Musik

Liebesbriefe: Jon Campbell im Interview

6. Apr. 2016
Jon Campbell © Josef Wolfgang Ohlert

Jon Campbells waidwunder Rehblick ist mehr als ein niedlicher Zufall, denn hinter den braunen Knopfaugen des in Berlin lebenden US-Künstlers verbirgt sich eine empfindsame Seele. Der erfolgreiche Maler komponiert bereits seit seiner Pubertät Songs, aber seine Schüchternheit sorgte dafür, dass er die zarten Folkballaden eher privat im stillen Kämmerlein als in vollen Konzertvenues spielte. Doch dann kam die Liebe: Seit 2014 ist Jon mit Jamie zusammen – Kopf des Kammerpop-Ensembles The Irrepressibles und Gastsänger beim Electropop-Duo Röyksopp. Jamie ermunterte ihn, seine Songs zu veröffentlichen und nahm ihn unter seine musikalischen Fittiche. Nun erscheint Jons erste EP. Wir trafen ihn zum Gespräch

Jon, deine Songs waren eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Nun hast du eine Single veröffentlicht, eine EP aufgenommen und Konzerte gegeben. Wie fühlt sich das an? Es fühlt sich gut an. Ich habe zum ersten Mal mit 18 auf einer Bühne gestanden und dabei auch sehr schlechte Erfahrungen sammeln müssen. Falsche Locations zum Beispiel, in denen es zu laut für meine eher ruhigen Stücke war. Mein daraus resultierendes Lampenfieber hat mich danach davon abgehalten, weiterzumachen. Ich war total eingeschüchtert. Meine Texte sind dann doch so intim, dass es bei einem Konzert schwierig werden kann.

Fühlst du dich zu verletzbar? Ja. Ich fühle mich völlig nackt auf der Bühne. Meine Songs sind Liebesbriefe, ich schrieb sie meist direkt an eine Person. Teilweise hab ich sie den Typen dann auch auf einer CD in die Hand gedrückt. Deshalb sind die Texte auch so direkt. Es gab keine Überlegung, ob sie einem größeren Publikum gefallen könnten, ob ich zu viel sage oder ob es sich blöd anhört. Und wenn man dann plötzlich seine Liebesbriefe nackt auf einer Bühne vorlesen soll, dann ist das schon beängstigend. Ich war sehr unsicher. Aber seit ich mit meinem Freund Jamie performe, fühle ich mich auf der Bühne nicht mehr alleine. Durch seine Arrangements wird das Ganze zu etwas anderem, zu einem Gemeinschaftsprojekt. Auch die EP betrachte ich als eine Zusammenarbeit. Ich hab zwar die Songs alle geschrieben, aber durch seine Unterstützung habe ich erst diese Unsicherheit überwunden.

Jamie bewegt sich durch seine Arbeit mit den Irrepressibles oder als Sänger bei Röyksopp auf einem hohen professionellen und künstlerischen Level. Außerdem seid ihr ein Paar. Machte das eure Zusammenarbeit im Studio immer nur leichter? Natürlich haben wir auch gestritten. Wir haben beide viel dabei gelernt. Die Arbeit an Musik ist schon ein sehr persönlicher Prozess. Da muss man viel Vertrauen haben. Und deshalb glaube ich auch, dass es viel leichter war, weil wir verliebt sind.

In deinen Songs besingst du allerdings immer die unerwiderte Liebe, die du in der Vergangenheit erfahren hast. Ich glaube, in jedem Song. (lacht)

Du hast dich viel in Heteromänner verschossen. Warum dieser Hang zur klassisch unerfüllbaren Liebe? Ich hab viel gelitten, ausgesucht hab ich mir das ganz sicher nicht. Der erste Heterotyp, an den ich mein Herz verlor, war ein Freund aus meiner Schule. Ich war 15 oder so und unsterblich in ihn verliebt. Seinetwegen habe ich angefangen eigene Songs zu schreiben. Es war für mich der einzige Ausweg, das einzige emotionale Ventil. So was ist ja nicht nur eine unerwiderte, sondern eine unmögliche Liebe.

