ESC

Der Eurovision Song Contest 2019: Queer wie noch nie!

19. Mai 2019
Bild: Foto: Martin Fjellanger, CC BY-SA 4.0
Hatari aus Island, Foto: Martin Fjellanger, CC BY-SA 4.0

Gastgeberland Israel lieferte beim 64. Eurovision Song Contest eine professionelle TV-Show. Doch darüber hinaus wurde der ESC in diesem Jahr zu einem Spektakel für die queere Community

Bei der Punktevergabe bringt es der Moderator aus Österreich auf den Punkt: „Israel und der Eurovision Song Contest haben einmal mehr bewiesen, dass für Vorurteile, Hass, Rassismus, Sexismus und Exklusion kein Platz ist.“ Auch wenn die 26 Songs wieder schnell in Vergessenheit geraten werden, der ESC aus Tel Aviv war einer der queersten aller Zeiten.

Ein Meer aus Regenbogenfahnen im Publikum, ein schwuler Moderator, der sein Coming Out thematisiert, Conchita und Verka Serduchka im Pausenact und schließlich die Queen of Pop: Madonna. Homoherz, was willst du mehr?

Okay, gute Musik vielleicht, aber echte Charthits waren beim ESC schon immer rar gesät. Bereits im ersten Halbfinale am Dienstag setzte der israelische Moderator Assi Azar (39) ein Zeichen, als er erzählte, wie sehr der Erfolg der trans* Künstlerin Dana International 1998 ihn damals zu seinem Coming Out ermutigt hat. Beim Auftritt der Diva fing eine „Kiss-Cam“ Küsse von Paaren (homo wie hetero) im Publikum ein. Ziemlich progressiv. Nicht nur in Israel - auch in vielen anderen Ländern ist konservativen Vertreter*innen allein das queere Treiben der Fans vor der Bühne ein Dorn im Auge. Und nun das!

Die Niederlande siegen, die Isländer sorgen für einen Eklat, Madonna blamiert sich

In einem Herzschlagfinale setzt sich der hoch gehandelte Duncan Laurence aus den Niederlanden gegen den Juryfavoriten aus Schweden durch. (John Lundvik aus Schweden landet schließlich auf Platz 6.) Das geht absolut okay, beide Songs werden uns als Supermarktgedudel in den nächsten Monaten begleiten.

Für die deutsche Delegation war die Platzierung ein Desaster: Die extra für diesen Song zusammen-gecasteten Pseudo-Schwestern Carlotta und Laurita traten mit einem Lied an, das 2018 bei einem Schweizer ESC Songwriting Camp durchgefallen war. B-Ware sozusagen. Fans konnten dem Song „Sister“ schon im Vorfeld nichts abgewinnen. Höchststrafe beim Televoting: Zero points. Allein ein paar Jurystimmen verhindern den Worst Case für die synthetischen S!sters. Platz 24. Drittletzter.

ARD Moderator Peter Urban hatte sich für das absehbare Debakel schon die handelsüblichen Bullshit Bingo-Puffersätze zurechtgelegt: „Es ist nicht sehr schön, das Ergebnis für uns, aber wir müssen auch nicht traurig sein.“, „Das war ein extrem starker Wettbewerb mit vielen tollen Konkurrenten. Im nächsten Jahr wird’s vielleicht wieder anders.“, „Letztes Jahr 4. Jetzt sind wir also auf einem anderen Platz. So ist das eben.“ Wirklich hängen bleiben andere Beiträge.

Frankreich schickt Bilal Hassani ins Rennen, einen androgynen Youtube-Star, der durch Make Up-Tutorials berühmt wurde. Der Sohn marokkanischer Eltern hatte im Vorfeld Morddrohungen erhalten: zu schwul, zu arabisch, zu androgyn. Seine Botschaft: „Sei du selbst, kümmere dich nicht darum, was andere über dich sagen!“

Popera-Acts, also Songs, die Pop und Opernklänge kombinieren, erlebt man immer wieder beim ESC, meist mit mäßigem Erfolg. Australien macht aus einem bräsigen Lied durch den gekonnten Einsatz der Technik ganz großes TV-Tennis. Zu „Zero Gravity“ schwingen die Sängerinnen fünf Meter über der Bühne und si-i-i-ingen von Schwerelosigkeit. Knaller!

Kate Miller-Heidke aus Australien singt „Zero Gravity“ beim Finale des ESC 2019:

null

Foto: Martin Fjellanger, Eurovision Norway, EuroVisionary, CC BY-SA 4.0

Den Vogel schießen allerdings die Isländer ab. Die Band Hatari setzte bei ihrer SM-Freak Show die Bühne in Brand. Ihren Song „Hatrið mun sigra“ (Hass wird siegen) verstehen sie als Dystopie und Warnung vor all dem Hass, der Intoleranz und dem Rassimus, der aktuell in der Welt um sich greift. Die drei Jungs hatten im Vorfeld angesprochen, dass es widersprüchlich ist, dass Contest im von Spaltung und Krieg geprägten Nahen Osten stattfindet. Wenigen fiel auf, dass sie im Greenroom die Transfahne prominent hin- und her wedelten. Während der Bekanntgabe der Punkte hielten sie Palästina-Banner in die Kameras und lösten damit Buh-Rufe im Publikum aus.
Die Veranstalter EBU sieht Symbole dieser Art gar nicht gern, verpflichten sich doch alle Teilnehmer, den Staturen zu folgen und politische Statements jeder Form zu unterlassen.

Auch Pop-Ikone Madonna widersetzt sich diesen Regeln: Am Ende ihres Songs „Future“ sieht man zwei Tänzer Arm in Arm eine Treppe aufsteigen. Auf ihren Rücken die israelische und die palästinensische Flagge. Geschickt gemacht!

Mal abgesehen von diesem Extra muss man ihren 1,3 Millionen Dollar teuren Auftritt als Interval-Act beim ESC als echte Enttäuschung werten. Schiefe Töne, lahme Mooves. Ihre Darbietung macht klar, dass sich ihr Ruf als beste Live-Performerin der Popwelt überholt hat. Da haben wir uns deutlich mehr erhofft.

Sascha Osmialowski

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.