Reisebericht „Rainbow Cruise“

Nur schwul, Party und poppen? Die Community sticht in See

5. Mai 2017

Ende April begann die erste deutschsprachige Kreuzfahrt für die LGBT-Community. SIEGESSÄULE-Autor Henrik Hohl ist mit an Bord und berichtet von der „Rainbow Cruise“

Mit exakt 18 Knoten bricht sich zur Zeit der Kreuzfahrtdampfer „Mein Schiff 2“ seinen Weg durch die Wellen von Rom nach Salerno an der Amalfiküste. Doch diese Kreuzfahrt ist einzigartig und eine Premiere, denn TUI hat mit der „Rainbow Cruise“ – man mag es kaum glauben – 2017 zur ersten deutschsprachigen Kreuzfahrt für die LGBT Community und Friends geladen.

Motto- und Nischenkreuzfahrten sind ja der letzte maritime Schrei. Ob kollektives Headbangen zu harten Bässen auf einer Heavy Metal Cruise oder der gemeinsame Sonnengruß auf einer Yogareise, Gleichgesinnte fahren gerne miteinander in den Urlaub. Aber ein Ausflug der gesamten queeren Community? Ist der CSD nicht der einzige Tag im Jahr, an dem wir Einheit demonstrieren? Ein wahrhaft spannendes Experiment für alle Beteiligten.

Von Mallorca aus wurde mit 1900 Gästen und 780 Besatzungsmitgliedern Richtung Barcelona in See gestochen. Schon Wochen vorher aufgeregtes Treiben in der angelegten Whatsapp- Gruppe zur Rainbow Cruise. Was zieh ich zu welcher Party an, wer hat die größte Kabine, was geht wohl in der Sauna ab? Ein ordentlicher Schwall von FOMO (Fear of Missing out) zog sich durch den gesamten Chatverlauf. Auch beim ersten Rundgang auf dem Schiff gleich einige Befremdungen und Ernüchterungen: Ganz Eilige hatten schon ihre Gayromeo-Profile ausgedruckt und an die Außenseite ihrer Kabinentür gehängt. Bedeutet LGBT einmal mehr nur schwul, Party und poppen?

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Am ersten Abend gemeinsames Beschnuppern und Kennenlernen. Und siehe da: An Bord herrscht durchaus Vielfalt. Das Ehepaar, dass mit seiner lesbischen Tochter und deren Freundin in See sticht, Henrik, der mit seinem schwulen Onkel und dessen Lebenspartner an Bord ist oder Heteromama Jolanta, die mit ihrer Heterotochter Daria auf dem Schiff ist. „Wir lieben alles und alle. Die Menschen hier machen eine so tolle Stimmung. Bei uns in Polen geht gerade alles rückwärts, was LGBT-Rechte angeht. Deshalb ist es auch ein gutes und wichtiges Zeichen, dass es solche Reisen gibt“, so Jolanta. Nur über eines muss sie sich mit einem Zwinkern beschweren: „Hier sind die schönsten Männer an Bord, und keiner hat Augen für mich.“

Oliver (41) kommt aus Münster und ist mit seinem Mann an Bord. Sein Fazit: „So eine tolle und vor allem realxte Stimmung habe ich wirklich nicht erwartet. Ob Alter, Herkunft, Vorliebe, hier an Bord ist alles vertreten und jeder feiert und freut sich mit jedem.“ Auf der Terrasse von Deck 8 tummeln sich vier Best-Ager Damen, gegen die selbst die Golden Girls blass aussehen. Allen voran eine 62-jährige Oma aus dem Münsterland, die, wie könnte es anders sein, Gabi heißt. „Ich liebe alle Schwulen, ist kein Scheiß! Die sind so lieb und nett und die kann man so schön anschauen“, hält sie mit ihrem nicht ersten Weißwein in der Hand ein flammendes Plädoyer. Ihre Reisebegleitungen Ingrid (kurz vor 70) und Marlies (67) pflichten ihr bei. Marlies wusste bei der Buchung nicht, um was für eine Kreuzfahrt es sich handelt und meint: „Es ist schon noch etwas komisch, Männer in Kleidern zu treffen, so was sehe ich halt bei mir in Dortmund nicht.“ Aber ihrer Tochter hatte sie im Vorfeld beruhigt: „Mama, das sind doch alles ganz nette Männer!“ Annett (59) ist die vierte im Bunde und hatte sämtlichen Heteromännern in ihrem Freundeskreis von ihren Reiseplänen erzählt, so auch ihrem Sohn. Seine Reaktion: „Jetzt ist die Alte total durchgeknallt.“

Für Janin, 59, trans*, aus Bremen, haben alle Menschen an Bord eines gemeinsam: „Sie sind so, wie sie sind, und niemand muss sich verstellen. Ich bin so positiv überrascht, wie entspannt und wohl sich jeder und jede dadurch fühlt.“ Und ja, es ist kaum zu glauben, auch 2017 finden sich an Bord Leute, die ungeoutet an der Reling Rotz und Wasser heulen, weil sie ihr wahres Ich endlich einmal ausleben dürfen.

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Aber es gibt auch Beschwerden: Nadine und Andrea aus Hessen finden die Cruise eindeutig zu männerlastig und in der Whatsapp-Gruppe beschwert sich M. darüber, dass es keinen Darkroom an Bord gibt, und dass er von den rund 100 mitreisenden Hetero-Pärchen wie in einem Zookäfig begafft wird. Schirmherrin der „Rainbow Cruise“, Berlins schnurrbärtigste Versuchung, seit es Drag Queens gibt, Gloria Viagra, hat dafür kein Verständnis: „Ich finde es erschreckend, immer nach Toleranz zu schreien und sich dann über Heteros oder Kinder bei einer LGBT and Friends Cruise zu beschweren.“

Ein einheitliches Zwischenfazit zu ziehen fällt nicht leicht, doch mit jeder Stunde an Deck entdecken mehr und mehr Gäste, dass es die einmalige Vielfalt ist, die unsere Community stark macht, und dass wirklich jeder von dieser Vielfalt lernen kann. Auch das Rahmenprogramm u. a. mit Conchita, Elke Winter, Westbam und Landausflüge wie „Queer Barcelona“ treffen den Geschmack der Passagiere. Das Experiment „Rainbow Cruise“ ist bisher geglückt.

Henrik Hohl

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