Interview mit Kabarettistin Idil N. Baydar

„Leute verbinden dich sofort mit Bildungsferne, Ehrenmord, Hartz-IV“

1. Aug. 2018
Idil N. Baydar © Cengiz Karahan

Angestoßen durch die Rassismusvorwürfe des Profifußballers Mesut Özil gegenüber dem DFB sprechen im Netz unter dem Hashtag #MeTwo mittlerweile Tausende über ihre Erfahrung mit Diskriminierung und Alltagsrassismus. In der aktuellen SIEGESSÄULE widmet sich unsere Autorin Michaela Dudley dem Thema der systematischen, strukturellen Ungleichbehandlung von Schwarzen Menschen und People of Color in unserer Gesellschaft und Community.

Dafür sprach sie auch mit der Kabarettistin Idil N. Baydar, die als Tochter türkischer Einwanderer 1975 in Celle geboren wurde. Mit 15 zog Idil nach Berlin, 2011 erlangte sie schlagartig Popularität mit ihren selbstge­schriebenen Stücken über Integration auf Youtube. Ihre Videos wurden binnen kurzem andert­halb Millionen Male geklickt. Im Fernsehen tourte sie bald durch Comedy- und Kabarettsendungen. In der Bar Jeder Vernunft, wo sie 2014 ihr erstes abendfüllendes Programm („Deutschland, wir müssen reden!“) uraufführte, tritt sie nun mit „Ghettolektuell“ auf

Idil, wie beschreibst Du Deine Beziehung zur queeren Community? Von Liebe geprägt. Liebe und ja, Normalität. Es ist ein wunderschönes Verhältnis. Ich fühle mich wohl hier. Man begegnet sich mit den besten Absichten und ist bereit, füreinander aufzustehen. Zusammenhalt.

Am Soll-Zustand des Zusammenhaltes wird allerdings gerüttelt. Themen wie Innere Sicherheit und Islamisierung animieren einige Schwulen und Lesben dazu, sich nun auch als An­hänger rechter Parteien zu outen. Die AfD hat beispielsweise ihre lesbische Galionsfigur. Ist das bedenklich? Diese Entwicklung ist furchtbar. Klar, die Community ist schließlich auch ein Mikrokosmos der Gesellschaft. Aber was suchen Queers bei der AfD? Bei Demagogen, die die gleichgeschlechtliche Liebe als „abartig“ und „krank“ bezeichnen? Die lehrreiche Geschichte des Rosa Winkels wird leider ausgeblendet. Oder glauben sie wirklich, diesmal mitreden zu können? Fakt ist, wer rechts wählt, wählt die Spaltung. Wer müssen stattdessen, ob gay oder straight, auf Solidarität und Sensibilisierung setzen. Eine immer gespal­tenere Gesellschaft kann sich schlecht heilen.

Die Idil also als Idealistin? Ist die Sozialsatire im Kampf gegen die Intoleranz aber tatsächlich imstan­de, etwas Nachhaltiges zu bewirken? Da, wo die Politik versagt? Humor ist kein Allheilmittel. Doch im Rahmen der Künste kann man viele brisante Themen aufgreifen, die ansonsten auf der Strecke bleiben würden. Im Alltag lassen die herrschenden Strukturen und Streitkultu­ren keine richtige Kommunikation zu. Man ist abgelenkt, abgeneigt. Menschen reden aneinander vorbei, wenn überhaupt. Beim Kabarett dagegen bist du in einem Raum, in dem du in etwas eintauchen und dich plötzlich inmitten eines Dialogs entdecken kannst. Die Gäste manövrieren sich in eine Situation, die für viele von ihnen ein Schock ist. Aber der Schock ist viel konstruktiver als das Schweigen.

Und was für ein Spannungsfeld ist es, wenn sich bei dir sozusagen „Kanaken“ und „Kartoffeln“ auf dem gleichen Acker treffen? Genau das ist für mich ein starker Reiz. Die Show ist der beste Transformator. Wenn mein Publikum zur Hälfte aus Personen mit Migrationshintergrund und LGBTI-Personen, und zur Hälfte aus den Menschen besteht, die bewusst oder unbe­wusst die weiße Dominanzkultur vertreten, funkt es so richtig. Denn das, was alles so abgespeichert ist an Frust und Vorurteilen, entlädt sich. Man kommt sich durch das La­chen näher.

