Kritik am queeren Aktivismus

Nur weiße schwule Perspektiven: der Sammelband „Demo.Für.Alle“

21. Mai 2017

Für alle, die sich gefragt haben mögen, wer denn eigentlich all die „politisch engagierten Homosexuellen und Linken“ sind, die laut Patsy l'Amour laLoves Anthologie „Beißreflexe“ vom derzeitigen queeren Aktivismus dermaßen zerfleischt werden – hier sind sie. Zumindest ein Ausschnitt ihrer Stimmen. Denn auch der Sammelband „Demo.Für.Alle“ hütet sich davor, repräsentativ sein zu wollen, wie Männerschwarm-Verleger und Herausgeber Detlef Grumbach im Vorwort betont.

Die Mitwirkenden des Buches scheinen überwiegend aus einer bodenständigen Schwulenbewegung zu kommen, die sich zwar als links und emanzipatorisch versteht, angesichts der aktuell in der Berliner Bubble vorherrschenden Stoßrichtung jedoch beinahe anachronistisch wirkt. Allzu viel Radikalität oder Innovation sollte man hier also nicht erwarten. Dafür behalten die AutorInnen den „wahren Gegner“ klar im Blick, anstatt sich gegenseitig anzufeinden. Etwa die Hälfte der 14 Beiträge warnt vor jenen rechtspopulistischen Kräften, die in vielen Ländern Europas auf dem Vormarsch sind. Die übrigen Texte widmen sich einem noch heikleren Thema: den braunen Tendenzen in den eigenen Reihen. Allen voran jenen AfD-nahen Homos, die in einem merkwürdigen Zirkelschluss sowohl den Queerfeminismus als auch den Islam als neue Feindbilder stilisieren.

Bei der Frage, wie es so weit kommen konnte, üben die AutorInnen durchaus Selbstkritik. Die „neoliberal vergifteten Siege“ der Schwulenbewegung werden ebenso unter die Lupe genommen wie der nie wirklich geglückte Spagat zwischen Anpassung und Widerstand. Den internen Grabenkämpfen des aktuellen queeren Aktivismus stehen die AutorInnen allerdings mit verständnislosem Kopfschütteln gegenüber – obwohl die Zersplitterungen zum großen Teil aus eben jenen historisch gewachsenen Konflikten resultieren. Anstatt sich genau anzuschauen, welche Themen heute die Gemüter erhitzen, scheinen sie sich in nostalgischer Verklärung jene Zeiten zurückzuwünschen, als Schwule im Schulterschluss gegen den § 175 kämpften oder sich in der Aids-Krise solidarisierten.

Wie kann sich die Community neu vernetzen und wieder politisch handlungsfähig werden? Das ist und bleibt die große Frage. Mehrfach wird das Konzept der Intersektionalität in den Raum geworfen – als eine Art Zauberformel, die alle Meinungsverschiedenheiten in Luft auflösen würde, finge man nur endlich an, verschiedene Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Rassismus zusammenzudenken. Dass dieser Ansatz keineswegs neu ist, wird außer Acht gelassen. Zumal ein Band, der dann fast ausschließlich von weißen, als schwul identifizierten cis Männern gestaltet wurde, nicht gerade glaubwürdig rüberkommt. Um wirklich ernst genommen zu werden, hätte sich „Demo.Für.Alle“ – ebenso wie „Beißreflexe“ – um eine größere Vielfalt der abgebildeten Perspektiven bemühen müssen.

Anja Kümmel

Demo. Für. Alle. Homophobie als Herausforderung
Herausgeber: Grumbach, Detlef
168 Seiten
Männerschwarm Verlag

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