Kommentar

Zum Wahlausgang in der Türkei: „Das Nein ist nicht zu Ende, es fängt gerade erst an“

18. Apr. 2017
Tülin Duman © Hassan

Ein Kommentar von Aktivistin Tülin Duman vom Südblock

Die Türkei hat gewählt. 51,4 Prozent sagen ja zu der Einführung eines Präsidialsystems. Die Spaltung in der Bevölkerung ist größer denn je, und ein friedliches Miteinander ist nicht mehr möglich. Anders als bei den Parlamentswahlen teilt sich das kosmopolitische und multiethnische Land komplett in nur zwei Lager – mit schweren gesellschaftlichen Folgen. Das Referendum wurde auch in Deutschland Teil unseres Alltags. Medien berichteten tagtäglich und unermüdlich über die kommende „Erdoğan-Diktatur“. Analysen, Prognosen, Online-Diskussionen – vor allem über die hier lebenden 1,4 Millionen Wahlberechtigten.

Mit 63,1 Prozent Ja-Stimmen in Deutschland wurde nun eine neue Debatte eröffnet. Wie können so viele Menschen die Abschaffung von Demokratie wählen? Die Empörung ist groß über die Almancı-Erdoğan-Fans. Dabei leben wir in Zeiten von Brexit, AfD, Front National und Trump – der ja bereits persönlich gratuliert hat. Vielleicht tauschen sich die beiden Größenwahn-Herrscher zu den jeweiligen landesweiten „Nicht mein Präsident“-Bewegungen aus. Trump könnte gute Tipps geben, wenn es um Widerstand gegen Wahlergebnisse geht.

In der Referendums-Nacht waren schon Tausende Menschen in der Türkei auf der Straße, und die Proteste gegen Wahlmanipulationen werden jetzt immer lauter. Die türkische Wahlkommission hat nachweislich unverifizierte Stimmzettel zugelassen. Nach Schätzungen geht es um 2,5 Millionen rechtlich ungültige Stimmen. Die unfairen Wahlkampfbedingungen, begleitet von einem landesweiten Ausnahmezustand, Massenverhaftungen von Oppositionellen, Versammlungsverboten und einer Fast-Stilllegung freier Medien werfen deutliche Schatten auf diese zweifelhafte Wahl. Während die Oppositionsparteien die Annullierung des Referendums fordern, kündigt die AKP-Regierung eine erneute Verlängerung des Ausnahmezustandes an und der große Wahl-Dieb Erdoğan, ganz im Stil eines Despoten, die nächste wichtige Abstimmung: die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Das heißt, sowohl die Türkei als auch Europa werden sich noch eine lange Zeit mit der Ja-&-Nein-, Pro-&-Contra-Spaltung beschäftigen. Alleine empörte Berichte über die Erdoğan-Befürworter werden aber der politischen Lage nicht gerecht und somit entstehen neue Nebenschauplätze mit viel Potenzial für noch mehr Populismus. So meldet sich selbstverständlich die AfD nach den Wahlergebnissen und fordert die Aberkennung der Staatsbürgerschaft aller Ja-Wähler und plädiert für deren „Rückkehr“. Wer sich ernsthaft über das klare Ja in Deutschland aufregt, sollte aber mehr hinterfragen und eine gesamtpolitische Auseinandersetzung mit klaren Konsequenzen fordern.

An erster Stelle steht da die Kritik über Merkels Flüchtlingsdeal mit der Türkei; drei Milliarden Euro, damit die Grenzen dicht bleiben, ganz egal mit welchen Methoden. Eine historische Entscheidung der Kanzlerin, die Erdoğan nicht nur stärkte, sondern seine menschenverachtende und undemokratische Politik deutlich legitimierte und somit auch die größte Ja-Unterstützung war.

Trotz ja geht der Kampf weiter. „Das Nein ist nicht zu Ende, es fängt gerade erst an“, so lautet die neue Parole in den aktuellen Protesten. Und nein zu Erdoğan heißt nein zum schmutzigen Flüchtlingsdeal, nein zu allen Waffenexporten in die Türkei und nein zu jeglicher Kriegsunterstützung!

Tülin Duman

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