Berliner Fetisch-Geschichte

Stolze Triebe: 15 Jahre Folsom Europe!

6. Sept. 2018
Folsom 2014 © JackieLynn

2004 fand zum ersten Mal der europäische Ableger des Folsom Street Festivals statt. Heute ist er das größte Fetisch- und BDSM-Event in Europa. SIEGESSÄULE-Autor Jeff Mannes blickt zurück

Seinen Ursprung hat das Folsom Street Festival, das US-amerikanische Vorbild, in San Francisco. 1945, nach Ende des Zweiten Weltkrieges, versuchte die US-Armee homo- und bisexuelle Soldaten loszuwerden. Mit dem sogenannten Blue Discharge wurden zahlreiche Männer (vornehmlich afroamerikanische) aus dem Militärdienst entlassen. Für viele war es schwer, Arbeit zu finden, niemand wollte Männer mit einem „blauen Ticket“ einstellen. Die meisten zogen in die großen Hafenstädte – so eben auch nach San Francisco –, um dort in queeren Ghettos zu leben.

Wiege der Leder-Community

1953 erschien der Film „Der Wilde“ mit Marlon Brando, der Teile der US-amerikanischen LGBTI-Community nachhaltig beeinflusste. Brando verkörperte hier einen gesellschaftlichen Außenseiter, einen Biker in schwarzer Lederjacke, blauen Jeans, weißem Shirt und der typischen Kappe. Dieses Bild avancierte schnell zu einem Klischee freier, „aggressiver“ Männlichkeit und wurde von Teilen der schwulen Community in den USA adaptiert. Der rebellische Leder-Biker der Nachkriegszeit, der auch Touko Valio Laaksonen alias Tom of Finland stark inspirierte, entwickelte sich zu einer der bedeutendsten sexuellen und kulturellen Identitäten der schwulen Subkultur, zur Antithese des „femininen“, schwulen Stereotyps, ein normatives und gleichzeitig subversives Bild von Männlichkeit. Die Leder-Community war geboren.

In der Folsom Street in San Francisco öffneten nach und nach immer mehr Lokalitäten, die sich an diese Community richteten. Die Szene florierte. Doch dann traf die Aids-Krise in den 80ern diesen Teil der LGBTI-Gemeinschaft besonders hart. Im darauf folgenden, allseits bekannten homophoben Backlash begann San Francisco unter dem Public-Health-Vorwand Bars und Saunen zu schließen. Als Antwort darauf veranstaltete die Leder-Community im Jahr 1984 das erste Street Fair in der Folsom Street. Ziele: Die Sichtbarkeit der Community zu erhöhen, dringend gebrauchte Spendengelder zur Bekämpfung von Aids und zur Unterstützung von Menschen mit HIV zu sammeln und Informationen zu Safer Sex unter die Menschen zu bringen. Über die Jahre entwickelte sich das Folsom Street Fair zu einer der größten Veranstaltungen der Leder- und Fetischszene und zu einem der größten Charity-Events der LGBTI-Community.

„Das ach so schlimme Berlin“

Vor 15 Jahren entschied dann eine kleine Gruppe von europäischen Folsom-Besuchern, dieses Straßenfest auch nach Europa zu bringen. „Es gab vier Städte zur Auswahl: London, Amsterdam, Köln und Berlin”, berichtet Alain Rappsilber vom Folsom Europe e. V. „Der damalige regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, hatte eine Absichtserklärung für den Verein geschrieben, und das war dann ausschlaggebend dafür, dass die Amerikaner die Lizenz nach Berlin vergeben haben.“ Überhaupt war die Unterstützung des schwulen SPD-Bürgermeisters maßgeblich in der Geschichte des europäischen Ablegers und bescherte dem Event durch den Widerstand politischer Gegner Weltberühmtheit. „Als er drei, vier Jahre später ein Grußwort für Folsom Europe schrieb, hat das ordentlich Wellen geschlagen. Das ging weltweit durch die Medien, es gab quasi eine politische Pressekampagne gegen uns: Wowereit und das ach so schlimme Berlin mit seinem Sadomaso und Fetisch.”

