Erasure: Andy Bell im Interview

„Ich liebe Angela Merkel“

29. Mai 2017
Erasure © Doron Gild

Nach dem stampfenden Floorfiller-Album „The Violet Flame“ von 2014 melden sich die Electropopper Erasure nun mit einer politischen Songwriter-Platte zurück. Die Texte von „World Be Gone“ sind mitunter gelungen, die Musik lahmt allerdings ordentlich. Wir trafen Sänger Andy Bell zum Gespräch

„World Be Gone“ ist ein eher düsteres, politisches Album. Hattet ihr euch vorgenommen ein Statement abzugeben? Es ist einfach passiert. Ich konnte nicht anders. Die Welt befindet sich gerade in einer Zeit des Aufruhrs. Mit all den Refugees, die unterwegs sind. Millionen von Menschen sind auf der Flucht, die größte Anzahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Vielleicht sogar mehr. Und wir sind die Ursache dafür. Der Westen trägt die Schuld daran. Und niemand entschuldigt sich oder übernimmt die Verantwortung. Viele Menschen in den westlichen Gesellschaften sagen einfach nur: Verschwindet von hier, ihr seid wie Ungeziefer und eure Probleme sind nicht unsere Probleme! Das ist abscheulich. Niemand tut etwas außer Angela Merkel. Ich liebe sie. Echt. Ich weiß, dass sie auch viel Kritik einstecken musste, weil sie die Tore geöffnet hat und die Leute deshalb Angst bekamen. Aber sie hat wenigstens ein Gewissen! Ich weiß nicht, wie all die anderen politischen Führer mit sich selbst leben können.

Es wird schwerer, in einer westlichen Gesellschaft zu leben, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Man weiß einfach zu viel.
Wir haben diesen Lifestyle nur, weil wir die ganze Zeit über andere bestohlen haben. Außerdem ist die Rüstungsindustrie quasi die Krone der Businesswelt. Man verdient Kohle mit ihr. Und deshalb wird es immer weiter Kriege geben. Ich habe keine Ahnung, wie sich das ändern soll.

In den Songs „Oh What A World“ und „Lousy Sum Of Nothing“ geht es um Pandoras Büchse und die Manipulation von Wahrheit. Handeln die Songs von Donald Trump?
Sie entstanden noch vor seiner Wahl zum Präsidenten, als er allerdings bereits im Wahlkampf war. Der Brexit spielt in diesen Songs auch eine Rolle, weil der mich ziemlich wütend gemacht hat. Das ist ja eine ähnliche Angelegenheit. Es geht darum, die Grenzen zu schließen, weil man niemanden mehr reinlassen will, der vielleicht vom europäischen Festland kommen könnte. Die Leute sind so dumm. Am Tag nach dem Votum haben sie schon in Richtung syrischer Geflüchteter gebrüllt: „Now you can fuck off and go back to your home!“ Und die kommen noch nicht mal aus Europa. All die Zeitungen, die solche Botschaften verbreitet haben, gehören demselben Typen: Rupert Murdoch. Ich kann nicht verstehen, warum die so rechts sein müssen. Und das ist noch nicht mal seine persönliche politische Einstellung. Er war sogar sehr links! Aber nachdem er zum Medienmogul wurde, entschied er sich für die populärste Meinung. Er vertrat mit seinen Medien also rechtspopulistische und menschenfeindliche Positionen, einfach nur, weil sich damit am meisten Geld machen lässt. Das ist so unfassbar und bei Trump ist es ähnlich.

„Still It's Not Over“ ist ein Song über die LGBTI-Bewegung. Ein Pride-Song, der aber auch eine Warnung enthält. Glaubst du, dass wir uns in den westlichen Gesellschaften zu sicher fühlen, was die erstrittenen Rechte betrifft?
Ich denke schon. Es wird den Leuten zu gemütlich, gerade den jungen. Seit der Jahrtausendwende entfernen sie sich immer weiter von der Geschichte der Gay-Rights-Bewegung. Das Interesse lässt nach. Die Dinge werden als zu selbstverständlich betrachtet. Es gibt die Öffnung der Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaften. Die Leute denken, dass jetzt alles o. k. sei. Da ist auch eine ganze Menge Selbstgefälligkeit im Spiel, denn es gibt überall auf der Welt noch Menschen, die für eben solche Rechte kämpfen müssen, die sich nicht sicher fühlen können

Interview: Jan Noll

Erasure: „World Be Gone", jetzt erhältlich

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