Kommentar zum IDAHOT

Weicht nicht, sondern wehrt Euch!

17. Mai 2019
Michaela Dudley © Alexa Vachon

Berlin-Spandau, 2019. „Schau mal, so'n Tuntenpaar“, bemerkt ein Mann in der Shoppingmall, während er seinen Kumpel anstupst. „Hey, wer von euch Süßen ist der Arschficker?“ Unbeteiligte Passant*innen bleiben in dieser Situation auch weitgehend unbeteiligt, außer einigen, die sich als Voyeure dazu gesellen. Die zwei angegafften Schwulen huschen entsetzt blickend weg, als seien sie das Problem. Als ich vergeblich versuche, die Security heranzuholen, werde ich auch angemacht. „Kiek an, eine Transe! Oho, willste meinen Schwanz?“ Ich fauche sie gehörig derb an. Die beiden Störenfriede ziehen ab, aber weder übereilt noch mit einem Zeichen von Unrechtsbewusstsein.

Eigentlich sollten wir gesellschaftlich längst weiter sein. Bereits 1919, vor genau einhundert Jahren, gründete Dr. Magnus Hirschfeld sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin-Tiergarten und legte ein empirisch begründetes Fundament für den Kampf gegen LGBTI-Feindlichkeit. Fünfzig Jahre später brachen in New York die Stonewall-Riots aus: ein weiterer Meilenstein für die Regenbogen-Community. Heute gibt es in Deutschland und in rund zwei Dutzend Ländern weltweit die gleichgeschlechtliche Ehe. Doch trotz solcher Vorstöße ist LGBTI-Feindlichkeit überall präsent. Das beweisen die Kriminalstatistiken, das zeigen auch zahlreiche Erfahrungsberichte, die im Netz unter dem Hashtag #MeQueer erscheinen.

Angesichts dieser Lage begehen wir heute, den 17. Mai, wieder den IDAHOT, den Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie, Biphobie und Interphobie. Denn am 17. Mai 1990 beschloss die Weltgesundheitsorganisation, Homosexualität nicht mehr als Krankheit zu bezeichnen. Erst 2018 wurde „Transsexualität“ nicht mehr als psychische Störung, sondern als „Geschlechtsinkongruenz“ (ICD-11) eingestuft. Krank sind allerdings die Menschen und die Strukturen, die es zulassen, dass die Menschen aus unserer Community weiterhin diskriminiert und drangsaliert werden.

Ich möchte ein paar Beispiele für Formen von Diskriminierung geben, die ich oder Menschen aus meinem Umfeld erlebt haben: So wurde ein Schichtleiter in einem Unternehmen von zwei homophoben Kollegen, deren Vorgesetzter er ist, gemobbt. Seinem Arbeitgeber fiel daraufhin nichts besseres ein, als ihn vorläufig mit Lohnfortzahlung freizustellen, ohne das eigentliche Problem anzugehen.

Eine Transfrau erzählte mir, wie ein potenzieller Vermieter in ihr „nichts weiter als eine Prostituierte“ erblickte. „Hier wohnen Kinder“, ließ man sie wissen. In einem anderen Fall wurde ihre Ablehnung durch die Vermieter*innen mit einem vagen Hinweis auf die Hausordnung begründet. Ignoranz, Vorurteile und schiere Missgunst.

Vor einigen Tagen in Berlin-Mitte musste ich einem transphoben Angreifer auf offener Straße die Leviten lesen. Denn die Meinungsfreiheit deckt weder Beleidigung noch Belästigung. Als er mich feige von hinten schubste, setzte ich mich zur Wehr und gab einem Passanten zu verstehen, er möge bitte 110 anrufen. Keine zehn Minuten später brachte mein Widersacher, von zwei Beamten umsäumt, eine Entschuldigung zustande.

Mein Fazit: Leute, lasst euch das nicht gefallen! Zeigt solche Fälle an, sucht euch Beistand vom Gestzeshüter und von den Gerichten. Denn unser Menschenrecht darf niemals dem Unrecht unterliegen. Assimilation bis zur Selbstaufgabe ist keine Antwort. Weicht nicht, sondern wehrt euch!

Michaela Dudley

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