Lesung

„Das Andere Berlin“: Robert Beachy stellt seinen Geschichtsband vor

11. Aug. 2015
Robert Beachy stellt im Eisenherz sein Buch vor © Michael Lionstar

Autor Robert Beachy stellt sein Buch im Eisenherz vor. Anlass für uns Wolfgang Müllers Text über den Band aus der Juli-Ausgabe der SIEGESSÄULE noch einmal zu präsentieren

Natürlich weiß ich, dass  „Ricola Kräuterzucker“ eine Schweizer Erfindung ist. Das wissen doch alle: Seit 1998 wird der Slogan „Wer hat’s erfunden?“ im deutschen TV ausgestrahlt. Doch war mir eigentlich ähnlich bewusst, dass die „Homosexualität“ eine deutsche Erfindung ist? Diese potenzielle Wissenslücke zu schließen hat sich der US-amerikanische Historiker Robert Beachy vorgenommen. Dessen empfehlenswertes Buch „Gay Berlin. Birthplace of a Modern Identity“ ist soeben in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Das andere Berlin – Die Erfindung der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867–1933“ (Siedler) erschienen.

Sein Exkurs beginnt mit dem Umzug des englischen Autors Wystan Hugh Auden nach Berlin 1928. Auden lockte später seinen Freund, den Schriftsteller Christopher Isherwood, in die Stadt, wo sie gemeinsam Magnus Hirschfelds Institut bestaunen. Ein Besuch mit immensen Folgen. Zu den Spätfolgen gehört
beispielsweise der Umzug des von Isherwoods Klassiker „Goodbye to Berlin“ (1939) faszinierten David Bowie nach Westberlin 1976. Besonders in
der Londoner Punkszene um die Sex Pistols und Siouxsie and the Banshees zählte die Verfilmung des Romans als „Cabaret“ zum absoluten Kult. Deutlich wurde, dass neben Elend, Not und Nazis im Berlin jener Jahre offenbar auch eine ungewöhnlich freizügige präqueere Stimmung herrschte. Wenig, schreibt Historiker Beachy, habe sich jedoch über diese atemberaubende Subkultur an schriftlichen Dokumenten erhalten. Das scheint mir ein typisches Merkmal aller Subkulturen zu sein – die ersten Lesben- und Schwulenzeitungen sind heute mindestens so rar wie die ersten Punkfanzines. In dieser Parallelkultur erlebt Isherwood jedenfalls eine Art Coming-out und trifft dabei „monströse Stammesmitglieder“.

Historiker Beachy folgt nun zunächst den unterschiedlichen Deutungen und Wertungen, die der Begriff „schwul“ erfahren hat. Es beginnt beim „Gauner mit einer Vorliebe für gewisse Unsittlichkeiten“ (1847). Das Wort „Homosexualität“ selbst tauche 1869 erstmals in einem Pamphlet gegen das preußische Sodomiegesetz auf, notiert er. Wie Michel Foucault in „Sexualität und Wahrheit“ ausführt, markiert dieser Zeitpunkt auch die Einführung einer neuen „Spezies“, der Konstruktion einer Identität. Bleachy kritisiert nun, dass Foucault dem deutschen Kontext in eigenen Untersuchungen zu wenig Beachtung geschenkt habe. So geht er daran, die Erfindung der Homosexualität verstärkt in dem Milieu zu untersuchen, wo sie entstand. Hier treffe ich dann auf den Urhelden der Schwulenbewegung, Karl Heinrich Ulrichs, begegne dem Eulenburgskandal um Kaiser Wilhelm II., folge begeistert den Friedrichshagener Anarchisten um Erich Mühsam und schwer ernüchtert der Entwicklung maskulinistischer Bewegungen. Diese formierten sich schließlich in deutschnationalistischen und antisemitischen Männerbünden – finden sich nicht auch gegenwärtig gewisse Hinweise auf homosexuelle Männerbündelei, nur mit anderem Feindbild, wie dem „Islam“? Ganz köstlich sind die zitierte Beschreibung der Stadt Berlin durch Mark Twain 1892 oder August Strindbergs Fassungslosigkeit beim Anblick eines Trans*-Kostümballs. Beachys Vorwurf an Foucault, er habe das Bild eines Reagenzglases
generiert, in dem von Berlin aus Mediziner und Wissenschaftler neue sexuelle Identitäten zusammenbrauten, finde ich dennoch ziemlich konstruiert.

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Kultmusiker und Autor Wolfgang Müller begibt sich anlässlich von Robert Beachys Geschichtsband auf Spurensuche im alten Berlin ©Holger Priess Galerie

„Das andere Berlin – Die Erfindung der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867–1933“, Lesung mit dem Autor Robert Beachy, 12.08., 20:30, Eisenherz

Robert Beachy: „Das andere Berlin – Die Erfindung der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867–1933“, (Siedler), 464 Seiten, 24,99 Euro

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