Geflüchteten. Bei unseren Planungen versuchen wir außerdem, immer wieder andere Organisationen wie etwa Quarteera beim IDAHOT oder Maneo einzubeziehen. Wer bei uns mitmachen will, ist übrigens herzlich willkommen. Wir treffen uns jeweils am zweiten Montag im Monat um 19:30 in den Räumen der Berliner Aids-Hilfe.

Was zeichnet eure Arbeit besonders aus? Generell ist bei Amnesty die sogenannte Urgent Action ein wichtiges Mittel. Dabei versuchen wir intensiv, auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen und dazu zu bewegen, sich dagegen einzusetzen – sei es durch einen Brief, eine E-Mail oder Telefonate. Damit haben wir immer wieder Erfolge erzielen können. Erst im Februar dieses Jahres wurde zum Beispiel der Journalist und LGBTI-Aktivist Ali Feruz aus russischer Haft entlassen. Wichtig bei Amnesty generell, und so auch bei uns, ist, dass wir immer versuchen, Menschen einzubeziehen, deren Situation wir verbessern wollen. Wenn wir in Berlin über queere Geflüchtete sprechen, dann eben auch immer mit queeren Geflüchteten. In unserer Gruppe haben wir zum Beispiel jemanden aus Russland und auch jemanden aus dem arabischen Raum dabei. Im Februar haben wir außerdem eine Veranstaltung mit Geflüchteten aus Ägypten durchgeführt, bei der diese über die Situation in ihrem Heimatland berichtet haben. Dabei ging es zum Beispiel um den libanesischen Frontmann der Gruppe Mashrou’ Leila – außerhalb Israels der einzige offen schwule Sänger im Nahen Osten. Bei einem Auftritt in Kairo schwenkten Teile des Publikums die Regenbogenflagge. Sie alle wurden inhaftiert.

Wenn es um queere Geflüchtete in Berlin geht, stehen eher Organisationen wie die Schwulenberatung oder der LSVD im Vordergrund. Queeramnesty scheint da keine große Rolle zu spielen. Täuscht das oder würdest du das unterschreiben? Ich denke, dass der Unterschied zwischen der Schwulenberatung, die etwa eine Unterkunft für queere Geflüchtete eröffnet hat, und uns einfach der ist, dass wir uns eher als politischer Akteur sehen und konkrete Länderinformationen zu den jeweiligen Herkunftsstaaten geben. Darin besteht unsere besondere Stärke. Und wenn Amnesty als weltweit renommierte Organisation darstellt, was in bestimmten Ländern passiert, dann hat das Gewicht. Natürlich beschäftigen wir uns auch intensiv mit der Lage queerer Geflüchteter in Berlin, unterstützen sie durch Anwälte und Ähnliches. Aber: Wir haben nicht die Infrastruktur, im großen Umfang Hilfestellung im Alltag zu leisten. Dazu muss auch klar sein, dass wir alle noch andere Jobs haben und unser Amnesty-Engagement rein ehrenamtlich ist.

Und außerhalb von Berlin: Welche Regionen bilden noch den Schwerpunkt eurer Arbeit? Da gibt es natürlich – leider – einige Regionen. In der Türkei engagieren wir uns seit langer Zeit insbesondere für die Akzeptanz von und gegen die Gewaltverbrechen an trans* Menschen. Ein Fokus liegt aber auch auf den mittelamerikanischen Ländern El Salvador, Guatemala und Honduras, wo LGBTI hohen Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind, da die Regierungen sie nicht schützen. Dazu kommen die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Weißrussland, wo LGBTI unter einem extrem repressiven Klima leiden. Wir beschäftigen uns aber auch mit Ländern wie Bangladesch und Maghrebstaaten wie Tunesien oder Marokko. Ganz wichtig sind außerdem Uganda, Kamerun und Kenia. Ein sehr großer Erfolg im letzten Jahr war hier die offizielle Anerkennung der Jugend- und LGBTI-Organisation „Youth Health and Psychosocial Program (YHEPP)“ unseres „Soul of Stonewall Award“-Preisträgers Emmanuel Odhiambo Nyambwa durch den kenianischen Staat. Wenn man bedenkt, dass Homosexualität in dem Land unter Strafe steht, grenzt das fast an ein Wunder.

Wie kommt ihr an diese Länderinformationen? Das Besondere an Amnesty ist, dass wir neben unserer Zentrale in London ein weltweites ExpertInnen-Netzwerk haben. Es gibt also zum Beispiel in vielen afrikanischen Regionen oder im Nahen Osten MitarbeiterInnen, die direkt von dort berichten und Informationen aus erster Hand liefern können.

Zurzeit tourt eine Ausstellung zu 20 Jahren Queer Amnesty durch Deutschland. Was ist dort zu sehen? In den vergangenen Jahren hat sich viel ereignet. Wir haben viele Aktionen durchgeführt, spannende Menschen eingeladen, viele Erfolge gehabt. In der Ausstellung wollen wir deshalb einen Abriss darüber geben, was in den letzten beiden Jahrzehnten passiert ist und wie wir unsere Arbeit z. B. auch auf trans* und inter* Personen ausgeweitet haben. Und wir wollen zeigen, dass wir auch in Zukunft für ein Leben von LGBTI ohne Gewalt und Bedrohung kämpfen werden.

Interview: Daniel Segal

Ausstellung
„20 Jahre Queer Amnesty“,
10.06.–13.07., Sonntagsclub
Eröffnung am 10.06., 19:00. Mit Auftritt der Sängerin Djatou Touré

queeramnesty-berlin.de

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.