Kommentar

Sackhaare und Nana Mouskouri bei der Schlagernacktparty

22. Apr. 2017

Am Sonntag wackeln die Dödel wieder im Takt der Musik von Katja Ebstein & Co. Unserem Autor Sascha Osmialowski ist das nackte Tanzvergnügen allerdings noch etwas suspekt

Seit einer halben Stunde fühle ich mich unwohl. Mir ist mulmig. Falsch: Ich habe Schiss. Ich habe höllische Angst vor einer Polonaise. Tiefen Respekt vor griechischem Sirtaki. Und geradezu tierische Panik vor dem Tanzkreis. Zu „Moskau“, dem Hit von Deutschlands erster Castingband Dschinghis Khan aus dem Jahr 1979. Legendärer Höhepunkt einer jeden Veranstaltung, so sagte man mir. Es ist Wochenende, und mein Freund hat mich vor einer halben Stunde gefragt, ob ich mit ihm am Sonntag auf die Schlagernacktparty gehe.

Ich wusste, dieser Tag würde kommen. Dabei mag der gar keine Schlager. Der ist 27 und weiß gar nicht, was Katja Ebstein, Lena Valaitis und Gitte für Ikonen der deutschen Musikindustrie sind. Der ist einfach gerne nackt. Bei mir ist das eher umgekehrt. Es gibt Momente, da halte ich unbekleidet sein für durchaus angebracht. Beim Duschen zum Beispiel. Megasinnvoll. Oder beim Sex. Prima. Oder bei einer Blinddarmresektion. Natürlich unter Teilnarkose. Die wünsche ich mir auch. Sonntag. Auf der Tanzfläche. Wodka, das müsste gehen.

Dabei bin ich mit der ZDF-Hitparade aufgewachsen. Ich kenne jede Single-Auskopplung von Marianne Rosenberg. Und nun kommt der Tag, an dem ich sehen werde, wie unzählige Dödel auf Halbschuhen zu „Liebe kann so weh tun, doch sie gibt auch viel“ auf und nieder wippen. Was würde Mireille Mathieu sagen, wenn sie wüsste, dass 300 Menschen zu „Tarata –Ting, Tarata-Tong“ ihre unbedeckten Körperteile aneinanderschlagen? Die gute Frau lebt noch. Und das soll ja auch so bleiben.

Mein Problem ist das nackt sein unter Fremden. Das war ich schon als Teenie in der Umkleide nicht besonders gern. Nach 15 Jahren ausgehen in Berlin sollte ich mich dran gewöhnt haben. Alle sind immer nackt. Sexpositive Partys machen die Runde. Mal exklusiv, mal dreckig und gerne auch verdrogt. Die Events der Stunde heißen Pornceptual, GEGEN, Limax, Revolver, Skirt. Jockstrap ist ein Standard. Harness und Klebeband verbergen nur das Nötigste. Oft sind das nicht unbedingt die primären Geschlechtsteile. Etwas Glitzer auf die Schläfe. Fertig. Alles gut. Aber nackt sein und Schlager? Das will mir nicht in die Hüfte. Und schon gar nicht in den Kopf. Was ist los mit mir? Was ist so schlimm an der Kombination aus Nana Mouskouri und Sackhaaren? Schließen sich Rex Gildo und Titten grundsätzlich aus?

Ich hab mich beim Bärenkaraoke zum Löffel gemacht, im Schlüpper auf CSD Trucks protestiert, ich habe Pornomessen moderiert und nackt an so manchem Homostrand gelegen. Ich bin bekannt dafür, dass mir nichts peinlich ist. Und jetzt das. Ich habe Angst vor nackten Menschen, die keinen Sex haben möchten, sondern einfach nur schunkeln. Ich schäme mich. Und stelle mich der Situation. Hossa!

(Ach sieh an, am 6. Mai ist Fickstutenmarkt. Da war ich auch noch nie ...)

Sascha Osmialowski

Schlagernacktparty, 23.04., 19:00, SchwuZ

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