Siegessäule präsentiert: Homosexualität_en

„Der Mensch meines Lebens bin ich“

8. Sept. 2015

Szenemenschen schauen sich für uns die Ausstellung „Homosexualität_en“ an. Diesmal berichtet Schauspielerin und Moderatorin Sigrid Grajek von ihrem persönlichen Rundgang

Mit zarten 17 Jahren verließ ich nach meinem Coming-out 1980 meine westfälische Heimatkleinstadt in Richtung Dortmund, weil es dort ein Frauenzentrum mit Lesbengruppe gab. Der Umzug gab meinem Leben eine bedeutend andere Wendung, aber niemals hätte ich damals zu hoffen gewagt, einmal im Deutschen Historischen Museum eine Ausstellung mit dem Titel „Homosexualität_ten“ besuchen zu können. Große staunende Freude war in mir bei der Eröffnung im Juni – auch angesichts der vielen wegbegleitenden Menschen, die in diesen hehren Hallen um mich saßen. Natürlich war es an diesem ersten Tag gar nicht möglich alles zu sehen, es mussten zu viele Menschen begrüßt werden ... Also, bin ich wieder hingegangen und werde es noch häufiger tun, die Fülle der gezeigten Stücke lässt sich anders nicht würdigen. Es gibt auch zu viele eigene Erinnerungen, die angeregt durch das Gesehene, ihren – nicht nur zeitlichen – Tribut fordern.

Ich bin von beiden Teilen der Ausstellung begeistert, unsere kraftvolle Vielfalt ist sichtbar, der Wille zur Freiheit. Aber auch die Dunkelheit, der Schmerz, der Verlust. Beklemmung angesichts der Bilder der KZ-Häftlinge mit dem rosa Winkel, Erinnerung an verstorbene Freunde als es noch keine Medikamente gegen AIDS gab. Die homophoben Audio-Duschen in der Abteilung „Schimpf & Schande“ halte ich kaum aus, besonders, wenn die Jahreszahlen dieser unsäglichen Kommentare zwischen 2013 und 2015 liegen.

Kontrastprogramm: Das Video zum Mösenmobil 1998 auf dem CSD – großartig! Ich kenne fast alle, die dabei waren. Ich stehe kichernd davor und die Schulklasse, die mit ihrer Führung vorbeikommt, ist sichtlich irritiert. Dann eine Premiere: Zum ersten Mal sehe ich das Original des von ihrem Freund Emil Orlik gemalte Portrait von Claire Waldoff. Es zieht mich magisch an. Bisher kannte ich nur das Foto davon. Dass ich in der Abteilung „Brühwarm“, die sich mit dem homoemanzipatorischen Kabarett beschäftigt, als Claire-Waldoff-Interpretin in der Ausstellung erwähnt werde, freut mich riesig. („Die Berliner Komödiantin Sigrid Grajek erweist mit ihrem Programm zur größten Kleinkünstlerin der Weimarer Zeit, Claire Waldoff, einer Ahnherrin des Genres die Ehre.“)

Körper- und Bewegungsstudien mit Dr. Lorès from Zea Antares on Vimeo.

Auch mein Alter Ego „Coco Lorès” kommt in der Ausstellung vor. 2012 durfte ich in einer Video-Installation von Ins A Kromminga und Jannik Franzen mitarbeiten, die nun auch hier in der oberen Etage gezeigt wird. Links unter dem schönen Satz von RuPaul: „We are born naked, the rest is drag.“ gibt es „Labor- und Feldstudien mit Dr. Lorès“. Analysen des Stehens, Gehens, Werfens waren fester Bestandteil der psychiatrischen „Prävention und Therapie“ von Homosexuellen bis in die 1970er-Jahre. Bis heute werden Inter*- und Trans*-Personen in Bezug auf stereotype Körper- und Bewegungsbilder diagnostiziert. Inspiriert durch lange angewendete Untersuchungsmethoden der Sexualwissenschaft erforscht Coco in diesem Video geschlechterspezifische Arten einen Ball zu werfen, einen Rollkoffer zu ziehen oder ein Ei zu köpfen.

Am wichtigsten von der dargestellten Homo-Geschichte für mich persönlich war sicherlich der Satz von Verena Stefan:  „Der Mensch meines Lebens bin ich.“ Dieses Zitat aus dem Buch „Häutungen“, das gleich im ersten Raum an einer Säule prangt, hat mich minutenlang verharren lassen. Ich hatte es vergessen. Und dennoch war dies der Satz, der mich hat werden lassen, was ich bin. Mein Bruder hatte das Buch in der Schule gelesen, es muss 1978 gewesen sein. Ein junger Lehrer wollte es mit der Klasse besprechen. Die Eltern von einem Mitschüler ließen die Lektüre durch den Schuldirektor verbieten, weil sie den Text unsittlich und gefährlich fanden. Das machte mich neugierig. Ich las das Buch, verstand noch nicht alles, die Sprache war so anders. Die Gedanken darin entsprachen nicht meiner katholischen Erziehung. Einiges verstörte mich. Aber dieser Satz implodierte in mir und machte den Weg frei für andere Erfahrungen als die für mich zu der Zeit vorgesehenen. Als ich knapp zwei Jahre später das erste Mal eine Frau küsste, explodierte er. Und vielleicht habe ich den Satz auch nicht wirklich vergessen, sondern er ist jetzt einfach in mir und ich denke ihn nicht mehr bewusst, weil ich ihn leben kann.

Ich bin dankbar für diese Ausstellung. Und: Ich liebe das Plakat!

Sigrid Grajek

Die Ausstellung „Homosexualität_en“ ist noch bis zum 01.12 im Deutschen Historischen Museum und Schwulen Museum* zu sehen

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