Nachruf

Und dann der Himmel: Zum Tod des Schriftstellers Jan Stressenreuter

27. Dez. 2018
Jan Stressenreuter (c) Gernot Schubert

Am 17. Dezember verstarb der bekannte schwule Schrifftsteller Jan Stressenreuter im Alter von nur 57 Jahren. Ein Nachruf von Jim Baker vom Querverlag

„Du bist bestimmt in Köln, um dich mit Jan Stressenreuter zu treffen, oder?“, fragte mich ein Buchhändler im Sommer 2000. Ich war allerdings mit einem anderen Autor zum Arbeiten verabredet und musste gestehen, dass der Name mir so gar nichts sagte. Franz, der nette Buchhändler, erzählte mir dann, wie in seinem Laden ein junger Autor namens Jan Stressenreuter jeden Monat ein neues Kapitel aus seinem im Entstehen befindlichen Roman vorlas, um dann den Input der begeisterten Zuhörer*innen einzuarbeiten.

Am Abend war ich mit dem Comiczeichner Ralf König zum Essen verabredet, der annahm, ich sei natürlich nur wegen Jan Stressenreuter in der Stadt. Am nächsten Tag gab mir der Autor, mit dem ich verabredet war, den kollegialen Ratschlag mit auf den Weg, das Manuskript eines vielversprechenden Schriftsteller-Kollegen namens Jan Stressenreuter „unbedingt“ anzufordern.

Da ganz Köln einer Meinung zu sein schien, ließ ich mir die Kontaktinfo von diesem scheinbar stadtbekannten Autor geben. „Love to Love You, Baby“ war dann der erste von insgesamt zwölf Romanen, die Jan im Laufe der Jahre bei uns im Querverlag veröffentlich hat. Im März 2019 wird „Weil wir hier sind“, das letzte Buch von Jan Stressenreuter, erscheinen. Posthum.

Am Freitag, den 14. Dezember, hatten wir sogar kurz telefoniert, denn er wollte, dass ich ihm schnell vor Weihnachten die letzten Satzfahnen schicken soll, denn er hatte noch so viel auf seinem Zettel, was erledigt werden musste. Wir sprachen über seinen Geburtstag zwei Tage davor sowie über die Berliner Buchpremiere für den neuen Roman, die er selber mit dem Buchladen Eisenherz für den 1. März 2019 vereinbart hatte.
Jan stand voll im Leben. Jan hatte noch so viel vor. Und dann war plötzlich am 17. Dezember 2018 Schluss.

Über achtzehn Jahre lang hat Jan das Profil des Querverlags mitgeprägt. Zwölf Titel, Romane, Krimis, zahlreiche Kurzgeschichten, Lesungen, Sektempfänge, Messeauftritte, Telefonate, Lektoratstreffen – kurzum, alles, was das Verhältnis zwischen einem Autor und einem Verleger ausmacht. Doch es war vor allem die intensive Arbeit am Text mit Jan, die mir in Erinnerung bleibt. Seine überbordende Lust, schwules Leben zu erzählen.
Authentisch, lebensnah und schonungslos.

Seine scharfe Beobachtungsgabe für Zwischenmenschliches, sein Talent für absurd-lustige Situationen, das ewige Feilschen um Streichungen, sozusagen ein Tau-Ziehen um Sätze, an dem wir im Laufe der vielen Jahre durchaus unser Vergnügen gefunden haben, zumal wir ja inzwischen ein eingespieltes Team waren. Und wie er dann zur Not seine Lieblingsstrategie immer wieder rausholte, wenn es darum ging, mich zu überzeugen: Denn laut Jan sei ich viel zu pragmatisch und müsse „verdammt noch mal endlich“ ein bisschen Fantasie zeigen. Doch Fantasie hatte Jan für uns beide genügend.

Wie findet man die passenden Worte für ein so dramatisches Ende? Ein Ende wie aus einem Roman? Indem man einen Profi zu Rate zieht, denn auch für so eine Szene hatte Jan in seinem dritten Roman „Und dann der Himmel“ (2006) wie so häufig die richtigen Worte bereits selbst gefunden: „Ich spüre noch, wie der Engel mich auf seine Arme hievt und durch die Kälte ins Haus trägt. Dann lasse ich los …“

Jan Stressenreuter starb plötzlich am Vormittag des 17. Dezember 2018. Wir sind sprachlos und unendlich traurig.

Jim Baker

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