Dass das Straßenfest tatsächlich weit hinter diesen Beschreibungen ausufernder Sexualität zurückblieb, war nicht wichtig. „Es war halt Wahlkampf damals”, meint Rappsilber. „Die CDU ist damit aber abgestürzt und für uns war es eine praktische Werbeaktion.” Durch die weltweite mediale Aufmerksamkeit (über 3.800 Presseartikel) reisten vermehrt Menschen zum Folsom Europe nach Berlin, um sich das anzusehen, „und haben dann festgestellt, dass es nicht Sodom und Gomorrha ist. Das war dann schon eine Ernüchterung für viele. Im Gegensatz zu Amerika sind bei uns ja alle angezogen und es wird auch nicht auf der Straße rumgebumst”, fährt Rappsilber fort. „Dafür sind die Clubs ja dann da.”

Fetische für den guten Zweck

Zusätzlich hat der Verein über die Jahre versucht, mögliche Angriffspunkte für Kritik abzubauen, um nicht angreifbar zu sein. So gibt es zum Beispiel mittlerweile Sichtschutzbarrikaden um das Straßenfest herum. Größere Zwischenfälle gab es nie, die Zusammenarbeit mit den Ordnungskräften verlief meist reibungslos. Wie beim US-amerikanischen Original werden alle Gewinne des Festes an wohltätige Organisationen gespendet. „In der Regel kommen 20.000 bis 25.000 Euro pro Jahr zusammen.” Die Vereine bekommen 50 Prozent der Erlöse, die sie gesammelt haben, und können diese für ihre Arbeit nutzen. Dazu gehören zum Beispiel das Beratungszentrum Mann-O-Meter, die Aids-Hilfe, das Präventionsprojekt man-Check oder auch die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz. Die anderen 50 Prozent werden dann an demokratisch ausgewählte Präventions- und Aufklärungsprojekte ausgeschüttet.

Dass die Einnahmen zu einem so großen Teil wieder als Spenden rausgehen können, liegt vor allem daran, dass die Kosten für das Straßenfest vor allem über die Werbeanzeigen im Programmheft gedeckt werden. Ein hauptsächlich auf Spenden für wohltätige Zwecke ausgelegtes Event in Verbindung mit der Sichtbarmachung einer vielfältigen Community ist in dieser Hinsicht einzigartig. Dies betont auch Rappsilber: „Es ist für viele eine Begegnungsstätte, wo man sich öffentlich zeigt und seine Vorlieben sichtbar macht. Die Fetische unserer BesucherInnen sind breit gefächert: Leder-, Gummi- und Anzug-Fetische, Pet Play, BDSM. Und wir haben ein bis zwei Stände speziell für Frauen.”

Cis Männer im Vordergrund

Trotzdem wird immer wieder Kritik an einem von cis Männern dominierten Event laut. Und tatsächlich machen sich Frauen und trans* Personen rar auf dem Straßenfest. „Wir hatten mal eine Frauenbeauftragte, aber die meinte, dass das Interesse einfach nicht so groß wäre”, entgegnet Rappsilber der Kritik. „Es sind aber viele Frauen da, alle dürfen auch bei uns mitmachen und sind auf den Bildern vertreten. Aber zu einer richtigen Organisation ist es nie gekommen. Es fehlt einfach an Resonanz, und uns fehlt die Zeit, da noch mehr zu machen. Wir haben ehrlich gesagt da auch nicht so den Einblick in ihre Welt. Wenn aber Leute Interesse haben, sich diesbezüglich einzubringen, dann sollen sie sich gerne bei uns melden!”

Wie sehen die nächsten 15 Jahre aus? „Wir haben jetzt im zweiten Jahr in Folge ein Bühnenprogramm, wo wir zum Beispiel über sexuelle Gesundheit aufklären, Diskussionen führen oder zeigen, wie Bondage richtig gemacht wird. Aber ansonsten sind wir sehr zufrieden und möchten so weitermachen wie bisher und schauen, wohin uns das führt. Wir würden uns aber in jedem Fall freuen, wenn es dabei mehr helfende Hände aus der Community gäbe.”

Jeff Mannes

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Kreative Straßenkleidung bei der Folsom 2010 © Guido Woller

Highlights der 15. Folsom Europe

Bühnenprogramm zur Folsom Europe

Boar: Neue queere Sex- und Danceparty für alle

„Proudly Perverted“: Ausstellung über die FLT*I*- BDSM Szene

Folsom Europe 2018, 05.–09.09 folsomeurope.info

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