Man könnte jetzt gemein sein und sagen, dass schwule Männer, die sich häufig in Heteros verlieben, gerne leiden. Bist du ein Melancholiker?
(lacht) Manche würden mich bestimmt so bezeichnen. Es gibt aber auch Songs zu anderen Themen. „Fall Away“ zum Beispiel. Der Song handelt von einer vergangenen Beziehung.

Es geht um jemanden, der ein Alkohol- und Drogenproblem hat, und darum, wie eine Liebe daran zerbricht. Ja. Man schaut zu, während sich jemand langsam zerstört. Wie lange macht man mit? Es war eine lange und eigentlich ernste Beziehung, aber irgendwann ging das gar nicht mehr.

Unter Schwulen in Berlin werden ja unheimlich viele Drogen konsumiert. Ist diese Intensität ein Phänomen speziell dieser Stadt? Ja, auf jeden Fall! Diese Stadt hat zwei Gesichter: Einerseits ist sie Künstlerhafen der Boheme und auf der anderen Seite ein dekadenter Disco-Freizeitpark. Ich bin auf beiden Seiten gewesen. Diese lässige Attitüde gegenüber Arbeit, weil man hier eben auch mit einem Teilzeitjob gut lebt, hat mitunter Nachteile: Man kann sehr selbstzufrieden werden. Auch ich habe mich dem Exzess ein paar Jahre intensiv hingegeben, habe mich fast verloren, bevor ich dann die Kurve kriegte. Das passiert hier vielen. In Städten wie New York oder London kann man sich so was gar nicht leisten. Es ist dort so teuer, dass man 50 oder 60 Stunden in der Woche arbeiten muss. Man hat keine Zeit für Exzess. Wenn man dort richtig abfuckt, dann spuckt einen die Stadt einfach aus. Das funktioniert wie eine Art Immunsystem.

Du bezeichnest dich als „gay alt-country artist“. In Europa hatte Country ja lange ein mieses Image, bis man mit den letzten Platten von Johnny Cash die anspruchsvollen KünstlerInnen entdeckte. Hat Country in den USA einen besseren Ruf? Country hat in den USA den gleichen schlechten Ruf wie in Deutschland. Es gibt eben wie überall anders auch gute und schlechte Sachen. Johnny Cash ist natürlich toll, oder die Sängerin Kath Bloom. Ich glaube, die Musikrichtung hat einen schlechten Ruf, weil es eben so viel Schrott gibt, sehr patriotisches Redneck-Zeug. Dumme Sachen.

Der Text zum Song „Zu sonderbaren Zeiten“ bleibt für mich abstrakt, obwohl er auf Deutsch geschrieben ist. Worum geht's und warum hast du diesen Song auf Deutsch gemacht? Ich hab als Kind schon mal in Deutschland gelebt, zwischen meinem neunten und meinem 13. Lebensjahr. In Epstein in Hessen. Mein Vater hatte dort 1992 einen Job bekommen. Die Jahre in Deutschland waren für mich prägend, zumal ich hier auch meine Sexualität entdeckt habe. Als wir dann mitten in meiner Pubertät wieder zurück in die USA gingen, war das hart für mich. Ich bin mit der amerikanischen Gesellschaft gar nicht mehr klargekommen. Mein Umzug nach Berlin war dann so was wie eine Flucht. Die Stadt gab mir ein emotionales Asyl, ich kam zur Ruhe. In den ersten Monaten hatte ich gar keine Freunde, ging nicht aus, malte jeden Tag. Aus dieser Ruhe heraus entstand der Song. Daher auch auf Deutsch, weil es um das Gefühl geht, hier zu sein und zurück auf mein Leben in den USA zu schauen. Deutschland fühlte sich nostalgisch an, weil ich eben als Kind schon mal hier gelebt hatte. Für mich ist es auch eher ein abstrakter Song. Und vieles im Text ist grammatikalisch nicht so ganz richtig. (lacht)

Du hast zu einigen Songs auch Videos gedreht. Ja, für „Dumb“, „In My Dreams“ und „Gaydar's Got A Glitch“. In letzterem spielen die Berlin Bruisers mit. Die tanzen, das ist total lustig. 

Interview: Jan Noll

Jon Campbell: About a Boy, EP Release Concert, 07.04, 21:00, Monster Ronson's Ichiban Karaoke

Ausstellung von Jon Campbell: Babel, seit dem 02.04. in der Galerie Michael Schultz

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