Interview

Wie homophob ist Die Linke, Herr Lederer?

17. Aug. 2018
Klaus Lederer (Die Linke), Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin © Emmanuele Contini

Wir sprachen mit Klaus Lederer, offen schwuler Politiker, Bürgermeister und Senator in Berlin, über Homophobie in der Linken, queere Grabenkämpfe und Strategien gegen den rechten Backlash

Klaus, du heiratest bald deinen Freund, herzlichen Glückwunsch. Danke! Wir sind schon länger in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, upgraden aber im August.

Apropos Ehe: Deine Parteikollegin Sahra Wagenknecht hat in einem Beitrag für die Welt eine umstrittene Äußerung gemacht. Einige werfen ihr vor, sie habe die Ehe für alle zum „Wohlfühllabel“ abgestempelt, das soziale Ungleichheit kaschieren soll. Wie hast du ihren Beitrag verstanden? Die Kritik, die beispielsweise Johannes Kram [Autor des Nollendorfblogs, Anm. d. R.] geäußert hat, teile ich sehr wohl. Es handelt sich hier um die „schrecklich nette Homophobie“, die nicht offen homophob daherkommt, aber die letztlich an existierende homophobe Ressentiments gegenüber queeren Menschen andockt.

Kann man Sahra Wagenknecht den Vorwurf, Homophobie zu schüren, wirklich machen? Wenn ich menschenrechtliche Errungenschaften mit dem Etikett „Wohlfühllabel“ versehe, bediene ich eine Lesart, dass es einen Zusammenhang gäbe zwischen Sozialstaatsabbau auf der einen und dem Erkämpfen von menschenrechtlichen Standards auf der anderen Seite. Ich glaube, dass Linke in dieser Frage besonders sensibel sein müssen. Uns Queers wurde überhaupt nichts geschenkt, alles ist erkämpft worden. Und es gibt nun mal keine dunklen Mächte, die der Gesellschaft etwa die Ehe für alle als Trostpflaster herübergereicht haben, um im Gegenzug besser den Neoliberalismus durchsetzen zu können. Dass in den etablierten Parteien die Akzeptanz für Vielfalt größer geworden ist, ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Und auch das kann ganz fix wieder kippen. Insofern ist mir eins angesichts dieser Be- merkungen von Sahra extrem wichtig: Als Linke dürfen wir keine falschen Zusammenhänge herstellen und damit indirekt, ob jetzt gewollt oder ungewollt, Ressentiments gegenüber Minderheiten Vorschub leisten. Aber damit ist es aus meiner Sicht nicht getan. Es stimmt, dass es zwei gesellschaftlich parallel laufende Entwicklungen gab: Einerseits die größere Akzeptanz für die Rechte von Minderheiten, andererseits geht es durch neoliberalen Sozialstaatsabbau einem großen Teil der Bevölkerung schlechter als vor noch zwanzig, dreißig Jahren. Das Gefühl, dass man die Chance hat, sein Leben in sozialer Sicherheit zu gestalten, ist einer großen Verunsicherung gewichen. Diese Entwicklung greift in anderen europäischen Staaten schon länger um sich. Die politische Rechte hat sich diese Konflikte zunutze gemacht und hetzt Minderheiten aufeinander. Für linke Queers stellt sich daher die Frage: Was tun wir dagegen?

Und wie beantwortest du diese Frage? Es gibt Stimmen, die rufen nach einem linken Populismus als notwendigem Korrektiv zum rechten Pendant. Will man dem Medienbetrieb Glauben schenken, gibt es derzeit vor allem ein Problem: die (mittlerweile geringe Zahl von) Geflüchteten. Meine Realität ist eine andere. Einem wachsenden Teil der Gesellschaft droht Altersarmut, bezahlbarer Wohnraum wird knapp, es wird viel zu wenig für Bildung getan – ich könnte die Liste lange fortsetzen. Der permanente Defizitdiskurs um Geflüchtete in diesem Land forciert Ängste, auch unter anderen Minderheiten. Und das können die Rechten am besten, Minderheiten gegeneinander ausspielen, deren Belange interessieren sie ansonsten einen Dreck. Eine emanzipatorische Linke darf auf keinen Fall versuchen, die Rechte in der populistischen Zuspitzung zu schlagen – oder gar zu ersetzen. Wer damit anfängt, bestätigt indirekt das von den Rechtspopulisten propagierte Weltbild – und aus dieser argumentativen Falle ist kein Rauskommen mehr. Die Strategie des Rechtspopulismus ist, die Menschen als Individuen auf einzelne Eigenschaften zu reduzieren, die überbewertet werden, um sie dann gegeneinanderzustellen, zu entsolidarisieren. Der Kampf gegen rechten und neurechten Populismus war aber immer dann besonders erfolgreich, wenn er von Bündnissen unterschiedlich Deklassierter geführt wurde.

Die linke Strategie wäre also? Das kann nur Solidarität sein. Wenn ich begreife, dass die Fragen, die mich beispielsweise als schwulen Mann betreffen, in einer anderen Art und Weise auch andere Minderheiten betreffen, dann kann ich anfangen, solidarische Bündnisse einzugehen.

Nun ist es um die Solidarität nicht gut bestellt. Die Angriffe der Schwulenberatung gegen den Preis für lesbische Sichtbarkeit und der Grundstücksstreit mit der lesbischen Initiative RuT zeigen das mehr als deutlich. Wie können diese Grabenkämpfe überwunden werden? Überwinden können wir diese Entsolidarisierung nur durch eine solidarische Praxis, die zeigt, dass es anders geht und dass das Erfolge bringt. Harvey Milk wäre niemals in San Francisco zum Stadtrat gewählt worden, wenn es ihm nicht gelungen wäre, die arbeitende Bevölkerung, die rassistisch Diskriminierten und andere Minderheiten für sich zu gewinnen. Wer solche Kämpfe für sich allein ficht, wird sie eher verlieren. Wer Allianzen eingeht, kann sie gewinnen. In Berlin wurde in den vergangenen Jahren gemeinsam eine Menge erreicht, auch durch praktische Unterstützung aus der queeren Community und von anderen. Wir haben in Berlin mit der Initiative sexuelle Vielfalt eine strategische Allianz entwickelt, wir haben die Landesantidiskriminierungsstelle gestärkt, wir arbeiten an einem Landesantidiskriminierungsgesetz, wir haben eine Bundesratsinitiative zur Aufnahme des Merkmals der sexuellen Orientierung in den Gleichheitsartikel des Grundgesetzes auf den Weg gebracht. Dass das alles aus Berlin kommt, zeigt, dass unsere Community hier lautstark und auch in der Lage ist, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Das ist ausbaufähig!

Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Du bist der mit Abstand beliebteste Berliner Politiker. Wird Klaus Lederer nach Wowereit Berlins nächster offen schwuler regierender Bürgermeister? Diese Frage stellt sich mir nicht. Ich mache Politik nicht für Beliebtheitsskalen, sondern will Herzensbildung und den allgemeinen Zugang zu Kunst und Kultur voranbringen. Die Linke hat lange Zeit unterschätzt, wie wichtig Kultur für soziale Vielfalt, den Zusammenhalt und die offene Gesellschaft ist. Da gibt’s in den kommenden dreieinhalb Jahren noch eine Menge zu tun. Weder wir als Linke noch Grüne noch SPD sollten da auf Umfragewerte schielen, sondern begreifen, dass wir die Probleme dieser Stadt nur gemeinsam lösen können.

Ronny Matthes

klaus-lederer.de

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