Demo

Berliner Trauermarsch zur Lage in Tschetschenien: „Welches Bauchgefühl bringt die Kanzlerin den Opfern entgegen?"

9. Apr. 2017
Trauermarsch in Berlin zur Lage in Tschetschenien

Rund 200 Leute demonstrierten am Samstag, den 08.04., in Berlin gegen die Verschleppung, Folterung und Ermordung von Homosexuellen in Tschetschenien. Der Trauermarsch war von Enough is Enough, dem Aktionsbündnis gegen Homophobie und Quarteera e. V. organsiert worden. Viele Regenbogenfahnen, ein Banner mit der Aufschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar" und ein großes Plakat eines geschminkten Putins – eine Darstellung, die das russische Justizministerium kurz zuvor als „extremistisch“ eingestuft und verboten hatte – begleiteten den Demonstrationszug, der gegen 15:00 am Auswärtigen Amt startete und über die Französische Straße, Friedrichstraße und Unter den Linden entlangführte. Dass der Trauermarsch relativ kurzfristig anberaumt wurde, mag ein Grund dafür gewesen sein, dass keine Plakate zu sehen waren, die konkret auf die Situation in Tschetschenien Bezug nahmen. Dementsprechend fragten PassantInnen bei TeilnehmerInnen der Demo desöfteren nach, worum es hier eigentlich gehen würde.

Bei der abschließenden Kundgebung vor der russischen Botschaft wurde dies allerdings mehr als deutlich. Sebastian Groß von der Initiative Enough is Enough betonte in seiner Rede, dass es sich bei der Verfolgung in Tschetschenien um ein von „offizieller Seite organsiertes Progrom“ handle. Hunderte schwule Männer oder solche, von denen behauptet wird, sie seien schwul, bringe man in inoffzielle Gefängnisse, wo sie inhaftiert, gefoltert und ermordet werden. Offiziell gehe man zur Zeit von drei Toten aus, laut Angaben von AktivistInnen liege die Zahl aber wesentlich höher. Doch Homophobie sei in Tschetschenien gesellschaftlich derart verankert, dass viele Familien den Tod ihrer Angehörigen nicht bestätigen wollen. Vielerorts habe man dort lieber ein totes, als ein schwules Kind. Gegenüber der Bundesregierung forderten Enough is Enough „LGBT-Asylanträge aus Russland und Tschetschenien, schnell und positiv zu entscheiden und Homosexualität als Asylgrund endlich ernst zu nehmen. Die Beziehungen und das Verhalten der einzelnen Parteien gegenüber Russland und den Pogromen in Tschetschenien müssen zum Thema im Bundestagswahlkampf werden. Wir wollen von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wissen, ob auch er Wladimir Putin für einen Demokraten hält. Wir wollen wissen, wie Außenminister Gabriel jetzt vorzugehen gedenkt. Wir wollen wissen, welches Bauchgefühl die Kanzlerin den Opfern entgegenbringt.“

Konstantin Sherstyuk aus dem Vorstand von Quarteera e. V. (Russischsprachige LGBT in Deutschland) bedankte sich im Namen russischer AktivistInnen bei den TeilnehmerInnen für ihre Solidarität. Zudem warnte er ausdrücklich davor, dass die derzeitige Gewaltwelle in weitere Regionen vordringen könne, wenn von Seiten Russlands nichts dagegen unternommen werde. Er erinnerte daran, dass bereits die Erlassung des Gesetzes zur Homo-Propaganda russischen Neonazi-Gruppen als Legitimation diente, um ihre Gewalt gegen Homosexuelle weiter zu verschärfen. Ein ähnlicher Schneeballeffekt drohe auch hier.

Ekkehard Maaß von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft sprach vor allem über die Situation tschetschenischer Geflüchtete in Deutschland. Er sei gerade in den letzten Wochen damit konfrontiert gewesen, dass die Bundesregierung Geflüchtete aus der Region aufgrund fadenscheiniger Tatvorwürfe an Russland ausliefere. Dabei könne von deutschen Gerichten gar nicht überprüft werden, ob diese überhaupt gerechtfertigt seien und hier nicht vollkommen unschuldige Menschen wieder in die Hände ihrer Peiniger überführt würden. Nach seiner Ansicht stehen die Verhaftungen von Homosexuellen auch im Zusammenhang mit Verfolgungswellen, die schon seit Monaten andauern und sämtliche Gruppen der Region betreffen, die sich weigern das Regime des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow zu unterstützen.

Das betonte auch Grünen-Politiker Volker Beck in seiner Rede. Die Verfolgungswelle würde nicht nur schwule Männer betreffen. Der Vorwurf der Homosexualität wäre oft eher ein Vorwand, um Gegner Kadyrows zu drangsalieren und auszulöschen. Wer nicht zur Clique Kadyrows gehöre, riskiere sein Leben und das seiner Familie: „Homophobie tötet und sie betrifft nicht nur Schwule, Lesben und Trans*menschen“, waren seine Worte. Der Bundesregierung warf er Nachsichtigkeit gegenüber Russlands Umgang mit Menschenrechtsverletzungen vor: „Die Homophobie geht von Russland aus und in Tschetschenien wird sie gerade auf brutalste Weise exekutiert, ohne dass die russischen Stellen hier einschreiten. Das kann man nicht akzeptieren und das muss Auswirkungen auf unsere Beziehungen gegenüber Russland haben.“

as

Vor der russischen Botschaft in Berlin


Von Enough is Enough wurde eine Spendenaktion ins Leben gerufen: bit.ly/aktiv-helfen ! Jede Spende wird an das Russian LGBT Network weitergeleitet, um die Evakuierung der Opfer und ihrer Familien zu ermöglichen.

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