Bühne

Verrat am „Volkskörper“: Falk Richter über sein neues Stück

23. Apr. 2017
© Esra Rotthoff

Im neuen Stück „Verräter“ von Falk Richter geht es um unterschiedliche Lebensstile und Haltungen, die u. a. von den neuen Rechten als „krank“ markiert werden. Premiere am 28.04. am Gorki

Vor gut einem Jahr geriet Autor und Regisseur Falk Richter aufgrund seines Stückes „Fear“ in einen Rechtsstreit mit der AfD. Den gewann er und macht unbeirrt weiter: Auch in seinem neusten Stück will er dazu aufrufen, rechtem Gebrüll mutig entgegenzustehen. SIEGESSÄULE-Autor Carsten Bauhaus sprach mit ihm

Falk, dein neustes Stück heißt „Verräter“. Was hat dich dazu inspiriert? Wie ist es entstanden? Bei allen meinen Projekten interessiert es mich, das Hier und Jetzt der gesellschaftlichen Entwicklungen daraufhin abzusuchen, wie sehr sie das Fühlen, Denken und Handeln jedes einzelnen Menschen beeinflussen, wie also die aktuellen politischen Umwälzungen spürbar werden in unserem Privatleben. Inspiriert haben mich persönliche Gespräche mit Freunden und meinen Performerinnen und Performern, aber auch die Lektüre von schwulen Autoren wie Didier Eribon, Édouard Louis und Daniel Schreiber. Sie erzählen jeweils vom Aufwachsen in homophoben, armen und rassistischen Umfeldern, aus denen sie sich befreien mussten, um weiterleben zu können – bis heute haben sie dabei auch das Gefühl, die eigene Schicht zu verraten. Meinem Ensemble habe ich ganz zu Beginn unserer Arbeit erst einmal Fragen gestellt: Woher kommen sie, welche Werte haben Vater und Mutter vermittelt, wie unterscheidet sich das Leben der Eltern von dem eigenen, welche Tabuthemen gab und gibt es?

Welche Geschichten kamen zutage? Zwei queere Ensemblemitglieder ziehen Kinder groß und haben davon berichtet, wie ihnen schon vorgeworfen wurde, dass sie mit diesem „heteronormativen“, bürgerlichen Lebensstil die homosexuelle Revolution des „exzessiv gelebten Anderssein“ verraten. Eine andere Schauspielerin ist in einer Gegend aufgewachsen, in der diejenigen leben, die man heute als die „Vergessenen“ bezeichnet. Sich von der Politik im Stich gelassen fühlend, neigen sie sich frustriert der völkisch-nationalen Bewegung zu. In meinem Stück geht es auch um die aktuelle Bedrohung, die von den Rechtsnationalen und Faschisten ausgeht. Das Ensemble verkörpert mit seinen Erzählungen und Haltungen genau den Lebensstil, den diese Bewegungen als „krank“ und als Verrat am „Volkskörper“ verunglimpfen.

Im Theater erreicht man ein eher exklusives Publikum, gerade im Gorki eins, das wahrscheinlich eh nicht von der „guten Sache“ überzeugt werden muss. Es ist ein bisschen wie Eulen nach Athen tragen ... Ich bezweifle erst einmal stark, dass Theaterpublikum per se „auf der richtigen Seite“ ist oder so ähnlich. Im Theater, auch im Gorki, geht es immer um die Aushandlung komplexer und auch konträrer Positionen. Auf der Bühne, dahinter und danach bei Publikumsgesprächen wird heftig gestritten. Außerdem möchte ich motivieren: Auch wenn die Rechten zurzeit voranpreschen, sollten wir nicht aufgeben. Wir sind keine Minderheit, sondern die demokratische Mehrheit, die sich gegen menschenverachtende Botschaften wehren kann. Andererseits geht es mir ja nicht ausschließlich um politische Aussagen. Ich möchte einfach neue Stücke schaffen, die von Menschen erzählen, die heute jenseits heteronormativer Strukturen leben, mit jeweils ganz unterschiedlichen Lebensstilen. Rechtspopulisten setzen auf Vereinfachung: DIE Muslime, DIE Schwulen, DIE Migranten. Das Theater aber hat dagegen die Kraft, Menschen als Individuen darzustellen, nicht als Stereotypen, Statistiken oder Feindbilder.

Einige deiner Inszenierungen waren sehr stilvolle Text-Tanz-Collagen. Dagegen hatten jüngst „Small Town Boy“ oder „Fear“ viele Elemente eines wütenden Agitproptheaters. Ist das deine Antwort auf einen neu aufflammenden Kulturkampf? Agitprop wird ja oft als diskreditierender Begriff benutzt: Da schwingt mit, dass die Inszenierung nicht „sensibel genug“, stattdessen zu laut und zu direkt ist. Aber tatsächlich will ich als Künstler eine klare Stellung beziehen. Die neuen Rechten und die AfD sind eine echte Bedrohung, etwa für die LGBTIQ-Community. Aber auch für die Pressefreiheit und die Freiheit der Kunst insgesamt. Das darf man nicht klein reden. Da zeige ich dann auf der Bühne auch mal ganz direkt, was ich denke. Und wenn man sich mit völkischen Ideologien beschäftigt, ist das einfach auch nicht mehr „schön“. Deshalb wird dann nicht auch noch schön getanzt.

Interview: Carsten Bauhaus

SIEGESSÄULE präsentiert:
Verräter, von Falk Richter
mit Mehmet Ateçi, Knut Berger, Mareike Beykirch, Daniel Lommatzsch, Orit Nahmias, Çidem Teke,
28.04., 19:30 (Premiere), Gorki


gorki.de

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Falk Richter © Esra Rothoff

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