Deine Bühnenfigur Jilet Ayse gilt als der Intergrationsalbtraum schlechthin. Jilet, das deutsch-türki­sche Pendant zu Cindy aus Marzahn, ist prollig, vulgär und lebt von der Stütze. Birgt die Überspit­zung jedoch die Gefahr, dass Klischees noch weiter etabliert werden? Es gibt ein starkes Bedürfnis nach Jilet. Auch meinerseits. Denn Jilet wurde aus meinen Konflikten geboren, motiviert durch Angst, Enttäuschung und Wut. Selbst meine eigene Mutter, die sich als „Kultur-Flüchtling“ be­zeichnet, konnte meine Wut nicht begreifen. Im Gegensatz zu ihr kam ich hier in Deutschland auf die Welt – und stellte fest, dass ich mich trotzdem bewähren sollte. Ich musste meine Ansprüche rechtfertigen. Man kann noch so integriert sein, aber wenn du nicht weiß bist, bekommst du keinen „Migranten-Bonus“, sondern den Minus-Blick. Die Leute verbinden dich sofort mit Bildungsferne, Ehrenmord, Hartz-IV. Deshalb erwidert Jilet: „Ihr wollt Kanakin? Ihr kriegt die!“ Jilet geht auf Konfrontationskurs und verschafft sich Gehör. Sie hat das Mikro, sie hat die Deutungshoheit. Dabei hält sie allen, aber wirklich allen einen Spiegel vor.

Du trittst auch als die Rentnerin Gerda Grischke auf, eine „besorgte Bürgerin“, die Pegida nahe­steht. Sollten die echten Gerda Grischkes sich aber nicht nur in der Karikatur Gerda Grischke, sondern auch und gerade in Jilet Ayse wiederer­kennen? Das bietet mein Programm wohl an. Inwieweit die ZuschauerInnen darauf eingehen, liegt letztendlich an ihnen selbst. Aber klar, wir ähneln uns oft mehr, als uns lieb ist. Warum können wir uns bloß nicht auf unsere Gemeinsamkeiten zurückbesinnen?

Ausgerechnet bei einem Volkssport, der uns einen sollte, erweist sich der Teamgeist als ziemlich anfällig. Stichwort Özil-Debatte. Vom Vorzeige-Türken zum Sündenbock der Nation. Das ist nichts weniger als ein makro-aggressiver Angriff auf den türkischen Gefühlt-Körper. Obwohl ich es persönlich auch nicht gut finde, dass sich Özil mit Erdogan ablichten ließ, gibt es keinen Grund für diese massive Attacke. Und dann sollte Özil auch noch konzentriert spielen können? Außerdem erzürne ich mich über diese Doppelmoral. Denn viele Politiker, die Özil so ge­schmacklos angreifen, haben offenbar kein Problem damit gehabt, dem Verkauf hunderter Leopard-2-Panzer an Erdogan wenige Monate zuvor zuzustimmen.

Dennoch hat man mittlerweile das Gefühl, du setzt dich für ein Bleiberecht für Angela Merkel ein. Dass es so weit kommt, wa? Tja, das hätte ich auch nie gedacht. Wenn Merkel aber von rechts überholt wird, dann wird die Lage besonders prekär. Es ist schon schlimm genug, dass sich die AfD nach und nach überall einnistet und zum Beispiel über Fördergelder mit entscheiden kann. Das könnte verheerende Auswirkungen auf die Bildung, auf die Jugendarbeit und somit auf die vielbeschworene Integration haben. Für mich ist klar, dass diese Leute gar keine Integration, geschweige denn Inklusion anstreben.

Bist du also eher pessimistisch?
Im Gegenteil. Pessimismus hilft nicht, und Empörung alleine ist auch keine Antwort. Man muss sich engagieren. Das schöne ist, jedeR hat einen Wahlzettel in der Hand, unabhängig von Alter, Geschlecht und sogar Wahlberechtigung. Denn wir können alle schon durch unsere Einstellung zum Leben dafür stim­men, zur Solidarität aktiv beizutragen. Das fängt damit an, die Strukturen der Intoleranz und Herab­würdigung sowohl in der Gesellschaft als auch in uns selbst wahrzunehmen.

Es geht also nicht nur um Skinheads in Springerstiefeln und Nazis in Nadelstreifen? Richtig. Themen wie Homophobie, Misogynie und häusliche Gewalt auch zwischen „MigrantInnen“ dürfen nicht aus Gründen der politischen Korrektheit verschwiegen werden. Zudem muss man begrei­fen, dass viele „Gutmenschen“, die sich unreflektiert als progressiv ansehen, eigentlich eine „linke“ Konstrukti­on des Rassismus verkörpern. Denn sie wollen bestenfalls missionieren und domestizieren, um den „Fremden“ stubenrein zu machen und sich an dieser Hilfeleistung zu ergötzen. Sowieso glaube ich, dass die­ses permanente Schauen nur nach rechts und links uns leider davon abhält, die von oben nach unten führen­de Achse der Diskriminierung kritischer unter die Lupe zu nehmen. Nicht Multikulti, sondern Machtstrukturen sind das Problem. In der Breite liegen die Lösungen. Durch eine bunte Gesellschaft, die von diversen Sprachen, Subkulturen und sexuellen Orientierungen bereichert ist, haben wir mehr Potenzial.

Interview: Michaela Dudley

Ghettolektuell, Comedy, 14.08.–17.08., 20:00, Bar jeder Vernunft

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