Szene

Queere Aktivistin und Performerin: „Viele sehen nur meine Blindheit“

18. Juli 2019
Tiffany Taylor © Dieter Hartwig

Leichte Schritte, begleitet vom rhythmischen Auftreffen des Blindenstockes auf dem Boden, durchqueren zielstrebig den Hof der Tanzfabrik e. V. im Wedding. Tiffany Taylor’s ganze Körperhaltung signalisiert, dass sie sich im Raum perfekt zu bewegen weiß – obwohl sie erst vor drei Jahren mit professionellem Tanz begonnen hat. „Ich habe schon immer gesungen und musiziert, war auch schon immer an Tanzen interessiert. Aber es schien mir lange nicht zugänglich, auch, weil ich blind bin.“

Inspiriert fühlte sich Tiffany, die unter anderem Theater studiert hat, dann durch das Tanzstück „The way you Look (at me) Tonight“, choreografiert von Jess Curtis. Sie erkannte, dass es sehr wohl Platz für blinde Personen im Tanz gibt, erzählt sie. Mit Jess Curtis arbeitet sie nun auch an der Tanzperformance „(in)Visible“ zusammen, die am 18.07. in Berlin Premiere feiert. Das Stück vereint Menschen mit und ohne Sehbehinderung auf der Bühne und im Publikum. Unter anderem durch Sounds, Tasten sowie einer begleitenden Audio-Deskription, lässt sich hier Tanz mit allen Sinnen erleben.

Seit zwei Monaten ist Tiffany in Berlin und probt an dem Stück. Schon jetzt hat sie Unterschiede zwischen Berlin und San Francisco, wo sie lebt und arbeitet, festgestellt. „Ich spreche kein Deutsch, also ist es ein wenig schwierig, immer genau zu beurteilen, was passiert. Aber ich habe bemerkt, dass es hier anders ist, wenn ich wen um Hilfe bitte oder wenn mir eine Person Hilfe anbietet. Menschen erscheinen mir in ihrem Hilfsangebot hier sehr ehrlich. Und sie sind auch nicht beleidigt, wenn ich es ablehne. In San Francisco ist es oft so, dass sie regelrecht sauer werden, weil sie an mir nicht ihre gute Tat des Tages ausüben können.“

„Dass ich auch queer bin, eine Sexualität, Familie und Hobbies habe, überfordert viele“

In der Sichtbarkeit ihrer Sehbehinderung liege für sie auch eine Art Sicherheit, erzählt Tiffany. Zugleich ist sie aber oft mit Vorverurteilungen durch andere konfrontiert. „Viele fokussieren sich nur darauf, dass ich blind bin. Dass ich auch queer bin, eine Sexualität, Familie und Hobbies habe, das überfordert viele und sie kommen nicht damit klar. Sie denken nicht, dass ich ein autonomes Subjekt bin, sehen nur meine Blindheit. Mir passiert es zum Beispiel oft, dass Menschen meine Freundin für meine Pflegekraft halten.“

Aber nicht nur im Alltag und auf der Straße hat Tiffany solche Erlebnisse. Auch in dezidiert queeren Räumen stößt sie immer wieder auf Unverständnis. „Es geht mir und vielen Menschen mit Behinderung so. Und ich habe mit Freund*innen, die PoC sind, gesprochen, die ähnliche Erfahrungen machen. Menschen können nicht damit umgehen, dass wir intersektionale Identitäten haben – dass wir queer sind und eine Behinderung haben, oder dass Menschen queer sind und PoC. Das führt dazu, dass die, die das nicht thematisieren können, sich unwohl fühlen. Weil du nicht in ihre vorgefertigte Box passt. Ich denke, die Queere Community hat immer noch sehr wenig Wissen über Behinderungen.“

Abbau von Barrieren fängt im Kleinen an

Tiffany selbst engangiert sich seit Jahren in verschiedener Form als Behinderten- und als LGBTI*-Aktivistin, unter anderem bei der Organisation „Blind-LGBTI Pride International“. Es gebe unterschiedliche Gründe, warum viele queere Räume immer noch nicht barrierearm sind, erzählt sie. „Historisch gesehen waren queere Räume oft versteckte Räume, in Hinterzimmern und Kellerlöchern.“ Damit einher ging auch eine gewisse physische Unzugänglichkeit – die nicht selten bis heute weiter besteht. Das müsse sich ändern, findet Tiffany. „Stell dir vor, eine Person, die einen Rollstuhl nutzt, ist queer und ist nicht out. Diese Person braucht queere Räume genauso wie du, braucht den Austausch mit anderen queeren Menschen – aber es gibt für sie keine Möglichkeit dazu.“

Tiffany weiß von vielen Beispielen, wie die queere Community zugänglicher für Menschen mit Behinderung werden könnte. Das fängt im Kleinen an. „Viele Websites für queere Events sind für Bildschirmleser – ein Hilfsmittel, das Menschen die blind sind, benutzen, um im Internet zu lesen – nicht zugänglich. Das lässt sich aber eigentlich ganz leicht ändern. Es gibt überall Wege, um Räume für Menschen mit Behinderung zu öffnen. Alles, was es braucht, ist ein wenig Aufmerksamkeit und eine kurze Reflexion darüber, was sich vielleicht verbessern ließe.“

Charlotte Hannah Peters


Jess Curtis/Gravity: (in)Visible, 18.-21.07.,Tanzfabrik Wedding, Studio 14, 20:30
Alle Aufführungen mit Tastführung und Audiodeskription,
19.07. mit Gebärdensprache und Publikumsgespräch

blindlgbtpride.org

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